How like a leaf I am
Interview mit Alexandra Baumgartner, anlässlich der Ausstellung Prix Photoforum 2020.
Erzähl uns kurz von dem Projekt, das derzeit im Photoforum zu sehen ist.
In How like a leaf I am beschäftige ich mich mit den Verstrickungen von menschlichem und pflanzlichem Leben und frage nach unserer kollektiven Verantwortung für den rasanten Zerfall von Ökosystemen. Dabei konzentriere ich mich auf die Agrobiodiversität und Strategien zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt.
Was bedeutet es für dich, dieses Projekt auszustellen? Was möchtest du dem Publikum vermitteln?
Da ich nach wie vor am Projekt arbeite, empfinde ich es als eine Herausforderung, aber auch als eine Chance das Projekt für den Ausstellungsraum zu übersetzen. Es gibt mir die Möglichkeit einige Gedanken mit dem Publikum zu teilen und Ideen auszutesten.
In erster Linie geht es mir darum, die Vielfalt der Art und Weise wie Pflanzen und Menschen zusammenkommen (können), sichtbar zu machen. Ich bewege mich ja vorwiegend in der Sphäre der Landwirtschaft. Alles dreht sich um die Produktion von Lebens- und Futtermittel, Pflanzenfasern und Kraftstoffe, die unsere Lebensgrundlage darstellen. Die Frage wie wir diese Rohstoffe in Zukunft produzieren werden, beschäftigt immer mehr Menschen. Gleichzeitig sehen wir uns mit einer Vielzahl an Lösungsvorschlägen für unsere Probleme und Ideen für die Zukunft konfrontiert. In meiner Arbeit richte ich meinen Fokus auf Community-basierte Initiativen, die sich für die Vielfalt und die Erhaltung von Kulturpflanzen und Saatgutnetzwerken einsetzen. Das Gemeinschaftliche ist, was mich an diesen Projekten und Zusammenschlüssen interessiert. Einerseits widerspiegelt sich das Gemeinschaftliche in den Organisationsstrukturen der Initiativen, die ich besucht habe, andererseits findet sich dieser Aspekt auch in grundlegenden Überlegungen zum Zusammenleben von Menschen und nicht-Menschen. Kulturpflanzen sind in dieser Hinsicht ein interessantes Beispiel. Die Vielfalt der Kulturpflanzen ist menschengemacht, dennoch handelt es sich um ein «Naturprodukt». Wir stossen hier also an eine besonders durchlässige Stelle in der Diskussion über die Kluft zwischen Natur und Kultur. Diesen Denkraum möchte ich mit meinen Bildern bespielen.
Du hast dich für ein ziemlich einzigartiges, aber sehr wichtiges Thema entschieden und hast es mit viel Recherche vorangetrieben, wie bist du zu diesem Projekt gekommen?
Meine Faszination für die Pflanzenwelt und die Auseinandersetzung mit Kulturpflanzen, konkretisierte sich, als ich vor einigen Jahren in eine neue Wohnung zog und das Gärtnern und Experimentieren mehr Platz in meinem Leben einnahm. Vom Hinschauen und Beobachten, aber auch durch unzählige Gespräche mit Expert*innen und Freund*innen, habe ich viel gelernt. Auf politischer Ebene haben mich der Kampf gegen Saatgutmonopole und Patentrechte, sowie Fragen zu Themen wie Ernährungssouveränität und Agroökologie, motiviert mich eingehender mit dem Thema zu beschäftigen.
Irgendwann standen Pflanzensamen als Ausgangspunkt für die Arbeit fest. Es hat etwas gedauert, bis ich mir eine Übersicht über die Funktionsweisen von Samenbanken und Saatgutnetzwerken erarbeitet hatte. Das Feld ist geprägt von vielen verschiedenen Akteuren und ihren zum Teil sehr gegensätzlichen Interessen.
Die Arbeit, die an den Orten getan wird, wo Saatgut erhalten wird, hat etwas sehr Visionäres. Sie denken ja ständig in die Zukunft. Wer wird diese Samen nächstes Jahr sähen? Wer wird sie in 50 Jahren noch in die Erde bringen und was muss getan werden, damit diese Option bestehen bleibt? Die Entscheidungsprozesse, die bei der Erhaltung von pflanzengenetischen Ressourcen anfallen, finde ich unheimlich spannend. Wie managen wir die «Schatzkammer» der Vielfalt und was empfinden wir als besonders wertvoll und erhaltenswert? Diese Fragen werden umso wichtiger, wenn sie vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Klimakrise betrachtet werden. Natürlich spielt dabei der lokale Kontext eine grosse Rolle. Die Erhaltung und Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt in sogenannten Community Seed Banks, auf die ich mich in meiner Arbeit konzentriere, wird in Nordeuropa ganz anders praktiziert und gedacht, als beispielsweise in Südindien, oder in Ungarn.
Die Arbeit beinhaltet viele verschiedene Perspektiven, sie ist informativ, politisch und doch auch sehr poetisch. Kannst du erklären, wie du diese verschiedenen Elemente zusammengebracht hast?
In dem Thema stecken grosse politische Fragen und eine starke Dringlichkeit. Etwa 75 % aller landwirtschaftlichen Kulturpflanzen und Sorten sind in den letzten hundert Jahren verschwunden. Heute decken nur noch rund 30 Nutzpflanzen 95 % des menschlichen Nahrungsbedarfs. Das ist der Agrobiodiversitätsverlust. Er findet vor unseren Haustüren statt. Darüber zu informieren ist das Eine. Statt den Zerfall und das Böse zu portraitieren — um es überspitzt zu formulieren — möchte ich Einblicke in eine mögliche Zukunft zu geben. Das soll lustvoll sein, Staunen auslösen und spielerisch wirken, ohne den Ernst der Lage zu negieren. Der Beitrag, den ich leisten kann, ist bescheiden. Da ich der Überzeugung bin, dass eine starke emotionale Beziehung mit unserer Umwelt, die Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit ist, war mir bald klar, dass ich das Thema zusätzlich auf einer anderen, poetischeren Ebene verhandeln muss. Das Zusammenbringen dieser beiden Ebenen ist von ständigen Phasen des Experimentierens bestimmt. How like a leaf I am verstehe ich in diesem Sinne als Einladung und Vorschlag, die eigenen Fühler auszustrecken.
Woran arbeitest du derzeit? Kannst du uns etwas über deine aktuellen oder zukünftigen Projekte erzählen?
Covid-19 hat die Weiterarbeit an How like a leaf I am etwas verzögert. Ich habe mich in den letzten Monaten deshalb stärker mit dem Konzept des geplanten Buches beschäftigt und mein Archiv aufgearbeitet. Parallel dazu hat sich, sozusagen als Spin-Off, eine neue Arbeit zum Thema Weizen/Brot entwickelt. Mittels Befragungen, Beobachtungen und einem Feldversuch erarbeite ich verschiedene Zugänge zur Materie «Weizen». Ich werde die Diversität innerhalb einer Kultur thematisieren und mich stärker mit der Züchtung befassen. Der Weizen und das daraus entstehende «Brot» — in dessen kulturgeschichtlichen Bedeutung die Begriffe Nahrung, Speise, Beschäftigung und Unterhalt widerhallen — werden dabei zu Instrumenten, mit welchen die Zukunft erforscht und imaginiert werden.
Vor einigen Wochen haben wir in Luzern auf einem kleinen Acker Sommerweizen ausgesät. Ich bin unglaublich gespannt darauf zu sehen, welche Spuren diese neue Arbeitsweise — die sich wie eine Art performative Recherche anfühlt — im Projekt hinterlassen wird.
Die Ausstellung Prix Photoforum 20202 ist vom 3. März bis 4. April 2021 im Photoforum Pasquart, Schweiz, zu sehen.