Friede, Freude, Eierkuchen

Worum es zuallererst in jedem Unternehmen gehen sollte

Ralf Westphal
Gedankliche Umtriebe
3 min readOct 24, 2016

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Mir hängt dieses Gerede zum Hals ‘raus: Unternehmen sollen innovativ sein, nein, sogar disruptiv; sie sollen agil, lean, excellent werden; ROI und shareholder value schweben über allem; wer mitmachen will braucht top talent und high performance teams.

Ich finde das zum K…

Das ist alles menschenverachtend. Mir fällt kein milderes Wort ein. Denn solange dieses Gerede allem unterliegt, ist jeder Mensch im Unternehmen nur Mittel.

Je länger ich meinen Job als Trainer und Berater in Unternehmen mache, je länger ich mir auch die Entwicklung unserer Gesellschaft und unserer Welt anschaue, desto mehr denke ich: Das geht doch am Wesentlichen vorbei.

Wozu sind Unternehmen denn da? Wozu ist eine Gesellschaft denn da? Warum kommen wir in Gemeinschaften zusammen?

Weil wir erst in Gemeinschaft manche Dinge schaffen. “Gemeinsam sind wir stark!”

Gemeinschaften ermöglichen uns ein besseres Leben. Sie sind Wohlfahrtsmaschinen. Das ist ihr Zweck. Gemeinschaften sind dazu da, dem Einzelnen ein besseres Leben zu bieten.

Und ein besseres Leben ist eines — hier traue ich mich mal ganz kühn, einen Universalismus zu formulieren — , in dem weniger Angst herrscht.

Ja, daran glaube ich ganz fest. Das ist für mich der grundlegende Beurteilungsmaßstab, den ich an Gemeinschaften anlege. Ob Bibel oder Koran, ob Demokratie oder Kommunismus, ob Vollverschleierung oder Bikini, ob Firmenpatriarch oder Selbstorganisation… Was für mich zähl ist: Wo herrscht in Summe weniger Angst?

Angst beschränkt, Angst deformiert, Angst überreagiert, Angst zerstört.

Der ganze zivilisatorische Prozess der Menschheit hat für mich nur einen Zweck: ‘raus aus der Angst. Denn Ängste gibt es so viele. Menschen haben Angst vor Schutzlosigkeit, Durst, Hunger, Fressfeinden, Krankheiten, Unfällen, Einsamkeit, Sozialfeinden (also anderen Menschen), Ungewissheit, Leere, Fehlern usw. usf.

Und vor all dem soll Zivilisation, d.h. Gemeinschaft schützen. Ihre Aufgabe ist mithin die Stiftung von Frieden. Denn Frieden ist für mich das Gegenteil von Angst.

Wenn Angst Anspannung und Tunnelblick ist, dann ist Frieden Entspannung und Weitblick. Wenn Angst Zittern ist, dann ist Frieden Ruhe. Wenn Angst die Zähne bleckt, dann zeigt Frieden ein heiteres Lächeln.

Frieden: darum geht es in allem Gemeinschaftlichen. Also auch in Unternehmen.

Frieden ist das Fundament, auf dem alles andere solide errichtet werden kann.

Frieden ist der Same, aus dem alles andere sprießen kann.

Denn Friede befreit. Er befreit zur Neugierde. Er befreit zur Zusammenarbeit. Er befreit zum Engagement.

Doch das ist nicht zu hören und nicht zu sehen. Das Gerede von excellence und Markt und performance und Innovation und sogar Nachhaltigkeit und CSR ist eines, das von Angst ausgeht und Angst schürt.

Solange also in Unternehmensvisionen nicht konsequent steht, dass es um eine Welt mit weniger Angst geht, ist noch etwas fundamental falsch. Dann erfüllt das Unternehmen als Rahmen für eine Gemeinschaft und Teil einer Gemeinschaft noch nicht seinen Zweck.

“Friede, Freude, Eierkuchen” mag kindlich klingen. Doch ohne dem ist alles andere auf Sand gebaut.

Deshalb verstehe ich mich auch jeden Tag mehr als “Friedensstifter” bei meiner Arbeit. Nein, nicht in Sandalen und mit Blumen im Haar. Sondern mit Methoden, Konzepten, Blickwinkeln, die helfen, Klarheit herzustellen und also Ruhe und Entspannung zu fördern.

Wer dadurch, dass er dazulernt, sich besser in der Lage fühlt, den (noch) herrschenden Sturm des Tagesgeschäftes zu meistern, der kann ein Stückchen Angst abschütteln.

Ein heiteres Lächeln wo vorher unsicheres Stirnrunzeln war, das empfinde ich für mich persönlich als Erfolg.

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Ralf Westphal
Gedankliche Umtriebe

Freelance trainer, consultant, speaker in the software industry for more than 30 years. Main motivation: make programming joyful and simple. http://ralfw.de