Der Weg in ein gesünderes Leben

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Mit 27 Jahren erhielt Tobias C. die Diagnose “Paranoide Schizophrenie”. Er fühlte sich von Nietzsche verfolgt und fremdgesteuert. Medikamente konnten ihm zwar die Ängste nehmen, nicht aber die Verfolgungsgedanken. Wie es ihm trotzdem gelang, seinem Leben eine neue Richtung zu geben und welche Rolle die Selbsthilfe dabei spielte, erzählt er hier.

Von Tobias C.
Während meiner Uni-Zeit brodelten in mir viele Konflikte. Einerseits hatte ich Probleme mit den Eltern, andererseits war ich auch im Kollegenkreis immer weniger akzeptiert. Es hatten sich bereits Suizidgedanken und eine schwere depressive Verstimmung eingeschlichen. Auch der Lernstress setzte mir sehr zu. Ich begann mich mit Philosophie zu beschäftigen und kam so in Kontakt mit grundlegenden Fragen. Der Philosoph Nietzsche begeisterte mich besonders. Ich las viele seiner Bücher und sah mich als seinen Jünger. In dieser Zeit begann wohl die Schizophrenie. Blicke anderer Personen, z.B. im Bus oder auch Autofahrer, die mich beim Überqueren der Strasse ansahen, verunsicherten mich und ich dachte, diese Personen könnten in mich hineinschauen, würden sehen, wie schlecht es mir geht und mich ablehnen. Es wuchs die Überzeugung, dass dies mit dem Gedankengut Nietzsches zusammenhängt. Ich hatte existentielle Angst, das Gedankenkonstrukt dieses Philosophen übernommen zu haben und fühlte mich nicht in der Lage, wieder davon wegzukommen. Panik machte sich breit, ich wäre einer Gedankenwäsche unterzogen worden und fühlte mich von da an verfolgt und gesteuert von Nietzsche.

Tobias C.

2004 wurde bei mir die Diagnose paranoide Schizophrenie gestellt. Zwei Jahre war ich relativ stabil und dank der Medikamente wichen die Ängste aus meinem Leben. Von den Verfolgungsgedanken konnte ich mich jedoch nicht lösen. 2006 kam dann die zweite Psychose. Es begann manisch. Ich war auf Selbsterfahrung aus und meine Erlebnisse und Gedanken ähnelten esoterischen Überzeugungen. Das Ganze endete etwa ein halbes Jahr später, mit wilden Verfolgungsideen und in der Überzeugung alle Menschen könnten meine Gedanken lesen, in der psychiatrischen Klinik St. Urban im Luzerner Hinterland.

Weil ich nach der Uni zehn Jahre im Tourismus, der Marktforschung und im Finanzwesen arbeitete, war mein Kontakt mit anderen psychisch Kranken sehr beschränkt. Ich hatte jedoch ein grosses Bedürfnis nach mehr Begegnungen mit Leidensgenossen. Im Frühjahr 2012 meldete ich mich bei der Selbsthilfe Luzern Obwalden Nidwalden. Dort erfuhr ich, dass gerade eine Gruppe ‚Psychosen‘ in Gründung sei. Sehr gespannt und auch unsicher ging ich an die ersten Treffen. Es war eine kunterbunte Truppe von etwa 10 Betroffenen, die sich die ersten paar Mal trafen.

Es wurden wilde Geschichten erzählt, von Selbstverletzungen, Suizidversuchen und vielem mehr. Ich fand es toll, endlich ein paar Leute kennenzulernen, die ähnliche Probleme hatten wie ich.

Es waren fast alle in meinem Alter und alle aus Luzern und Umgebung. Von da an ging ich an die monatlichen Treffen. Zuerst war die Gruppe noch geleitet durch die Sozialarbeiter vom Selbsthilfezentrum. Nach einer gewissen Zeit wurden wir selbstständig und trafen uns einmal monatlich in einem Pfarreiraum ohne die Anwesenheit der Sozialarbeiter.
Auch bei unserer Gruppe gab es Zeiten, wo nur zwei, drei Personen an die Treffen kamen, um über alles im Zusammenhang mit Psychosen zu diskutieren. Es gibt uns also doch schon ein paar Jahre, doch es ist sehr schwierig, Betroffene zu motivieren in einer Selbsthilfegruppe mitzumachen. Es gibt immer wieder Interessenten, die kommen und schnuppern. Wenn diese Leute jedoch noch in einer akuten Krise sind, kommen sie normalerweise nur dieses eine Mal und bleiben nachher fern. Auch Betroffene, die schon länger stabil sind, haben oft nur geringes Interesse, sich über solche Themen auszutauschen. Leider empfinden einige Teilnehmer, die immer wiederkommen, diese Treffen als nicht verbindlich und kommen einfach von Zeit zu Zeit nach Lust und Laune.

Nichtsdestoweniger finde ich eine Selbsthilfegruppe eine sehr gute Sache. Als Kontaktperson der Gruppe habe ich auch eine Homepage gemacht (http://selbsthilfegruppepsychosenluzern.jimdo.com/) und Flyer gedruckt, um neue Menschen zu finden, die bei uns mitmachen wollen und ich hoffe es gibt uns noch viele Jahre.

In der Selbsthilfegruppe habe ich meinen heutigen besten Freund kennengelernt. Wir haben beide viel Freizeit und treffen uns häufig. Wir verstehen uns sehr gut und sprechen auch immer wieder über unsere Krankheit. Auch habe ich schon Leute durch die Selbsthilfegruppe kennengelernt, die mir sehr sympathisch waren und die ich dann häufiger auch privat traf.

Die sozialen Kontakte in der Gruppe sind für mich das positivste Erlebnis. Gerade weil ich vorher wenige Leute mit dem gleichen Schicksal kannte, waren diese Bekanntschaften sehr wichtig für mich.

Auch schätze ich es sehr mit den Leuten in der Gruppe zu reden, sich über all die brennenden Fragen auszutauschen, so auch das Selbststigma abzubauen und das Wissen über die Krankheit aufzubauen. Je mehr man mit Leuten zusammen ist, die dasselbe Leiden haben, desto normaler fühlt man sich in seiner Situation. Man beginnt sich ein Umfeld aus Gleichgesinnten aufzubauen und fühlt sich nicht mehr randständig oder ausgeschlossen, sondern in das persönliche Umfeld völlig integriert und akzeptiert. Es macht sich ein Gefühl der Normalität breit.

Ein anderer positiver Aspekt der Selbsthilfegruppe war für mich als Kontaktperson der Gruppe, dass ich im Trialog Zentralschweiz (Seminare mit Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten auf Augenhöhe) im Kernteam, welches die Seminare organisiert und veranstaltet, mitwirken konnte. So hatte ich viele Sitzungen im Jahr und lernte verschiedenste Leute aus der Psychiatrieszene Zentralschweiz kennen. Dies war der Start für mich in eine neue Richtung. Ich wollte mich für meine Krankheit einsetzen. Durch den Trialog lernte ich Angestellte der Organisation Traversa (Netzwerk für psychisch Kranke in Luzern) kennen und kam von da an zu neuen Engagements. So gab ich zum Beispiel Zeitungsinterviews oder hielt Vorträge über meine Krankheitsgeschichte vor Schulklassen mit Pflegefachleuten.

Die Selbsthilfegruppe war für mich der Weg in ein gesünderes Leben, zu einem Gefühl der Normalität ohne Selbststigma, zu einem Umfeld aus Gleichgesinnten und gab mir den Willen, meine Kraft künftig für meine Erkrankung, der paranoiden Schizophrenie, einzusetzen. Ich möchte das Mitwirken in einer Selbsthilfegruppe jedem und jeder Betroffenen ans Herz legen.

Selbsthilfe Schweiz ist der schweizerische Dachverband der 19 regionalen Selbsthilfezentren. Als einzige Organisation schweizweit engagiert sie sich, unabhängig von Thematik, Betroffenheit oder Form, für die Idee und Methode der Selbsthilfe.

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Gemeinschaftliche Selbsthilfe in der Schweiz

Als einzige Organisation schweizweit engagieren wir uns, unabhängig von Thematik, Betroffenheit oder Form, für die Idee und Methode der Selbsthilfe.