Facebook lässt sich nicht wegregulieren

TLGG Consulting
Going Yellow
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5 min readApr 8, 2019

Von Sebastian Marino Gluschak

Photo by William Iven on Unsplash

Die Politik hat die Regulierung der Tech-Unternehmen genauso verschlafen wie die des Wohnmarktes. Die Rufe nach „Zerschlagen“ und „Enteignen“ sind ein Zeichen für Hilflosigkeit.

Lange Haare, Batikhemden, und eine Menge Butterbrote im ausgeleierten Rucksack, protestierend vor den Gebäuden der mächtigen Institutionen — so mag man sich die Fraktion ausmalen, die üblicherweise von Enteignungen und Zerschlagungen spricht.

2019 sieht das anders aus. Da fordern eine US-Präsidentschaftsbewerberin und eine EU-Kommissarin auf der Digitalkonferenz SXSW im texanischen Austin vor versammelter Tech-Gemeinde diese drastischen Maßnahmen. Sie sprechen ganz offen von einer Entflechtung der „Big-Tech“-Unternehmen um Facebook, Amazon und Apple. Und es gibt keinen Eklat, sondern Applaus.

Im Ersten Deutschen Fernsehen findet eine ähnliche Debatte statt, auch hier sollen große Unternehmen entmachtet werden. Es sind nicht Facebook oder Google, sondern die mächtigen Wohnungsgesellschaften im überquellenden Berlin. Justizministerin Katharina Barley sagt vor fast drei Millionen Zuschauern, Enteignungen seien „ein sehr scharfer Eingriff“, den sie aber „nicht verteufeln“ können. Es bleibt also eine Option, die dem Umfrageinstitut Forsa zufolge 44 Prozent der Berliner begrüßen würden. Das können nicht nur Linksradikale sein.

Was bitte ist passiert — ist die Planwirtschaft wieder in? Und was hat die Digitalwirtschaft mit dem bodenständigen Wohnungssektor gemein, dass beiden solche Extremmaßnahmen drohen?

Lange haben Politiker und Aktivisten viel zu passiv zugesehen, wie Konzerne neue Realitäten schaffen

Zerschlagen, Enteignen, das sind staatliche Eingriffe, die in der sozialen Marktwirtschaft als Ultima Ratio gelten. Dass sie derzeit inflationär gebraucht werden, ist deshalb auch ein Zeichen von Schlafmützigkeit: Lange haben Politiker und Aktivisten viel zu passiv zugesehen, wie Konzerne neue Realitäten schaffen. Solange, bis nur noch die Hoffnung auf eine schöpferische Zerstörung bleibt. Bei so mächtigen Spielern klingt das aber nicht nach einem klugen Neuanfang.

Die Gefahr dieser Mechanik ist eine viel Größere. Die Durchdigitalisierung ganzer Industriezweige steht uns kurz bevor, und damit immer wieder die Frage: Wie gehen wir damit um? Hoffentlich nicht mit der Dynamitstange.

Bei den großen Tech-Konzernen ist es ja so: Lange unterschätzte man die Macht der Daten, jetzt ist man ohnmächtig.

Wenn Politiker von den US-Internetunternehmen sprechen, ist wahlweise von sozialen Medien (Facebook), Online-Handel (Amazon) oder eben Google die Rede. Als wären es einfache, abgeschlossene Transaktionen, für die Menschen sie nutzen, als wären sie austauschbar: Statt eines Briefes schicke ich heute eine Facebook-Nachricht, und statt im Brockhaus zu wälzen schaue ich mal bei Google nach. Nein, das Internet ist konstitutiv für die Realität unserer Generation: Fast fünf Stunden täglich verbringen Deutsche ihre Zeit online. Das Virtuelle ist eine gleichberechtigte Realität, wir leben auch digital. Seit 2013 ist es per BGH-Beschluss ein Grundrecht, das — zumindest in Deutschland — per Netzneutralität gewahrt wird.

Lange unterschätzte man die Macht der Daten, jetzt ist man ohnmächtig

Dabei hätte die Tatsache, dass die Giganten aus dem Silicon Valley monopolistische Ansprüche hegen, die Gesetzgeber nicht überraschen müssen. Das liegt im Kern der Plattformökonomie und wird befeuert von den Aktienmärkten, denen sie dienen. Wenn Facebook für 19 Milliarden Dollar Whatsapp kauft oder für 3 Milliarden Dollar die Virtual-Reality-Firma Oculus Rift, steht dahinter ein sehr viel größeres Ziel als das, ein „soziales Medium“ sein zu wollen. Googles Muttergesellschaft Alphabet investiert seit Jahren in Themen, die fernab von ihrem Kerngeschäft sind — seien es selbstfahrende Autos, regenerative Energien oder auch Smart Cities. Und Amazon hat vielleicht mit Büchern angefangen. Heute aber vertreibt der Gigant nahezu alles online, betreibt eigene Entertainment-Angebote und Kleidungsmarken und macht sein Geld vor allem mit Server-Diensten, die ein Drittel des Internets befeuern.

US-Senatorin Elizabeth Warren hat diesen Punkt pünktlich zum Wahlkampfauftakt medienwirksam aufgegriffen: Internetfirmen sollen sich entscheiden: Sind sie Plattform und Mittler, oder Anbieter von Produkten? Wer beides macht — also im Grunde alle großen Plattformanbieter — solle zerschlagen werden. Jubel bei der Netzgemeinde!

Das ist ein so drastisches wie polarisierendes Mittel. Zum einen könnte man argumentieren, dass polarisierende Impulse in der heutigen Zeit das Letzte sind, was wir brauchen. Weniger spekulativ und fast noch wichtiger: Was Ihr, liebe Macher und Forderer von Gesetzen, verschlafen habt, ist eine proaktive Debatte um wünschenswerte Zukünfte im digitalen Zusammenleben.

Wie bekommen wir die soziale Marktwirtschaft in das Internetzeitalter übersetzt?

Wie bekommen wir die soziale Marktwirtschaft in das Internetzeitalter übersetzt? Dezentrale Technologien und Identitäts-Software zu fördern ist konstruktiver als erfolgreiche Unternehmen zu bestrafen. Merkel’s „Das Internet ist für uns alle Neuland“ wurde stark belächelt — scheint aber aktueller denn je.

Das Internet ist heute längst ein Grundbedürfnis, dessen größte Repräsentanten global in der Kritik stehen, weil sie viel Erfolg haben. So viel, dass sie auch andere grundlegende Rechte angreifen und die Verantwortlichen vor neue Fragen stellen. Denn da, wo Technologieunternehmen und Start-ups viele Jobs kreieren, wollen auch immer mehr Menschen wohnen, die die Immobilienpreise in die Höhe treiben. Und dann ereilt großen Immobilienunternehmern ein ähnliches Schicksal die den Tech-Konzernen.

Zum Beispiel in Berlin, wo die Quadratmetermiete von 5,15 Euro (2008) in zehn Jahren auf 9,91 Euro anstieg. Vorschub leistete der Entwicklung ein regelrechter Ausverkauf der Berliner Kommunalwohnungen: Von einst 482.000 (1990) waren 2005 nur noch 273.000 übrig, ein signifikanter Teil davon ging an internationale Fondsgesellschaften. Sie verwalten Grundbedürfnisse und müssen Quartalsprofite liefern. Niemand kann wirklich verwundert sein, dass die Preise steigen. Und auch hier diskutiert niemand glaubhaft Lösungen außerhalb der Extreme. Intensivförderung für genossenschaftlichen Wohnungsbau, modulare Dachaufstockungen, das Ersetzen von Maklern durch digitale Kanäle — alles Expertenvorschläge für einen wünschenswerten Wohnungsmarkt, die wenig Gehör finden.

Stattdessen schwingt der Enteignungshammer drohend in der Luft und spaltet die Gemüter. Eine Volksbegehren und der linke Regierungsflügel fordern die Vergesellschaftung von Wohnungen, deren Besitzer mehr als 3.000 Wohneinheiten besitzen. Man will also auch hier das Problem kleiner hacken, statt sich mit einer Lösung zu befassen.

Groß denken, Visionen aufzeigen, keine Angst haben

Dabei könnten sich die Gesetzgeber bei ihren Debatten ausgerechnet vom Silicon Valley etwas abschauen. Groß denken, Visionen aufzeigen, keine Angst haben — mit diesen Grundsätzen haben es die Firmen erst zur Weltherrschaft geschafft. Die gleichen Attribute sind es, die wir jetzt brauchen, um einen wertebasierten Weg in die Zukunft zu gestalten, statt reaktiv zu protestieren.

Sonst werden Internet und Wohnen erst der Anfang gewesen sein. Die zunehmend kommodifizierte Elektromobilität etwa wird ebenfalls mit extremen Datenmengen und konsolidierenden Märkten konfrontiert sein. Pharma-Konzerne werden zukünftig weniger Medizin verkaufen als datenbasiert Prävention leisten und möglicherweise biotechnische Services anbieten, die heute moralische Fragen aufwerfen. Auch der öffentliche Sektor wird gezwungen sein, all seine Dienste zu digitalisieren. Wie lauten hier die wünschenswerten Zukunftsszenarien?

Die erste Welle haben wir verschlafen. Die neuen Technologietrends bieten jetzt die Chance, es dieses Mal besser zu machen.

Sebastian Marino Gluschak ist Consultant bei TLGG Consulting in Berlin.

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