Hymne
Ob ich das Gedicht wohl bei einem Lyrikwettbewerb einschicken soll? Vielleicht sogar international, die englische Version ist ja fast noch besser!
Wo wären wir ohne dich?
Du Allmacht des Fortschritts, volltittige Hure der Ehrgeizigen
Du, der die Welt aufteilt in lange Schwänze und wird gefickt
In eins, zwei und wen kümmert noch die drei
In Flugzeug, Jacht und Villa versus die zweite Seite der Googlesuchergebnisse
Du machst es möglich, dass wir für alles eine Top 10 aufstellen können, und was wir können, das machen wir auch:
»Die zehn süßesten Tyrannen des letzten Jahrhunderts«
»Top 10 der Dildo-Alternativen: Von der Banane zum Einhorn«
»Unsere zehn effektivsten Genozide: Wer steht vorn im Massenmord?«
Meine Welt, ich danke dir, ist ein Human Centipede aus Ellbogen, immer einen im Vordermann, einen im Arsch
Fuck, wie sie dich lieben
Wo wären wir ohne dich?
Ohne Leitern, auf denen wir einander auf die Köpfe steigen dürfen?
Wenn es nach dir ginge — und es geht nach dir — werfen wir den Positiv aus dem Boot und schneiden uns auf dem Altar des Superlativ die Handfesseln auf
Du bist ein Erfinder, und auch wenn neunzig Prozent deiner Kreationen zum Glück fruchtlos bleiben, füllt der Rest doch die Bestenlisten der Monstrositäten
Neid — check
Eifersucht — check
Krieg — check
Check check check
In deiner Hall of Fame stehen die Rekorde des Untergangs
Die Büffelherden der Indianer, die Zuckerplantagen Haitis, die Bibliotheken Alexandriens
Der Horror der Hunnen, die Gasöfen des Grauens und der Wohlstand des Westens.
Wie weit wir dank dir gekommen sind
Wo wären wir ohne dich?
Wer bringt uns sonst bei, wie man lebt?
Wer lehrt die Männer, dass Frauen Besitz sind, und die Frauen, dass sie nur außen zählen?
Wer hilft uns, die Welt zu vernichten, um das Quartalsziel zu erreichen?
Wer schreibt unser Manifest des Wachstums, wessen gnädiger Liebesentzug ist der Motor unserer Selbstzerstörung?
Wer pflegt die heimelige Flamme unseres Burnouts, gießt die Gärten unserer Krebszellen?
Wem verdanken unsere Kinder die zugeteerten Wiesen und die aus Wäldern geschlüpften Wohnbetonkomplexe?
Wer ernährt unsere Ärzte mit Adipositasdesserts und Neurosendelikatessen, unsere Vorstände mit Fertigsklaven und die Universitäten mit Bildungslasagne?
Welche Hungersnot der Reichen hält allein dein heilsbringender Fleischwolf im Zaum, welche Ausbeute bliebe uns ohne die Benevolenz deiner Ausbeutung?
Was hält uns am Leben, wenn nicht deine Unersättlichkeit?
Kein Wunder
Gedichtet schon vor zwei Jahren, Oktober 2016. Hat sich nichts geändert seitdem.
Ich bin unabhängiger Autor, Übersetzer und Lektor. Wenn ihr glaubt, dass ich euch bei etwas helfen kann, schreibt mir einfach an chrisloveswords@gmail.com.