“Nutella nur vom Löffel”: Tindern in Berlin

N.K.
Utopie — Der Traum vom guten Leben?
3 min readJul 17, 2019

Kann man auf Dating-Apps die große Liebe finden? Zumindest lernt man einiges über Essensvorlieben. Ein Selbstversuch.

Eigentlich ist Tinder nicht so anders als Netflix. Nur die Qualität der Matches ist geringer.

Samstagabend 21 Uhr in Berlin. Meine Freunde haben Dates oder gehen mit ihrem Partner essen. Ich falle aufs Sofa. Auf Netflix wird mir ein Film vorgeschlagen, der “zu 96 Prozent” meinen Interessen entspricht. Ein Match, sozusagen. “Was willst du mehr?”, denke ich, und greife trotzdem zum Handy. Ich öffne Tinder. Nicht ganz anders als Netflix. Beide kennen mich und schlagen mir auf der Grundliebe meiner Vorlieben neue Matches vor: Filme, Sendungen oder eben Kerle. Die Qualität meiner Matches auf Netflix ist allerdings eindeutig höher. Dagegen ist meine Beziehung zu Tinder eher eine Art Hassliebe. Egal. Ich fange trotzdem an zu swipen.

Im Bekanntenkreis haben sich schon Pärchen über die App gefunden. Es gibt also Hoffnung. Dabei braucht es nicht lange um zu sehen, um was es hier geht: Die große Liebe ist es nicht. Eher Spaß für eine Nacht. Zwei Typen Mann stechen heraus: Die, die offen auf der Suche nach einem “Abenteuer” sind. Und die, die auf der Suche nach einem Abenteuer sind, aber so tun, als wären sie es nicht. Sie suchen dann nach einer Frau, “die ihnen die schönen Ecken Berlins zeigen kann”. So auch Ben: Australier, sportlich, groß, nettes Lächeln, schöne Zähne. Als “Entschädigung” lädt er zu einem Drink ein. Vielleicht werde ich Stadtführerin.

Dank Tinder lerne ich außerdem jede Menge über Lebensmittelvorlieben. Lukas isst Nutella “nur direkt vom Löffel, nicht auf Brot”. Wie verwegen. So wie er halten es viele Männer. Leidenschaft drücken sie in ihrem Profil über ihre Nutella-Sucht oder ihre Präferenz für einen guten “Vino” aus. Bier tut’s nicht mehr. Gut zu wissen.

Ich fülle mein Profil mit einer Reihe nichtssagender Emojis

Zeit, mein eigenes Profil zu pimpen. Ich zermartere mir den Kopf über die richtigen Profilbilder und deren Reihenfolge. Das wichtigste: Auf keinen Fall langweilig wirken. Also eins mit Sonnenbrille zu Anfang, bisschen mysteriös und so. Eins ohne Sonnenbrille, ganz natürlich, danach. Dann noch zwei Bilder in Aktion. Sportlich in der Natur kommt ja immer gut. Anstatt für einen Text über meine Essgewohnheiten entscheide ich mich für eine Reihe von nichtssagenden Emojis: ne Sonne hier, ne Palme da. Das muss reichen. Als mein Profil steht, swipe ich wie wild und sammel Matches. Mit den meisten werde ich nie in Kontakt treten. Aber hey, lieber alle Optionen offenhalten.

Oft kommt nicht einmal eine Antwort zurück. Wieso auch. Hauptsache wir haben ein weiteres Match in unserem Katalog. Irgendwann ist es trotzdem soweit. Nach langem, quälenden Hin- und Herschreiben steht ein Treffen. Ich warte vor einer Kirche. Nach einer Ewigkeit taucht ein Mann auf einem Skateboard auf. Einfaches Shirt, coole Sneaker, verwuschelte Haare, ein leichter Dreitagebart. Genau mein Typ. Hin und weg lächel ich ihm zu. Ich höre schon die Hochzeitsglocken läuten — als er lässig in die nächste Straße abbiegt. Mein eigentliches Date biegt um die Ecke. Knallblonde Haare, viel zu braun, er kommt gerade von der Insel. Fahrrad statt Skateboard. Jedes Mal, wenn ich einen Schritt von ihm wegmache, kommt er noch näher an mich ran. Nach einer sehr langen Stunde Smalltalk im Park fahre ich mit dem Bus nach Hause. Was für ein unnötiger Abend.

“Und wozu das Ganze?”, frage ich mich zurück auf dem Sofa. Viel rumgekommen ist bei der Tinderei nicht. Netflix kennt mich da besser. Alle Matches ein Hit. Wer braucht da noch Tinder.

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