Der Theaterprozess

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6 min readJan 15, 2018

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Seit Mai 2017 läuft in Russland der sogenannte Theaterprozess. Es gab Dutzende Durchsuchungen, Hunderte Verhöre, mehrere Menschen wurden festgenommen oder zur Fahndung ausgeschrieben. Zu ihnen gehört der Regisseur Kirill Serebrennikow. Er befindet sich seit dem 23. August 2017 in Untersuchungshaft.

Kirill Serebrennikow, 48,

russischer Theater- und Filmregisseur.

Auszeichnungen: Nationaler Fernsehpreis TEFI, „Triumph“-Preis, Stanislawski-Preis, Theaterpreise „Tschaika“ (Möwe), „Kristall-Turandot“, François-Chalet-Preis auf dem Filmfestival von Cannes (Programm «Un Certain Regard»), Grand Prix des 1. Internationalen Filmfestivals von Rom, mehrere Auszeichnungen auf dem internationalen LXI. Filmfestival Locarno, Regiepreis des russischen Filmfestivals „Kinotawr“, „Europäischer Theaterpreis für Neue Realitäten“ 2017.

Seit 2006 ist Kirill Serebrennikow einer der Artdirektoren des internationalen Studienfestivals „Territorium“.

2011 wurde Serebrennikow zum künstlerischen Leiter des “Plattform”-Projekts ernannt, das vom Kulturministerium der Russischen Föderation im Auftrag des Präsidenten und der Regierung der RF zur Förderung der zeitgenössischen Kultur in der russischen Gesellschaft ins Leben gerufen wurde.

2012 wurde Serebrennikow auf Initiative des Leiters des Kulturdepartments von Moskau, Sergej Kapkow, zum künstlerischen Leiter des Gogol Drama-Theaters, das bis dahin vom Publikum nicht besonders gefragt worden war. Das Theater wurde von Serebrennikow zu einer erfolgreichen modernen Kulturstätte Gogol Center umgewandelt, bei dessen Performance sich nun Theater, moderner Tanz, Musik, Film und Bildungsprojekte verbinden.

2012 entstand die Theatergemeinschaft „Siebtes Studio“ auf der Basis einer Klasse mit Schauspielern und Regisseuren, die Kirill Serebrennikow an der Moskauer Theaterschule ausgebildet hatte. Diese Schauspieler spielten in den Theaterstücken „Held unserer Zeit“ nach Lermontow, „Die Mistkerle“ nach Sachar Prilepin, „The Hunting of the Snark“ nach Caroll, Ovids „Metamorphosen“ (mit David Bobée), „Der rote Zweig“ nach Werken russischer Dichter und „Der Sommernachtstraum“ nach Shakespeare. Die jungen Künstler spielten auch in vielen russischen Filmen mit. Sie traten dem Schauspielkollektiv des Gogol-Center bei und treten mit den besten Künstlern der älteren Generation des Gogol-Theaters auf.

Seit der Mitte der 1980er Jahre fungierte Kirill Serebrennikow als Direktor des Amateurtheaters in Rostow-am-Don in Südrussland. Bis jetzt wurden von ihm mehr als 100 Theaterstücke inszeniert. Unter ihnen sind Aufführungen im Theater Sowremennik (Moskau), Tschechow-Künstlertheater (Moskau), Tabakow-Theater (Moskau), Nationalen Theater in Riga (Lettland), Bolschoi Theater (Moskau), Komische Oper in Berlin, Mariinski-Theater (St. Petersburg), Stuttgarter Oper, Gelikon-Oper (Moskau) und natürlich Gogol Center, das von Serebrennikow seit 2012 geleitet wird.

Mit ihm wurde Gogol Center berühmt durch eine Reihe von glänzenden Aufführungen wie „Idioten“ (nach dem Film von Lars vor Trier, 1998), die beim Festival in Avignon gezeigt wurde, „Tote Seelen“ nach Gogol, die an den führenden Theaterwettbewerben in Wien, Avignon und Belgrad beteiligt war.

Heutzutage ist Serebrennikow weltweit gefragtester russischer Theaterregisseur.

Der Grundgedanke jeder Aufführung Serebrennikows sei „Theater, das nicht von der Gesellschaft losgelöst und ohne Zusammenhang mit Heute existieren kann“. Der Regisseur zeichnet sich durch aktive soziale Lebenshaltung aus, indem er konsequent gegen jede Form von Totalitarismus und Intoleranz auftritt. Zugleich wird er nicht müde zu unterstreichen, dass es der Raum der Kunst sei, in dem er sich in erster Linie ausdrücken kann und will. Politischen Aktivitäten möchte er fernbleiben.

Seit 23. August 2017 befindet sich Serebrennikow unter Hausarrest im Zusammenhang mit der Anklage wegen dem sog. Theater-Verfahren, auch als „Fall Siebtes Studio“ bekannt.

Das Verfahren wurde eingeleitet, nachdem am frühen Morgen, 23. Mai 2017 maskierte Bewaffnete des Ermittlungskomitees der RF in die Wohnung mehrerer früheren und jetzigen Mitarbeiter des 7. Studios, darunter Serebrennikow, eingedrungen waren. Alle Wohnungen und Gogol Center, in dem Schauspieler und Mitarbeiter stundenlang ohne Angabe der Gründe festgehalten wurden, wurden durchsucht. Serebrennikow wurde als Zeuge verhört und unter einer Bedingung freigelassen, sich wieder bei dem Untersuchungsrichter zu melden. Der Leitung des 7. Studios wird Veruntreuung staatlicher Gelder in Höhe von mindestens 68 Mio. Rubel (ca. 1 Mio. US-Dollar) von 2011 bis 2014 vorgeworfen. Das Geld galt der Entwicklung und Förderung der Kunst.

Verfolgt werden im Rahmen dieses Falls der frühere Generalproduzent des Studios, Alexej Malobrodskij, der frühere Generaldirektor Juri Itin und frühere Chebuchhalterin Nina Masljaewa.

Ursprünglich warfen die Ermittler den Verfolgten vor, dass die Theaterstücke, für die man das Geld zur Verfügung gestellt hatte, erst gar nicht aufgeführt wurden. Beispielsweise behauptete die Behörde, dass es das Theaterstück „Der Sommernachtstraum“ nicht gegeben hätte. Dagegen gehaltene Medienberichte, Videoaufnahme der Uraufführung und späterer Vorstellungen, Zeugnisse von Zuschauern, die das Stück gesehen haben, wurden von der Ermittlerbehörde nicht in Betracht gezogen.

In der ersten Ermittlungsphase im Mai wurde die frühere Chefbuchhalterin des 7.Studios, Nina Masljaewa, in die Untersuchungshaft gebracht. Juri Itin wurde unter Hausarrest gestellt. Im Juni 2017 landete Alexej Malobrodskij in der Untersuchungshaft.

In der Nach zum 22. August 2017 wurde Kirill Serebrennikow, der sich zu diesem Zeitpunkt zu den Dreharbeiten seines neuen Films „Der Sommer“ in St. Petersburg aufhielt, festgenommen und in einem Auto mit getönten Scheiben nach Moskau gebracht. Am 23. August entschied ein Richter, dass Serebrennikow während der Untersuchung unter Hausarrest gehört.

Serebrennikow erklärte im Gericht, er habe weder Reisepass, mit dem er Russland verlassen könnte, weil der Pass ihm bei der Durchsuchung entzogen worden war, noch die Absicht zu verreisen. Für Serebrennikow setzten sich namhafte russische und ausländische Künstler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ein. Gleichwohl wurden die Appelle zurückgewiesen, während man Hausarrest zweimal verlängerte.

Die Ex-Chefbuchhalterin Masljaewa sagte unter Druck der Untersuchungsrichter einer Verständigung im Strafverfahren zu, nachdem sie die Schuld vorzeitig gestanden hatte. Daraufhin wurde sie aus der Untersuchungshaft entlassen und unter Hausarrest gestellt. Sie bekommt nun selbstständiges Verfahren.

Im Oktober 2017 wurde die Ex-Angestellte im russischen Kulturministerium, Sofia Apfelbaum, als Zeugin im „Theater-Fall“ festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Sie hat 2011 bis 2014 das Projekt „Plattform“ mit betreut. Apfelbaum wurde vom Kulturminister Wladimir Medinskij aus dem Amt wegen ideologischer Meinungsverschiedenheiten in Sachen moderne Kunst hinausgedrängt, die er auch nicht abstreitet.

Kirill Serebrennikow hörte 2017, als gegen ihn bereits ermittelt und Hausarrest als Strafe gewählt wurde, nicht auf zu arbeiten. Im Vorjahr wurden von ihm inszeniert: „Die nahe Stadt“ von Marjus Ivaschkjavicus in Lettland, die Oper „Tschaadskij“ von Alexander Manozkow in der Moskauer Gelikon-Oper, das Ballett „Nurejew“ im Bolschoi Theater. Er drehte in Afrika einen komplizierten und überwältigenden Film „Hänsel und Gretel“ für die Stuttgarter Oper und den Film „Der Sommer“, dessen Produktion nun stillgelegt ist. In Gogol Center führte er „Kleine Tragödien“ von Alexander Puschkin auf.

Laut zahlreicher Ratings wurde Serebrennikow als „Künstler des Jahres“ in Russland gefeiert. Mit dem Konterfei des Regisseurs auf den T-Shirts verbeugten sich die Schauspieler vor dem Publikum nach der Vorstellung von „Hänsel und Gretel“, dem Ballett „Nurejew“ im Bolschoi und Theaterstücken in Gogol Center. In Russland und dem Ausland setzten sich viele Künstler für Serebrennikow ein. So sprach ihm die französische Schauspielerin Isabelle Huppert im Dezember 2017 in Rom Solidarität und Unterstützung aus. Sie sollte dem Russen einen europäischen Theaterpreis aushändigen. Die Zeremonie musste aufgeschoben werden, weil es ordnungsgemäß nur persönlich geht.

Eine von Thomas Ostermeier initiierte Protesterklärung https://www.change.org/p/freiheit-f%C3%BCr-kirill-serebrennikov-freekirill, in der die Rücknahme der Maßnahmen gegen Serebrennikow gefordert ist, wurde weltweit von circa 50000 Menschen unterzeichnet. Die Briefe mit der Unterstützung für Serebrennikow unterzeichneten herausragende russische und ausländische Kulturschaffende, unter ihnen Alexander Sokurow, Natalia Solschenizyn, Marius von Mayenburg, Cate Blanchett, Teodor Currentzis, Vladimir Jurowski und andere.

Am 16. Januar hat das Basmanny-Gericht über eine Arrestverlängerung für Kirill Serebrennikow, Juri Itin und Alexej Malobrodskij verhandelt. Alle Haftbedingungen bleiben bis zum 19. April unverändert.

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On April the 18th, the court in Moscow extended the arrest of Kirill Serebrennikov, Alexei Malobrodsky, Yuri Itin and Sophia Apfelbaum.