Die „Bestimmerposition“ und andere moderne, kundenzentrische Betrachtungsweisen der Mobilität

Victoria Jaeger
Going Yellow
Published in
3 min readSep 12, 2019

Die VW-Finanztochter will das Geschäft mit Mobilitätsdienstleistungen aufmischen und zu einem „Dominator des Mobilitätsökosystems“ werden. Der Ansatz verrät aber vor allem überholte Ideen und alte Konzepte.

Für die VW Finanztochter geht es laut Handelsblatt um die Aufmischung des Geschäfts mit Mobilitätsdienstleistungen, doch wie genau wollen sie das anstellen? Sollte es nicht eigentlich darum gehen, Mobilitätsdienstleistungen konsequent neu und kundenorientiert zu denken und alte Gedanken- und Handlungsmuster bewusst zu hinterfragen und zu durchbrechen?

Wartungsverträge z. B. sind natürlich im fahrzeugbezogenen Sinne eine Mobilitätsdienstleistung — dennoch geht es bei ihnen, wie bei Reifendienstleistungen auch, in erster Linie um die Förderung des Absatzes von Autos. Ist es aber wirklich in Zeiten des neuen Wettbewerbs und der neuen Kooperationen noch zeitgemäß, den Anspruch zu haben, „Dominator des Mobilitätsökosystems“ zu werden (was nebenbei bemerkt impliziert, es gäbe nur eines)?

Alleinherrschaften sind schon lange nicht mehr das, was sie einmal waren. Dafür vermischen sich aktuell die Industrien viel zu sehr. Und auch das Involvement von Software, Data Analytics oder Consumer Electronics nimmt so stark zu, dass etablierte Unternehmen ihr Portfolio neu und konsequent kundenorientiert denken und umstrukturieren und aus ihrer Komfortzone heraustreten müssen, um mithalten zu können.

Es geht darum, das Altbewährte nicht über Bord zu werfen, sondern das Neue anzunehmen und mit unbequemen Wahrheiten zu arbeiten — und diese in Produkte und Angebote zu übersetzen, insbesondere wenn es um den Kundenkontakt geht. Die richtigen Ansätze sind bereits da: „Inzwischen seien Dienstleistungen für das Geschäft viel wichtiger als der Neuabsatz von Fahrzeugen“, schreibt das Handelsblatt. Doch die Übersetzung dieser Erkenntnis in eine klare Strategie ist bislang nicht direkt ersichtlich.

Dass das Fahrzeug ein wichtiger Verkehrsträger bleiben wird, steht wohl außer Frage. Doch das Potenzial der markenneutralen Financial Services, weitergehende „bewegungszentrierte“ — statt bloßer fahrzeugbezogener Dienstleistungen — anzubieten, wird bisher noch nicht ausgeschöpft. Somit stellt sich die übergreifende Frage, ob die Steuerung des Unternehmens nach Anzahl der Kundenverträge ein zeitgemäßer KPI ist, um es fit für die Zukunft und den Wettbewerb zu machen. Das Serviceangebot, die Kundenzufriedenheit und eine konsequente Orientierung hieran wären zumindest weitere wichtige Komponenten.

Wer zu einem „Dominator“ werden will, muss strategisch kooperieren und seine Plattformstrategie auf den neusten Stand bringen, intuitive Interaktion forcieren, einen klugen Zusammenhang zwischen Kernprodukten und neuen Services schaffen und neue Kundengruppen erschließen. Und er muss vor allem lernen, Fehler zu machen, den Blick in den Markt wagen und mit kleinen Schritten gemeinsam über Kooperationen und Partnern anfangen.

Kein Produkt ist ohne Iterationen direkt ein Erfolg und muss es auch nicht sein, dieser Anspruch jedoch behindert Effizienz und eine schnelle Reaktion auf Marktgegebenheiten — und hat ganz nebenbei diverse kulturelle Implikationen, etwa wenn es um Fehlerkultur und den nötigen Raum für frische Ideen geht.Da stellt sich die Frage, wie die VW Financial Services AG (die mit „The key to mobility“ eigentlich bereits den richtigen strategischen Claim trägt) auf Dauer mit den alten und neuen Wettbewerbern umgehen will — wie der kürzlich umbenannten Daimler Mobility. Die hat zum Beispiel bereits e-scooter in ihre intermodale App ReachNow integriert und betrachtet Städte und Kommunen schon heute als Kunden.

Die VW Financial Services muss entscheiden, wie sie sich strategisch im freien Mobilitätswettbewerb positionieren will — eine spannende Aufgabe, die im Grundsatz auf alle der so kapitalintensiven „captives“ in dem Bereich zukommt. Mit Wartungsverträgen, Reifen-, Park- und Fuhrparkdienstleistungen für Einzel- oder Flottenkunden allein ist das sicher nicht zu machen.

Victoria Jäger ist Consultant bei TLGG Consulting in Berlin.

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