Grundeinkommen in Unternehmen

Ralf Westphal
Gedankliche Umtriebe
5 min readAug 20, 2018

Warum wird Grundeinkommen eigentlich immer auf nationaler Ebene diskutiert?

Bildquelle: pixabay

Anlässlich des Artikels „Agil leben im digitalen Kapitalismus“ kam mir wieder der Gedanke, dass wir uns beim Thema Grundeinkommen unnötig begrenzen. Es soll (wieder) die perfekte Lösung her. Die ganz sichere. Bevor man das alte System abschafft — Rente, Hartz IV -, das bröselt und ächzt, muss die Alternative total erforscht und ausdiskutiert sein. Dass das scheitern muss, sollte klar sein, oder? Es geht nicht ohne einen „leap of faith“.

Insofern wird es wohl keine Systemveränderung geben, solange noch entschieden werden kann. Erst wenn das Andere wirklich, wirklich alternativlos ist, die Entscheidung also durch das Faktische schon getroffen wurde, werden wir ein BGE sehen. Oder auch nicht. Denn Chaos ist immer eine Alternative. Nach fest kommt ab und nach noch mehr Bürokratie kommt Regellosigkeit.

Es sei denn… ja, es sei denn, es gibt wirklich genügend aussagekräftige Versuche, die Qualität eines Grundeinkommens nachzuweisen. Woher sollen die aber kommen?

Wie wäre es, wenn da nicht auf Väterchen Staat oder eine Crowdfunding-Initiative gewartet würde? Wie wäre es, wenn Unternehmen einfach das Grundeinkommen einführen würden? Ja, genau: Unternehmen!

Heute wird den im Unternehmen Beschäftigten Gehalt gezahlt. Das ist nach Position, Rolle, Verhandlungsgeschick, Geschlecht usw. unterschiedlich. Unterschiedlich, aber im wesentlichen konstant. Jeder bekommt es, solange er/sie eine Position im Unternehmen bekleidet. Dazu gehört natürlich Arbeit unter Volllast.

Das Unternehmen muss also gewährleisten, dass das Gehalt komplett gezahlt werden kann. Immer. Und wenn nicht, dann muss der/die Abhängige gekündigt werden.

Frei atmen kann ein Unternehmen auf diese Weise nicht, finde ich. Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Abhängigen ist binär: man gehört mit vollem Gehalt dazu — oder ist draußen.

Als Laie in Sachen Tarifverträge und Arbeitsgesetze denke ich mir aber mal ganz naiv, das könnte auch anders gehen.

Stellen wir uns doch mal das Unternehmen als Solidargemeinschaft vor. Crazy, ich weiß. Aber nur mal so, für einen Moment: Sprechen wir mal nicht von Angestellten oder abhängig Beschäftigten, sondern von Mitgliedern in einer Gemeinschaft; alles sind insofern auf Augenhöhe. Alle Gehaltsempfänger in einem Unternehmen — vom CEO bis zum Pförtner — wollen ja dasselbe. Das Unternehmen soll seinen Zweck erfolgreich erfüllen und darüber so viel Geld generieren, dass die Mitglieder davon leben können. Jeder versucht daher nach Kräften und an seiner Position zum Unternehmenserfolg beizutragen.

Wo alle dasselbe wollen, sitzen alle im selben Boot, finde ich. Und wer im selben Boot sitzt, sollte für einander sorgen. Ergo: Unternehmen als Solidargemeinschaft.

Solidargemeinschaft bedeutet dabei nicht, dass es keine Unterschiede geben darf. Aber es bedeutet, dass allen zumindest ein Mindestmaß an Fürsorge zuteil wird, solange sie zur Gemeinschaft gehören.

Wenn das Unternehmen nun eine Solidargemeinschaft darstellt, warum dann nicht innerhalb des Unternehmens ein Grundeinkommen zahlen. Alle bekommen z.B. 1000€. Immer. Egal, ob sie gerade gebraucht werden oder nicht. Das ist der Trick.

Aber ein Unternehmensmitglied kann und soll natürlich mehr verdienen. Das ist möglich, wenn er/sie für das Unternehmen tätig wird und wertvolle Resultate produziert. Das ist ja heute schon üblich bei Verkäufern, die Provisionen bekommen.

Wo der Wert eines einzelnen Resultats sich weniger gut messen lässt, können Tätigkeiten auch mit aufwandsbezogenen Pauschalen vergütet werden. Wer sich 10 Stunden pro Monat um die Buchhaltung verdient macht, könnte 250€ mehr verdienen. Oder 100 Stunden eingebracht in die Softwareentwicklung könnten zu 5000€ mehr auf dem Konto führen.

Das Unternehmen würde sich als Möglichkeitsraum öffnen. Die Arbeit würde nicht mehr von oben nach unten verteilt und fixiert, sondern wäre zu suchen. Evolution statt Planung.

Das ist ja der Punkt beim Grundeinkommen: Befreiung. Niemand muss, jeder darf. Dadurch soll das in den Menschen schlummernde Potenzial geweckt werden. Sie fühlen sich sicher(er) und wagen deshalb, etwas anzupacken. Unter ihren Initiativen ist ein Sicherheitsnetz gespannt. Das macht mutig, geradezu innovativ.

Das Unternehmen würde sich als Markt organisieren. Die Arbeit würde nicht zentral organisiert, sondern stünde im Wettbewerb. Dynamik statt Bürokratie.

So ein Grundeinkommen würde natürlich einige Veränderung im Denken bedeuten. Unternehmen müssten z.B. anders über Wachstum nachdenken. Denn Wachstum durch Aufnahme neuer Mitglieder bedeutet Verpflichtung zur Zahlung von Grundeinkommen auf unbestimmte Zeit. Kündigungen sind dann ja nicht mehr das naheliegende Mittel zum Atmen.

Es müsste auch überlegt werden, wer überhaupt Mitglied im Unternehmen sein kann. Vielleicht gäbe es dann viel weniger Mitglieder. Und neue Mitglieder würden eine Annäherungszeit durchlaufen. Erst nach einiger Erfahrung miteinander, wenn ein Vertrauensverhältnis aufgebaut ist, würden Kandidaten zu echten Mitgliedern. Das ist bei anderen Gemeinschaften ja auch so: in Klöstern gibt es das Noviziat, in Nationen gibt es Aufnahmeverfahren für die Einwanderung. Solche „Vertrauensentwicklungsphasen“ dauern mitunter Jahre. Drei oder sechs Monate Probezeit wie bisher üblich wären womöglich zu kurz.

Was wäre dann ein Kriterium für die endgültige Aufnahme in die Unternehmensgemeinschaft? Vielleicht wäre weniger Spezialwissen gefragt, weil damit der Einsatzort zu begrenzt wäre. Es ginge vielleicht weniger um das Können und mehr um das Wollen. „Smart and getting things done“ statt Doktortitel mit 25 Jahren.

In jedem Fall wäre durch ein Grundeinkommen aber eben die Gemeinschaft mehr betont. Ein Grundeinkommen würde Führung erleichtern. Die Kohäsion unter den Mitgliedern wäre größer.

Oder wenn ein Grundeinkommen in einem Unternehmen nicht praktikabel sein sollte, wie wäre es, wenn sich dazu ein Unternehmensverbund entschließen würde? Die Tischler in einer Stadt, die Zahnärzte in einer Region, die Mittelständler in einem Landkreis… Wie sich Unternehmen assoziieren, ist ja egal. Eine Willensgemeinschaft kann sich nach allen möglichen Gesichtspunkten finden. In jedem Fall wäre die Wahrnehmung, dass sie im Verein einen Horizont aufspannen, in dem Menschen freier sein sollen — zu beiderseitigem Nutzen.

Dann wäre die Mitgliedschaft in einem Unternehmen nicht mehr relevant. Es ginge nur darum, Mitglied in der Grundeinkommensgemeinschaft zu bleiben. Dafür kann es ja eigene Kriterien geben.

Ein Grundeinkommen innerhalb eines Unternehmens(verbundes) wäre aber natürlich in einer Hinsicht anders als ein BGE auf nationaler Ebene: es gäbe keinen Konsum.

Bei einem BGE fließt Geld vom Grundeinkommensempfänger zurück zur Gemeinschaft durch Konsum. Deshalb der Gedanke der Bedingungslosigkeit. Mindestens durch Konsum fließt das Geld in einem innergemeinschaftlichen Kreislauf.

Wenn das Grundeinkommen jedoch in einem Unternehmen gezahlt würde, würden die Empfänger eher nichts davon in das Unternehmen zurückfließen lassen. Deshalb könnte es nicht ganz bedingungslos sein; eher wäre es also ein „bedingungsarmes“ Grundeinkommen. Empfänger kann nur sein, wer sich in irgendeiner Weise gemeinschaftsrelevant aktiv zeigt.

Aktivität wäre hier allerdings nicht inhaltlich verordnet. Das macht den Unterschied zum Gehalt aus. Ich stelle mir vielmehr vor, dass die Aktivität von einer unabhängigen Instanz beurteil würde. Es gäbe sozusagen eine „Gewaltenteilung“: Da wäre eine koordinierende „Gewalt“, die Arbeit anbietet, aber nicht befehlen kann. Und da wäre eine „beurteilende“ „Gewalt“, die schaut, dass sich Gemeinschaftsmitglieder für ihr Grundeinkommen kreativ bemühen.

Grundeinkommen funktioniert nur im Austausch. Es muss von Empfängern etwas zurückfließen an die zahlende Organisation. Allerdings sollte dieser Rückfluss weniger Regeln unterliegen als beim Gehalt, sonst kommt keine Freiheit und damit keine Innovation auf.

Ein Grundeinkommen im Unternehmen(sverbund) würde eine Wertschätzung darstellen:

Schön, dass du zu uns gefunden hast! Du gehörst jetzt dazu. Fühle dich aufgenommen und versorgt. Wir freuen uns auf deine Entfaltung für unsere Gemeinschaft.

Bei all dem Gerde von Selbstorganisation und New Work wäre so ein Grundeinkommen doch mal ein mutiger, ein konsequenter Schritt. Sogar ein „leap of faith“. Mit weniger kommen wir wohl nicht zu etwas Neuem und Besserem. Wer so etwas wagt, hat eine Chance auf Gewinn.

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Ralf Westphal
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