Es krankt an der Digitalisierung

thorsten schroeder
Going Yellow
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4 min readJun 3, 2019

Dank des Internets ist der Patient von heute besser informiert als jemals zuvor. Die Digitalisierung verändert auch das Verhältnis zu Ärzten und Apothekern. Doch eine Studie des Umfrageportals Civey und der Berliner Digitalberatung TLGG Consulting zeigt: Bislang werden die Möglichkeiten, die neue Technologien in der Gesundheitsberatung bieten, kaum genutzt.

Schnell mal eine E-Mail oder Whatsapp-Nachricht an den Arzt schicken, wenn der Hals weh tut oder es eine Frage zu den Nebenwirkungen des neuen Medikaments gibt: Genauso, wie wir mit Freunden und Familie ständig auf virtuellem Wege kommunizieren, verkürzen E-Mail, SMS und Messenger auch die Distanz zum Gesundheitsdienstleiser — zumindest theoretisch.

Denn in der Praxis ist der virtuelle Kontakt mit dem Arzt oder Apotheker in Deutschland noch immer die Ausnahme. In einer gemeinsamen Studie des Umfrageportals Civey und der Berliner Digitalberatung TLGG Consulting haben 80,9 Prozent der Befragten erklärt, noch nie mit ihrem Arzt, Therapeuten oder Apotheker auf per E-Mail, Messenger oder Video-Telefonie kommuniziert zu haben.

Noch deutlicher sind die Zahlen auf dem Land: 84,9 Prozent der Befragten haben dort noch nie davon Gebrauch gemacht. Auch in der Stadt ist der virtuelle Kontakt noch immer die Ausnahme: 73 Prozent geben an, die neuen digitalen Möglichkeiten bislang nicht zu nutzen. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es: 12,7 Prozent haben immerhin bereits per E-Mail-Kontakt mit ihrem Gesundheitsdienstleister gehabt.

Vielen Ärzten fehle das Wissen, wie sie digitale Dienstleistungen anbieten können und verharrten deshalb im Status Quo, erklärt Gesundheitsexperte Matthias Mirbeth von TLGG-Consulting. Dabei seien Ärzte heute nicht mehr „Halbgötter in Weiß“, sondern Teil eines Ökosystems aus aufgeklärteren Patienten und digitalen Lösungen. „Viele haben nicht verstanden, dass sich ihre Rolle im Gesundheitssystem verändert hat“, so Mirbeth. Noch sei der Druck nicht groß genug, den Status Quo zu verändern.

Derzeit seien es vor allem jüngere Patienten, die offen für virtuelle Kommunikationswege seien, meint Wolfgang Deiters, Experte für Gesundheitstechnologien an der Hochschule für Gesundheit (hsg) in Bochum. Bei den Älteren aber sei das Thema noch kaum angekommenn. Trotzdem glaubt er: Virtuelle Gesundheitsleistungen haben ein enormes Zukunftspotential.

Bei den Städtern überwiegt die Skepsis

„Die Leute haben schlicht keine Lust, unnötig im Wartezimmer zu sitzen“, so Deiters. Dienstleistungen, die die Menschen aus anderen Bereichen längst kennen, erwarteten sie immer stärker auch bei der medizinischen Besorgung. Ärzte, die heute etwa per Whatsapp erreichbar seien, erhielten alleine schon deswegen häufig positivere Bewertungen im Netz. „Aber noch fehlt es vielerorts am Angebot.“

Dabei ist die Skepsis auch auf Patientenseite noch groß, wenn es darum geht, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Bei der Frage, ob sie ihre Gesundheitsdaten mit ihrer Krankenkasse teilen würden, wenn sich im Gegenzug ihre Beiträge senken, sind die Deutschen noch immer tief gespalten. Lediglich 45,9 Prozent der Befragten können sich laut der Umfrage vorstellen, ihre Daten zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. 43,9 Prozent würden dies nicht tun. Etwas größer ist die Bereitschaft auf dem Land (54,4 Prozent). Bei den Städtern dagegen überwiegt die Skepsis: nur 43,0 Prozent aller Befragten würden sich auf den Tauschhandel einlassen.

Trotz der aktuellen Zurückhaltung gebe es in den vergangenen Jahren einen Trend, der sich kaum aufhalten lasse, meint Gesundheitsexperte Deiters. Vor allem im präventiven Bereich sehe er großes Potential für mehr digitale Angebote. Schon heute würden etwa Fitnesstracker und Smart Watches viele Daten zum Verhalten sammeln, die zum Teil an Versicherungen übermittelt und für Rabatte oder Vergünstigungen genutzt würden.

Den größten Handlungsbedarf sieht Deiters bei der Digitalisierung von Patientendaten. „Dies ist die erste große Baustelle, ohne die auch an vielen anderen Stellen nichts vorangehen kann“, erklärt der Experte. Doch die Hürden dafür sind hierzulande groß. Es gebe im Gesundheitssystem ein „sehr zersplittertes System der Selbstverwaltung“. Die Branche könne zudem selbst nur schwer einschätzen, welche Rolle sie nach einer umfassenden Digitalisierungswelle einnehme. Das schrecke viele ab, zu progressiv zu sein.

Dänemark ist Deutschland Jahrzehnte voraus

Andere Länder seien Deutschland in diesem Bereich weit voraus. In Dänemark etwa seien die Patientendaten schon vor zehn Jahren digitalisiert worden. „Heute ist das dort so selbstverständlich, dass niemand mehr darüber spricht.“ Während es unter Ärzten in Deutschland noch immer einen großen Widerstand gegen digitale Dienste gebe, zeigten vor allem die Jüngeren inzwischen mehr Bereitschaft etwa für Online-Sprechstunden. „Sie sehen es zunehmend als Erweiterung ihrer Dienstleistung“, meint der Experte.

Der Wandel könne hierzulande nicht nur durch die Politik kommen. Auch Bürger und Patienten müssten den Druck auf die Dienstleister erhöhen, indem sie selbst vermehrt digitale Dienste nutzten. „Wenn der Arzt meinen Blutdruck messen will und ich ihm sage, dass ich das mit meiner Uhr ohnehin jeden Tag tue, dann kann er das nicht mehr ignorieren“, meint Deiters.

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thorsten schroeder
Going Yellow

Consultant TLGG; enthusiast of all things tech, politics and media. Former journalist and US correspondent.