Protokoll der Gerichtsverhandlung vom 16. Januar 2018

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21 min readFeb 14, 2018

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11:13 Ein Einsatzfahrzeug steht gegenüber vom Gericht.

11:28 Eine Menschenschlange vor dem Eingang zum Verhandlungssaal.

11:41 An der heutigen Verhandlung wird Alexei Malobrodsky zugegen sein. Er befindet sich bereits im Gerichtsgebäude.

11:56 Im Moment gibt es noch mehr Journalisten als Unterstützer. Aber vor dem Eingang soll eine riesige Schlange warten. Besucher werden nur einzeln eingelassen. In fünf Minuten soll die Verhandlung beginnen. Aber noch wurde niemand zum Betreten des Saales aufgefordert, und niemand ist hereingekommen.

12:00 Ein weiterer Verhandlungstag beginnt.

12:07 Im Gericht befinden sich schon sehr viele Menschen: Schauspieler, Journalisten, Freunde von Kirill.

12:23 „Alle an die Wand zurücktreten! Den Gang freihalten! Eskorte, Achtung!“ Soeben werden Kirill Serebrennikow und Juri Itin in den Gerichtssaal gebracht. Der Schauspielerin Jelena Korenewa gelingt es, Kirill zu umarmen.

12:24 Die Presse drängt in den Gerichtssaal. Ein Justizbeamter: „Nicht so drängeln! Es fehlt noch einer!“ Das heißt, Alexei Malobrodsky soll noch gebracht werden.

12:30 Man bringt Alexei Malobrodsky. Er ist in Handschellen. In Begleitung einer Polizeieskorte. Samt Hund. Er lächelt.

12:36 Dutzende Fernsehkameras, von den staatlichen Sendern bis hin zu ausländischen Fernsehkanälen. Freunde, Journalisten, Schauspieler, Verwandte. Alle stehen sie zu beiden Seiten des Korridors an den Wänden. Unter Polizeibewachung, die zusätzlich durch einen Polizeihund verstärkt wird, führt man Alexei Malobrodsky herbei. Ist Alexei tatsächlich so gefährlich? Es gelingt mir, ihn an der Schulter zu berühren: „Alexei!“ Ein Wächter schlägt mir barsch die Hand weg. Alexeis Frau Tatjana steht neben mir, sie lächelt, aber in ihren Augen sieht man den Schmerz.

12:38 Jetzt lässt man Fotografen und Kameraleute in den Saal. Jeder darf 30 Sekunden lang filmen. Zuerst waren 3 Minuten Aufnahmen erlaubt, aber dann ist innerhalb des Gerichtssaals irgendetwas vorgegangen, und der Justizbeamte erklärte, die Berichterstatter würden „bestraft“.

12:43 Wir sind im Gerichtssaal. Es ist furchtbar eng. Alexei Malobrodsky sitzt in einem Käfig. Kirill Serebrennikow und Juri Itin neben ihren Anwälten.

12:47 Die Verhandlung hat begonnen. Vorsitzende Richterin ist Jewgenija Nikolajewa. Eine junge Frau. Im Gericht erzählt man über sie, sie sei „menschlich“. Die Personalien der Angeklagten werden verlesen. Die Richter werden vorgestellt. Man liest den Angeklagten ihre Rechte vor.

Die Richterin fragt Kirill Serebrennikow:

„Haben Sie eine Arbeitsstelle?“

„Ja, im Gogol-Zentrum.“

„In welcher Stellung?“

„Als Künstlerischer Leiter.“

Das muss man sich gut merken.

12:48 Die Richterin Nikolajewa befragt Alexei Malobrodsky nach seiner gesundheitlichen Verfassung. Er antwortet, sein Gesundheitszustand habe sich während der Dauer der Untersuchungshaft verschlechtert, in seiner rechten Schulter haben sich rheumatische Beschwerden eingestellt. Die Richterin fragt: „Wurden Sie medizinisch betreut?“ Malobrodsky: „Nicht wirklich.“

12:50 Der Untersuchungsführer Wassiljew stellt den Antrag, zusätzliches Material zu den Akten zu nehmen. Es handelt sich um ein eindrucksvolles Konvolut. Es enthält die Vernehmungsprotokolle von Sofia Apfelbaum, weitere Vernehmungen, viele Materialien zur Vervollständigung der Akte.

12:52 Kirill Serebrennikows Anwalt, Dmitri Charitonow, sagt: „Das wird uns jetzt zum wiederholten Male zugemutet. Die Frist für die Einreichung zusätzlichen Materials endete am 12. Januar. Nichts hat die Ermittlungsbehörde daran gehindert, es fristgerecht einzureichen. Wir hatten keine Gelegenheit, dieses Material einzusehen. Wir haben uns anhand anderer Materialien vorbereitet. Die Ermittlungsbehörde behauptet, es handele sich um zusätzliches Material, aber wir bekommen nichts Neues zu sehen. Gegen Kirill Serebrennikow wurden neue Anklagen erhoben. Aber in diesem Antrag, den wir jetzt verhandeln werden, steht nicht ein Wort davon, dass die Ermittlung abgeschlossen sei, es wird nichts über die endgültige Formulierung der Anklage gesagt, die gegen Serebrennikow erhoben wird.“

12:53 Rechtsanwalt Dmitri Charitonow bittet um eine 30minütige Unterbrechung, um sich mit den neuen Materialien vertraut zu machen. Die Richterin gibt der Bitte statt. Die Verhandlung wird unterbrochen.

12:55 Die Rechtsanwälte machen sich an die Sichtung der Materialien, die die Ermittlungsbehörde so überraschend zur Gerichtsverhandlung mitgebracht hat. Es handelt sich um eine Akte von 20cm Dicke. Sie haben eine halbe Stunde zur Prüfung.

13:21 Die Verhandlung wird fortgesetzt.

13:23 Rechtsanwalt Dmitri Charitonow legt Widerspruch gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft ein: Die vorliegenden Materialien entsprechen nicht denen, die dem Gericht zuvor vorgelegt wurden, sie wurden nicht fristgemäß eingereicht, die Rechte der Verteidigung werden verletzt. Kirill Serebrennikow unterstützt die Anwälte.

13:26 Der Rechtsanwalt von Juri Itin unterstützt den Widerspruch. Juri Itin ebenfalls.

Die Anwältin Xenia Karpinskaja legt ebenfalls Widerspruch ein: Aus dem Antrag folge, dass die Ermittlung noch nicht abgeschlossen sei, sondern fortgesetzt werde, zusätzliche Vernehmungen seien erforderlich und so weiter. Entweder ist der Antrag nicht rechtmäßig, oder er hat keine Beziehung zum dem Fall. Alexei Malobrodsky stimmt zu. Die Richterin erklärt, die Materialien prüfen zu wollen. Sie prüft etwa eine Minute lang. Und entscheidet, sie zu den Akten zu nehmen.

13:30 Der Anwalt Serebrennikows stellt den Antrag, den Kaufvertrag für eine Wohnung in Berlin zu den Akten zu nehmen, die Kirill Serebrennikow am 9.Mai 2012 zu einem Kaufpreis von 300 000 Euro erworben hat. Der Anwalt: „Diese Wohnung wurde mit privaten Mitteln erworben, die nachweislich der Kontoauszüge der Sperbank seit 2008 angespart wurden (Ausgangssumme 173000 Euro); das Sparkonto verzeichnet monatliche Eingänge. Im Mai 2012 lagen auf dem Konto 300 000 Euro, das war also vor dem Zeitpunkt, zu dem Kirill Serebrennikow staatliche Zuschüsse erhielt und kann folglich nicht als Beweis für eine angebliche Unterschlagung mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung dienen.“ Die Richterin nimmt die Dokumente an.

13:32 Alexei Malobrodskys Anwältin Xenia Karpinskaja stellt den Antrag, Malobrodskys Heiratsurkunde mit Tatjana Lukjanowa sowie die Bescheinigung über die Eigentumseintragung (Dokumente für die Wohnung) zu den Akten zu nehmen, um später den Antrag auf Aussetzung der Untersuchungshaft zu stellen (Malobrodsky befindet sich als einziger in Untersuchungshaft). Außerdem stellt sie den Antrag, eine Kopie von Malobrodskys Arbeitsbuch zu den Akten zu nehmen, in dem eingetragen ist, dass er seit Anfang August 2012 nicht mehr im „Sedmaja Studija“ tätig war und folglich alle in diesem Prozess erhobenen Anschuldigungen ihn gar nicht betreffen. Die Richterin nimmt die Dokumente an.

13:33 Der Anwalt Itins stellt den Antrag, Anerkennungsschreiben und Auszeichnungen ihres Mandanten zu den Akten zu nehmen. Insgesamt 40 Papiere. Die Richterin nimmt die Dokumente an.

13:37 Der Untersuchungsführer Wassiljew sagt aus. Ein junger, rotwangiger Mann mit Brille. Er sagt, die Ermittlung befinde sich in der abschließenden Phase. Er erklärt, man werfe Kirill Serebrennikow Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität vor. Er beantragt, die Untersuchungshaft für Malobrodsky, Serebrennikow und Itin zu verlängern. Die Richterin fragt, welchen Umfang die Ermittlungsakten haben. „Etwa 120 Bände“, antwortet der Untersuchungsführer.

13:39 Die Staatsanwältin, eine junge Frau mit blonden Locken und einer leisen, trockenen Stimme, unterstützt den Antrag des Untersuchungsführers auf Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum 19.April. Sie sagt, es bestehe bei allen Angeklagten Fluchtgefahr und Verdunkelungsabsicht. Erneut weist sie darauf hin, dass Malobrodsky israelischer Staatsbürger ist und Serebrennikow eine Wohnung in Berlin besitzt.

13:41 Alexei Malobrodsky sagt aus. Die Richterin fragt ihn, ob er dem Antrag auf Verlängerung der Untersuchungshaft widersprechen wolle. Daraufhin sagt Malobrodsky: „Doch, ich lege Widerspruch ein, aber ich werde ja später noch aussagen.“ Darauf die Richterin: „Sagen Sie jetzt aus.“ Malobrodsky holt ein Blatt Papier mit seiner Rede hervor.

13:49 Alexei Malobrodsky: „Ich widerspreche dem Antrag der Staatsanwaltschaft. In den sechs vorangegangenen Verhandlungstagen haben meine Anwälte stichhaltige Beweise für die Unangemessenheit einer Untersuchungshaft vorgelegt. Es bestehen keinerlei Zweifel daran, dass ich sieben Monate lang rechtswidrig in Haft gehalten wurde. Man versucht, mich zu einem Geständnis zu zwingen. Und meine Kollegen zu verleumden. Der Ermittlungsbehörde ist es bisher nicht gelungen, eine schlüssige Anklage zu formulieren. Die Ermittlungsbehörde hat fingierte Zeugenaussagen vorgelegt und lügt offenkundig. Die Ermittlungsbehörde bezieht sich, zum Beispiel, auf ein Kreuzverhör. Es gab zwei Kreuzverhöre, von denen Protokolle existieren, aber beide haben keine verwertbaren Beweise geliefert. Man setzt mich unter Druck. Man führt mich in Handschellen durch Moskau, verweigert mir den mir gesetzlich zustehenden Kontakt mit meiner Ehefrau, untersagt mir den telefonischen Kontakt mit meiner Tochter und meiner Frau. In der gesamten Zeit der Untersuchungshaft wurden mir nur zwei Besuche gestattet und kein einziges Telefongespräch! Nach dem Gesetzt ist die Zahl der erlaubten Telefonate unbegrenzt, außerdem stehen mir zwei Besuche pro Monat zu. Man hat mir jedoch zu verstehen gegeben, dass man sich dieses Recht verdienen müsse. Ich weiß auch wie: Die Ermittlungsbehörde will von mir das Geständnis einer Schuld, die es nicht gibt. Die Versuche, an dieses Geständnis zu kommen, haben mich und meine Frau bisher sieben Monate unseres Lebens gekostet. Und jetzt liegt eine 52seitige Anklageschrift vor. Meine bescheidene Person wird darin genau dreimal erwähnt, auf den Seiten 6, 7 und 8, wobei eine dieser Erwähnungen die offenkundige Lüge enthält, ich hätte finanzielle Zeichnungsvollmacht.“

13:51 Malobrodsky bemerkt, dass frühere Anträge auf Aussetzung der Untersuchungshaft mit der Begründung auf die laufende Ermittlung und eine mögliche Einflussnahme auf Zeugen oder Verdächtige abgelehnt wurden. „Aber die Ermittlungsbehörde sagt ja selber, die Ermittlung sei abgeschlossen! Folglich sind alle Dokumente zusammen, und es kann niemand mehr beeinflusst werden.“

13.55 Alexei Malobrodsky weist auch darauf hin, dass er nicht versucht habe, unterzutauchen, als die Verhöre und Durchsuchungen bei allen Angeschuldigten schon begonnen hatten. „Außerdem traut die Ermittlungsbehörde sich offensichtlich selber nicht“, sagt Malobrodsky „Alle persönlichen Dokumente, die ich brauchte, um unterzutauchen, hat die Ermittlungsbehörde ja konfisziert!“

Malobrodsky spricht eines der bevorzugten Argumente der Ermittlungsbehörde an: seine israelische Staatsbürgerschaft. Er erzählt: „Meine Verwandten haben sich an die israelische Botschaft gewandt, und man hat ihnen schriftlich bescheinigt, dass man mir keine Papiere oder Kopien von Papieren, die für eine Ausreise nach Israel erforderlich wären, ausstellen wird.“

14.01 Malobrodsky zur Möglichkeit eines Untertauchens: „Die Ermittlungsbehörde ignoriert hartnäckig, dass ich einen ganzen Monat nach Beginn der Voruntersuchung gegen meine Kollegen nicht untergetaucht bin. Vielmehr habe ich auch noch in sämtlichen sozialen Medien bekanntgegeben, dass ich mit Verhören zu rechnen habe. Die Ermittlungsbehörde ignoriert auch die Bürgschaft mehrerer in unserem Land sehr angesehener Persönlichkeiten. Sie ignoriert weiterhin, dass meine Anwälte die Hinterlegung einer Kaution angeboten haben. Weiterhin ignoriert die Ermittlungsbehörde die Tatsache, dass sie mir meinen Reisepass abgenommen hat und ich gar nicht mehr untertauchen kann. Der israelische Konsul hat mir zu verstehen gegeben, dass mir kein Ersatz ausgestellt wird. Ich möchte das Gericht darauf hinweisen, dass die Voruntersuchung abgeschlossen ist. Ich bin sehr gerührt über die Führsorge der Staatsanwaltschaft, die meine Untersuchungshaft im Interesse meiner Verteidigung verlängern will. Aber ich kann mich mit den Akten auch ganz gut im Hausarrest beschäftigen.

Die Umwandlung der Untersuchungshaft in Hausarrest würde mir die gleichen Rechte verschaffen, wie sie den übrigen Angeklagten bereits zuteilwerden. Kirill Serebrennikow besitzt eine Wohnung im Ausland. Warum steht er unter Hausarrest und befindet sich nicht in Untersuchungshaft?

Warum muss ein 60jähriger, der am wenigsten von allen Angeklagten für die fragliche Institution gearbeitet hat, im Gefängnis sitzen?

Ich bin sehr an einer gewissenhaften Ermittlung interessiert. Es geht um meinen guten Ruf. Ich bin unschuldig, und ich werde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln um meinen ehrlichen Namen kämpfen. Ich bitte Sie darum, eine gerechte Entscheidung zu fällen und mich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.“

14.03 Rechtsanwältin Xenia Karpinskaja sagt, dass die Argumente der Ermittlungsbehörde reichlich sonderbar erschienen: „Zum Beispiel erklärt die Ermittlungsbehörde am 9.Januar, die Ermittlung sei abgeschlossen, alle Beteiligten festgestellt usw. Am 10. Januar hingegen verlautbart sie, Alexei Malobrodsky müsse in Untersuchungshaft verbleiben, da er sonst in Kontakt mit nicht ermittelten Personen aufnehmen könnte, um die Ermittlung zu beeinflussen. Aber wenn alle Beteiligten festgestellt sind, welche nicht ermittelten Personen sollte Alexei Malobrodsky dann noch beeinflussen?“

14.06 Rechtsanwältin Karpinskaja bezeichnet es als ausgemachten Zynismus, wenn die Staatsanwaltschaft fordert, die Untersuchungshaft um weitere drei Monate zu verlängern, damit das Aktenmaterial in Ruhe studiert werden könne. „Wir verpflichten uns, umgehend auf unsere Kosten Kopien von allen Akten anfertigen zu lassen und in kürzest möglicher Frist zu prüfen. Zu diesem Zweck muss niemand in Untersuchungshaft sitzen“, sagt Karpinskaja.

14.10 Rechtsanwältin Karpinskaja bemerkt, dass die Vorermittlung bereits gesetzwidrig lang andauere und zudem sonderbare Wege nehme. Sie habe dem Untersuchungsführer Lawrow angeboten, ihm die Erklärung der israelischen Botschaft zu übermitteln, in der festgestellt wird, dass eine Ausreise nicht gestattet wird. Lawrow selbst habe sich bisher nicht um dieses Dokument bemüht.

14.13 Rechtsanwältin Karpinskaja weist nochmals darauf hin, dass ihr Mandant keinerlei Möglichkeit hat, das Land zu verlassen. Insbesondere weist sie auf die Verstärkung der arthritischen Beschwerden ihres Mandanten hin, eine Folge des häufigen Transports in kalten Gefängnisfahrzeugen. Die Anwältin bietet wiederum die Hinterlegung einer Kaution an und stellt den Antrag, die Untersuchungshaft in Hausarrest umzuwandeln.

14. 13 Kirill Serebrennikow sagt aus. Zum ersten Mal liest er seine Rede vom Blatt ab. Es ist eine sehr wichtige Rede.

Kirill Serebrennikow: „Seit acht Monaten präsentiert die Ermittlungsbehörde dem Gericht ein und dasselbe Bild: Eine kriminelle Organisation habe die bandenmäßige Unterschlagung staatlicher, für das Projekt „Plattform“ bestimmter, Gelder betrieben. Es entstand der Eindruck, als hätte es das Projekt gar nicht gegeben oder nur in einer irgendwie „beschränkten“ Form, aber das entspricht in keiner Weise der Realität. Das Projekt „Plattform“ gab es, es realisierte 340 Veranstaltungen innerhalb von drei Jahren und drei Monaten, es gab Tausende von Zuschauern, die das alles gesehen haben, es gab Hunderte von jungen und sehr erfahrenen Künstlern, Musikern und Tänzern, die an zahlreichen, einzigartigen, buchstäblich aus dem Nichts heraus geschaffenen Veranstaltungen teilgenommen haben, faktisch wurde ein Theater gegründet, das mehr als drei Jahre existierte. Deshalb ist es schlichtweg unmöglich zu behaupten, die Russische Föderation habe irgendeinen mystischen Schaden erlitten. Die Russische Föderation, die Zuschauer, die Kulturschaffenden bekamen ein auf höchstem Niveau verwirklichtes künstlerisches Projekt, das der Entwicklung der modernen Kunst diente. Ich bin sehr stolz darauf.“

14.20 Serebrennikow: „Die Ermittlungsbehörde hat diesen Sachverhalt nicht untersucht, ja, nicht einmal den Versuch dazu unternommen und befindet sich deshalb offensichtlich im Irrtum, wenn sie behauptet, die Barmittel, die sich in der Kasse des „Sedmaja Studia“ befanden, seien von mir selber oder von anderen Personen zu privaten Zwecken verwendet worden. Außer dem mir zustehenden Gehalt und den Honoraren für konkrete Vorführungen, also für geleistete harte Arbeit, habe ich nicht eine Kopeke bekommen. Ich habe wiederholt verlangt, mir wenigstens einen Beweis für meine angebliche Unterschlagung öffentlicher, für das Projekt „Plattform“ bestimmter, Gelder vorzulegen. Aber solche Beweise gibt es nicht und kann es nicht geben. Die Ermittlungsbehörde hat dem Gericht solche Beweise auch nicht vorgelegt.“

„Nochmals: Ich habe keinerlei Besitz, der in der Zeit meiner Arbeit an dem Projekt „Plattform“ erworben worden wäre. Aus irgendeinem Grund wird ständig über meine Berliner Wohnung geredet, die ich im Jahre 2012 gekauft habe. Ich möchte nochmals klar stellen, damit es alle verstehen: Die Mittel für den Erwerb dieser Wohnung habe ich innerhalb von vier Jahren zusammengespart. Dafür gibt es stichhaltige Belege. Innerhalb von drei Jahren, bis zum 15.Oktober 2011, also vor dem Zeitpunkt, zu dem ich staatliche Mittel für das Projekt „Plattform“ bekam, hatte ich eine Summe von 301 000 Euro angespart, und am 24. Mai 2012 habe ich die volle Summe für den Kauf der Wohnung in Berlin überwiesen. Das ist unwiderlegbar. Das ist amtlich belegt. Deshalb betone ich nochmals, damit es wirklich alle verstanden haben: Die Finanzierung der Berliner Wohnung erfolgte durch mein eigenes, innerhalb von Jahren angespartes Geld, nicht durch angeblich unterschlagene Mittel. Ich bitte und ich verlange, dass man mir, wenn man mich schon der Unterschlagung von staatlichen Geldern anklagt, wenigstens einen einzigen Beweis dafür vorlegt, dass ich staatliche Mittel, die mir für das Projekt „Plattform“ zugeteilt wurden, nicht rechtmäßige verwendet und für persönliche Zwecke ausgegeben hätte.“

14.22 „Die Ermittlungsbehörde spricht davon, ich hätte staatliche Gelder zu privaten Zwecken verwendet. Zeigen Sie dem Gericht Beweise für die unrechtmäßige Verwendung dieser Gelder. Es gibt sie schlicht nicht. Mein Ziel und das Ziel meiner Kollegen war einzig und allein, die vorhandenen finanziellen Mittel möglichst effizient und ausschließlich zum Nutzen des Projektes einzusetzen. Die Produzentin Woronowa, die man wie uns alle fälschlich der Unterschlagung beschuldigt, hat das detailliert dargelegt. Ihr Bericht wurde von der Ermittlungsbehörde ignoriert. Das macht nichts anderes deutlich, als dass die Ermittlungsbehörde nicht wirklich ermitteln will, dass die Ermittlungsbehörde nur ein einziges Ziel hat — uns fälschlich einer Straftat zu beschuldigen.

Wie bringt die Ermittlungsbehörde das zuwege? Sehr einfach: Sie schenkt weder mir noch anderen Personen Gehör, die bei dem Projekt mitgearbeitet haben, sie schenkt meiner Überzeugung nach überhaupt niemandem Gehör, außer Masljajewa. Ich möchte gegen niemanden Anschuldigungen erheben, aber gerade die Masljajewa, die uns verleumdet, dient der Ermittlungsbehörde als bester Freund und einzige Informationsquelle. Falscher Informationen, aber gerade das will die Ermittlungsbehörde haben. Sie möchte keine Fakten herausfinden. Die Ermittlungsbehörde glaubt den Lügen einer vorbestraften Person. Die Ermittlungsbehörde hat nur ein einziges Ziel: Sie will uns um jeden Preis verurteilt sehen. Das ist für jeden klar denkenden Menschen bereits jetzt offensichtlich, und wenn es zu einem Prozess kommt, wird es für die ganze Gesellschaft offensichtlich sein. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dann Tausende von Zuschauern und Beteiligten des Projektes „Plattform“, nicht nur in Russland, sondern auch aus anderen Ländern, vor Gericht treten und erzählen werden, was wirklich zu sehen war.

Die Ermittlungsbehörde interessiert sich in keiner Weise dafür, was das Projekt „Plattform“ ist und was es erreicht hat, wie viele Stücke wir realisiert haben, wie viele einzigartige Vorstellungen wir durchgeführt haben, wie viele Konzerte und Medien-Festivals wir veranstaltet haben und, was das Wichtigste ist, wie viel das „Sedmaja Studia“ dafür an finanziellen Mitteln ausgegeben hat. Man hat mich danach nicht einmal gefragt.“

14.24 Serebrennikow sagt weiter, dass er, hätte man ihn wenigstens einmal, bei einem einzigen der stattgefundenen Vernehmungen, nach dem Projekt befragt, ganz klar geantwortet hätte:

„1. Das Projekt „Plattform“ gab es, und es hat insgesamt 340 Vorstellungen realisiert.

2. Die Veranstaltungen des Projektes wurden in der Mehrzahl aus dem Nichts heraus aufgebaut, und dafür wurden die Geldmittel eingesetzt, die von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt wurden.

3. Die Kosten dieser Veranstaltungen waren absolut angemessen und setzten sich zusammen aus den Kosten für die Bühne und den Kosten für das Personal — etwa 60 Personen des Ensembles, den Technikern und Verwaltungsangestellten.

14.25 Serebrennikow: „Die Ermittlungsbehörde behauptet, wir hätten angeblich 68 Millionen Rubel unterschlagen. Am 10. Januar allerdings wurde eine neue Anklage gegen mich erhoben, und diesmal wurde eine ganz andere Summe genannt: 133 Millionen Rubel. Man hat mir nicht gestattet, die Anklage zu prüfen, eine absurde Anklage, man hat mir nicht zugestanden, meine Aussagen vorzubereiten. Und diese Aussagen haben sie anscheinend auch nicht interessiert. Aber wir werden meine Aussagen dennoch vorbereiten und einreichen. Wir werden einen diesbezüglichen Antrag stellen und abwarten, ob die Ermittlungsbehörde ihn genehmigt. Ich zweifle daran. Die Summe der angeblichen Unterschlagung — 133 Millionen — ist an sich schon absurd. Die nächste Stufe wären 210 Millionen Rubel. Für jeden denkenden Menschen ist das absurd.“

14.27 Serebrennikow bemerkt, die Ermittlungsbehörde beziehe sich auf seine Vernehmungen. Aber was für Vernehmungen sind das? Er zählt auf: „Ich wurde insgesamt vier Mal vernommen. Am 10. November, am 21. Dezember, am 27. Dezember und am 30. Dezember. Am 10. Januar 2018 ließ man mir keine Zeit zur Vorbereitung, und am 12. Januar wurde mir verkündet, die Vorermittlung sei abgeschlossen. Ich möchte das Gericht und alle Personen, die an diesem Fall interessiert sind, wissen lassen, worum es bei diesen Vernehmungen ging:

Am 10. November 2017 wurde ich gefragt, ob ich das Festival Baltiski Dom 2011–2012 besucht habe. Ich antwortete, wenn es dort keine Vorführungen von mir gab, dann war ich auch nicht dort. Der Untersuchungsführer prüfte im Internet nach und bestätigte, dass es keine Vorführungen gegeben hat. Damit war die Vernehmung beendet.

Am 21. Dezember 2017 zeigte man mir Briefe von mehreren Personen und bat um meine Stellungnahme, die ich auch abgab. Das heißt, man befragte mich nicht nach Fakten, sondern verlangte eine Stellungnahme. Dabei handelte es sich zum Großteil gar nicht um meine eigenen Briefe, es wurden darin ausschließlich Belange des Projektes und seiner Finanzierung besprochen.

Am 27. Dezember 2017, und hier möchte ich ein wenig in die Einzelheiten gehen, fragte man mich, warum ich mich mit der Idee zu dem Projekt „Plattform“ direkt an den Präsidenten gewandt habe und von wem der Ratschlag dazu stammte. Man wollte offenbar herausfinden, wer dieser Ratgeber gewesen war und ihn zur Verantwortung ziehen. Ich antwortete, der Präsident sei nun einmal die wichtigste Person im Lande, weshalb alles, auch das, was mit der Entwicklung kultureller Dinge zu tun habe, in seine Zuständigkeit falle. Man fragte mich, was der Aufgabenbereich eines Regisseurs umfasse, und ich antwortete — genial zu sein, die Menschen um sich herum zu entflammen, talentiertes Theater zu machen. Solcherart war dieses Verhör.“

14.34 Serebrennikow sagt, dass sich alle Anschuldigungen auf die Verleumdungen der Masljajewa stützten. „Aber warum steht sie nicht mit den anderen zusammen vor Gericht, warum ist sie hier im Gerichtssaal nicht anwesend?“

„Masljajewa hat mir gegenüber zugegeben, dass sie fünf Millionen Rubel unterschlagen hat. Dieses Geld hat sie dem „Sedmaja Studia“ gestohlen. Wir haben kein Geld unterschlagen. Es wurde eine neue Anschuldigung wird gegen mich erhoben und ich verlange eine Vernehmung.“

„Man kann die Handlungsweise der Masljajewa bewerten wie man will — als Steuerhinterziehung, als Ungeschicklichkeit, als Fehlverhalten, aber dieses Fehlverhalten in der Buchhaltung ist keine Unterschlagung, wir, die künstlerischen Mitarbeiter, haben nichts gestohlen, und wir haben in keiner Weise aus Eigennutz gehandelt“, sagt Serebrennikow.

Dann kommt der Schluss seiner Rede. Kirill spricht schnell, nervös, abgerissen: „Ich habe keine kriminelle Vereinigung aufgebaut, sondern ein Theaterprojekt. Die, die in diesem Projekt schöpferisch tätig waren, haben nichts anderes gemacht, als schöpferisch tätig zu sein. Natürlich wussten wir, dass es Probleme mit der Finanzierung gab, natürlich wussten wir, wie viel dieses oder jenes Projekt kostet, aber gerade das ist doch der Beweis, dass wir nichts gestohlen haben. Wir haben diese Projekte realisiert und zur Aufführung gebracht.

Meine Mitarbeiter und ich haben das Projekt durchgeführt, und wir waren sehr erfolgreich. Es hat unserem Land eine gute Reputation verschafft als einem Land, wo Neues, Ungewöhnliches, Kreatives erschaffen wird. „Plattform“ war ein wichtiger Meilenstein für Hunderte junger Künstler und Tausende junger Zuschauer, und wir haben dem Staat keinen Schaden zugefügt. Ich hätte nie geglaubt, dass man unser Projekt als „organisierte kriminelle Bande“ bezeichnen würde. So kann man jeden zum Verbrecher stempeln, wenn es nur angeordnet wird, seien es Menschen, die einfach nur zusammensitzen und Tee trinken, seien es die Ermittler selber, die diesen Fall untersuchten, genauer gesagt, sich ausgedacht haben.“

14.36 Rechtsanwalt Charitonow sagt aus: „Die Ermittlungsbehörde glaubt, Serebrennikow könnte, wenn in Freiheit bleibt, fliehen oder die Ermittlung beeinflussen. Aber da die Vorermittlung abgeschlossen ist, ist dieses Argument jetzt bedeutungslos.“

14.38 Charitonow: „Seltsamerweise gibt es in den Ermittlungsakten kein Protokoll einer Vernehmung Serebrennikows. Alle vorhandenen Vernehmungsprotokolle stammen aus dem Sommer 2017. Man hat den Eindruck, die Ermittlung wäre ausschließlich im Sommer 2017 durchgeführt worden. Als hätten die Behörden seitdem nicht mehr weiterermittelt. Oder es ist nichts Sachdienliches gefunden worden.“

14.44 „Der Zeuge Petschenko wiederum, ein Freund und Partner von Masljajewa, dessen Aussagen vorliegen, berichtet, Serebrennikow habe eines Tages in seiner Anwesenheit Masljajewa angerufen und gesagt: „Bring mir schnell 300 000 für die Wohnung vorbei.“ Später erzählte Masljajewa die gleiche Geschichte, nur dass bei ihr Serebrennikow angeblich Woronowa angerufen und Geld verlangt habe.“ Rechtsanwalt Charitonow erzählt, er habe Masljajewa und Petschenko befragt, wann genau dieses Gespräch stattgefunden habe. Petschenko sagte, im Jahre 2013, Masljajewa behauptete 2014. Die Wohnung hat Serebrennikow jedoch bereits im Jahre 2012 gekauft, betont der Anwalt noch einmal.

Rechtsanwalt Charitonow berichtet von der Aussage der Zeugin Wojkina, die erklärte, nur Masljajewa habe Bargeld ins Büro gebracht, und dieses Geld sei ausschließlich für das Projekt verwendet worden.

14.52 Rechtsanwalt Charitonow trägt neuerlich vor, es lägen mehr als 200 Bürgschaften prominenter Persönlichkeiten des Landes vor, die betonten, dass Kirill kein Verbrecher sei. Rechtsanwältin Karpinskaja empört sich, dass dieses Institut der Bürgschaft vom Gericht und von den Ermittlungsbehörden vollkommen ignoriert würde und folglich in unserem Land außer Kraft gesetzt sei.

Rechtsanwalt Charitonow bietet dem Gericht die Beibringung einer Kaution für seinen Mandanten in Höhe von 68 Millionen Rubel an. Er beantragt, den Antrag der Ermittlungsbehörden auf Fortsetzung des Arrests unter Auflagen abzulehnen, bei einer Fortsetzung des Arrests seinem Mandanten zumindest weiterhin die Möglichkeit zum Freigang zu gewähren.

14.55 Der Anwalt Juri Itins sagt aus. Er spricht sich ebenfalls dafür aus, den Antrag der Ermittlungsbehörde auf Verlängerung des Arrests abzulehnen. Er weist ebenfalls darauf hin, dass die Vorermittlung, nach Auffassung der Ermittlungsbehörde, abgeschlossen sei und keine Zeugenbeeinflussung mehr stattfinden könne.

15.01 Juri Itins Anwalt stellt den Antrag, den Hausarrest für seinen Mandanten nicht zu verlängern. Er weist insbesondere darauf hin, dass der Arrest in der bestehenden Form auch den Kontakt zu Personen untersagt, die keinerlei Bezug zu dem Prozess haben und dass ihm nicht einmal Spaziergänge erlaubt seien.

15.02 Richterin Nikolajewa wirkt erstaunlich unvoreingenommen. Ihr Gesichtsausdruck spiegelt keinerlei Emotionen wider. Während der Aussagen der Anwälte und der Angeklagten macht sie Notizen und hört Itins Anwalt sehr genau zu, als dieser erklärt, dass es kein Gesetz gebe, welches die Umwandlung von Fördergeldern in Barmittel verbiete. In dieser Hinsicht sei die Herangehensweise der Ermittlungsbehörde sehr vereinfachend.

15.10 Juri Itin sagt aus. Er erklärt, er lebe seit acht Monaten in einer „verkehrten Welt“. Außerdem stütze sich die Ermittlungsbehörde ausschließlich auf die Aussagen der Masljajewa, die allerdings nicht einen einzigen Beweis dafür vorgelegt habe, dass irgendjemandem der Angeklagten Bargeld übergeben worden sei.

Itin sagt aus, alle Teilnehmer des Projektes „Plattform“ hätten immer ihr Möglichstes getan, um das Projekt zu realisieren. Mehrmals hätten sie sogar ihr eigenes Geld eingebracht. Niemals hätten sie etwas gestohlen.

15.12 Itin erklärt, der Vorwurf der Ermittlungsbehörde, das „Sedmaja Studia“ sei nur dafür gegründet worden, um Geld zu unterschlagen, sei vollkommen absurd. Der Vorwurf stütze sich nur auf die Aussage einer einzigen Person, die Fördermittel zu Bargeld gemacht hat. Aber die Umwandlung in Bargeld bedeutet nicht automatisch die Unterschlagung dieses Geldes.

15.15 Untersuchungsführer Wassiljew redet zum ersten Mal frei, nicht vom Blatt. „Sie sagen, wir hätten uns nicht für den kreativen Teil des Projektes interessiert. Das haben wir sehr wohl. Sowohl für den kreativen, als auch für den wirtschaftlichen Teil. Für Sie ist es einfach vorteilhafter, über den kreativen Teil zu reden. Ja, das Projekt „Plattform“ wurde realisiert. Aber die Fördermittel wurden unterschlagen. Wir haben Beweise dafür, dass Geld unterschlagen wurde und für den Kauf einer privaten Wohnung verwendet wurde.“

Untersuchungsführer Wassiljew beantragt, Teile eines Briefwechsels zwischen Alexei Malobrodsky und dem Zeugen Sinelnikow sowie Serebrennikow und seiner Assistentin Schalaschowa zur Akte zu nehmen. Er liest die fraglichen Abschnitte nicht vor.

Der Untersuchungsführer unterstützt den Antrag auf Verlängerung des Arrests aus den genannten Gründen. Im Saal ertönt ein nervöses Lachen.

Die bekannte Theaterkritikerin Marina Dawidowa wird wegen dieses Lachens des Saales verwiesen.

15.19 Der Staatsanwalt unterstützt in sehr leisem Ton die entsprechenden Anträge. Alle prüfen die Anträge und die Dokumente, die die Ermittlungsbehörde eingereicht hat. Allgemeines Gelächter. Offenbar über die eingereichten Briefauszüge.

15.22 Kirill Serebrennikow bemerkt, in dem Briefwechsel gehe es um eine Betriebsfeier und um das Stück „Der See“ von 2014. Der Rechtsanwalt erläutert, Gegenstand des Briefwechsels sei eine große Zellophanplane gewesen, mit der man im Bühnenbild die Wasseroberfläche für den See dargestellt habe. Alle stimmen zu, diese bemerkenswerten Schriftstücke zur Akte zu nehmen. Die Atmosphäre entspannt sich.

Serebrennikow hat keinen Einwand gegen die Hinzuziehung des Schriftwechsels. Es geht darin auch um Bargeld. „Diese Branche kann nicht ohne Bargeld funktionieren“, sagt Serebrennikow. „Es ging darum, wie das Geld verwahrt werden sollte, das von dem Projekt übrig geblieben war. Es ging darum, dass man das Geld in Euro wechseln musste, um davon die Zellophanplane zu kaufen, die für das Stück „Der See“ benötigt wurde. Das Projekt „Plattform“ war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen.“

15.26 Die Verteidigerin Malobrosdkys, Xenia Karpinskaja, unterstützt vehement die Hinzuziehung der Dokumente. Der Briefwechsel stammt aus dem Jahr 2013, er hat also nicht das Geringste mit der „Plattform“ zu tun.

Karpinskaja: „Dieser Briefwechsel hat keinerlei Beziehung zu dem Projekt „Plattform“. Es geht darin um das „Gogol Zentrum“. Die Ermittlungsbehörde manipuliert.“

Auch Malobrodsky stimmt der Hinzuziehung des Briefwechsels zu, sogar ohne vorherige Prüfung. Er sagt: „Es gibt keine Briefe und keine Handlungen, die einen Schatten auf mich werfen könnten. Die Vergehen, die die Ermittlungsbehörde mit unterstellt, habe ich nicht begangen.“

15.30 Alexei Malobrodsky fordert die Anklage auf, Beweise für ihre Anschuldigungen vorzulegen. Der Staatsanwalt sagt: „Der Verteidiger Serebrennikows behauptet, die Ermittlungsakten enthielten keine Vernehmungsprotokolle. Tatsächlich aber gibt es sie!“ Serebrennikows Anwalt Charitonow entgegnet: „Es gibt dort lediglich die vollkommen nichtssagende Vernehmung vom 10. November.“

15.32 Itins Anwalt legt Widerspruch gegen die Beiziehung neuen Materials ein. Itin selbst sagt, er sei empört über die Behauptung des Untersuchungsführers Wassiljew, Serebrennikow, Malobrodsky und er, Itin, hätten sich selber 100 Millionen Rubel als Honorar ausgezahlt. Itin sagt, das Honorar für sie drei zusammen habe nicht mehr als 100 000 Rubel betragen, die über den Zeitraum von Mai 2012 bis August 2014 gezahlt wurden. Die Zahl von 100 Millionen Rubel sei schlicht absurd.

16.00 Verhandlungspause. Inzwischen haben sich in den Gängen des Gerichtsgebäudes sehr viele Menschen versammelt. Unter ihnen Roman Dolshanski, Pawel Kaplewitsch, Viktoria Isakowa, Alexandr Monozkow, Alexandr Archangelski und viele andere. Die Justizbeamten sind sehr streng, Fotografieren ist nicht erlaubt.

16.54 Die Presseagenturen TASS und RIA kolportieren die Nachricht, Rechtsanwalt Charitonow habe zugegeben, Masljajewa habe 133 Millionen Rubel zu Bargeld gemacht. Diese Information verbreitet sich in Windeseile durch alle Medien. Charitonow hat allerdings nichts dergleichen gesagt. Wir treffen Sergej Jussow, den Berichterstatter von RIA, von dem diese Nachricht stammt, im Gang des Gerichts. Nach einigem Drängen gesteht er seinen Fehler ein. Er windet sich und zeigt sich außerstande zu erklären, wie es dazu gekommen ist. Rechtsanwalt Charitonow versichert ihm, dass er nichts derartiges auch nur andeutungsweise gesagt hat.

Es sei vollkommen unmöglich, dass Masljajewa eine solche Summe zu Bargeld gemacht habe, denn das sei ja die gesamte Summe, um die es bei der Anklage geht. Und als Anwalt würde er dergleichen auch niemals äußern. Sergej gibt sofort eine Korrektur der Nachricht an seine Agentur durch. Aber der Zug ist abgefahren!

Wir alle, die aus dem Saal oder die, die im Gang warteten, reden auf Sergej ein und halten ihm seinen Fehler vor. Er hat offenbar absolut nicht nachgedacht, als er die Nachricht durchgab.

Ich halte ihm vor, dass seine Agentur eine riesige Menge von Lesern habe und diese Falschinformation jetzt von unzähligen anderen Medien weiterverbreitet werde und sich im Bewusstsein der Bevölkerung festsetze.

Gerechterweise muss man konzedieren, dass Sergej Jussow, der, wie er sagte, fünf Jahre lang für Interfax gearbeitet hat, seinen Fehler eingestand und im Großen und Ganzen vernünftig reagierte. Ich weiß nicht, ob seine Korrektur angenommen wird, aber diese Nachricht über die Umwandlung von 133 Millionen in Bargeld war eine eindeutige Lüge. So ein Satz ist im Gerichtssaal nicht gefallen.

17.39 Die Gerichtsdiener kommen in den Gang. Anscheinend wird bald die Entscheidung verkündet.

Der schärfste der Gerichtsdiener brüllt laut: „Den Gang freimachen! Zur Seite treten!“ Niemand will sich mit ihm anlegen. Alle treten gehorsam an die Wände zurück.

17.43 Kirill Serebrennikow und Alexei Malobrodsky werden in den Saal geführt, letzterer in Handschellen und bewacht von einem Polizeihund.

17.47 Zur Verkündung der Gerichtsentscheidung lässt man nur die Pressevertreter und Verwandte in den Saal. Tatjana Lukjanowa muss ihre Heiratsurkunde mit Alexei Malobrodsky vorweisen. Alle anderen schauen die Übertragung im Gang. Der Gang ist voller Menschen.

17.50 Das Gericht beginnt mit der Verlesung der Entscheidung.

17.54 Die Richterin liest das Aktenzeichen, die Namen der Angeklagten und die Anklage vor. Im Saal herrscht Totenstille.

18.07 Das Gericht hat beschlossen, die Sicherungsmaßnahmen unverändert beizubehalten. Die Vorermittlung könne sonst nicht abgeschlossen werden, die Angeklagten könnten in Freiheit befindlich versuchen, die Ermittlung zu beeinflussen, würden möglicherweise weiterhin Straftaten begehen oder untertauchen. Der Hausarrest für Serebrennikow und Itin und die Untersuchungshaft für Malobrodsky werden verlängert bis zum 19. April.

18.15 Die Verhandlung wir auf den 19. April 2018 vertagt.

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Free Kirill
FreeKirill

On April the 18th, the court in Moscow extended the arrest of Kirill Serebrennikov, Alexei Malobrodsky, Yuri Itin and Sophia Apfelbaum.