Umweltbewusste Mobilität: Auf dem Land geht es einfach nicht

Sebastian Marino Gluschak
Going Yellow
4 min readMay 27, 2019

--

Carsharing, Elektroautos, autonomes Fahren: Kaum eine Branche verändert sich durch neue Technologien so sehr wie die Mobilität. Experten diskutieren futuristische Szenarien, die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Eine Befragung von Civey und TLGG Consulting zeigt jetzt: Die Bedürfnisse zwischen Stadt und Land gehen weit auseinander — und das eigene Auto ist noch lange nicht ausgestorben.

Liest man dieser Tage Artikel zum Thema Mobilität, so liest man vor allem Artikel zum Thema Zukunft. Visionen von vernetzen Flotten, selbstfahrenden Autos und neuen Antriebstechnologien dominieren den Diskurs, und Automobilhersteller beschäftigt die Frage, wie sie sich in Anbetracht der neuen Möglichkeiten positionieren sollen. Alle scheinen sich einig: Nicht mit dem Verkauf von Fahrzeugen, sondern mit der Bereitstellung von Mobilität wird schon sehr bald das meiste Geld verdient.

Umso überraschender ist da die Erkenntnis einer Umfrage von Civey und TLGG Consulting, dass — noch immer — 76 Prozent der Bevölkerung den Besitz eines Autos für notwendig halten.

„In vielen ländlichen Gebieten ist der Verzicht auf das eigene Fahrzeug einfach undenkbar“, erklärt Sabrina Meyer von Door2Door, einem Berliner Startup für innovative Mobilitätsservices. In den vergangenen Jahren sei das Angebot auf dem Land für öffentlichen Nahverkehr stark geschrumpft. Das liegt zum einen am demografischen Wandel — zunehmend wollten Leute in Städten leben — sowie an Sparmaßnahmen der Kommunen. “Alle sieben Jahre wird Mobilität neu ausgeschrieben, viele Stadträte denken sich bei sinkender Nachfrage dann: Da mache ich Bedarfsmobilität draus! Oft bedeutet das für Bürger dann leider Nullmobilität, weil es keine Alternativen zum Auto gibt.“

Entsprechend auch das Studienergebnis: Während nur rund 50 Prozent der Befragten aus Gebieten mit extrem hoher Bevölkerungsdichte das eigene Auto als notwendig betrachten, sind es im ländlichen Bereich satte 89%. Die Umfrage bestätigt auch den Verdacht, dass junge Menschen viel eher auf das eigene Auto verzichten können. „Das ist jedoch ein Trugschluss, das bleibt nicht so“, sagt Meyer. „Sobald Menschen Familien gründen, ändern sich Bedürfnisse und Lebensumstände, und das Auto wird wieder relevanter.“

Erst kommt die Mobilität, dann der Umweltschutz

Die fehlenden Mobilitätsalternativen auf dem Land seien auch ein Problem hinsichtlich des Klimaschutzes, sagt Verkehrswissenschaftler Andreas Knie von der TU Berlin. „Gerade dort sind die Auslastungsraten sehr niedrig, oft sitzt nur eine Person im Auto.“ Die Umfrage zeigt: Auf dem Land sind Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit für mehr als 60 Prozent der Befragten die wichtigsten Auswahlkriterien für die Fortbewegung — Umweltverträglichkeit ist hingegen nur für rund 5 Prozent das wichtigste Thema. In starken Ballungsräumen ist dagegen eine Vielzahl von Faktoren relevant, darunter auch Komfort und Preis. Umweltverträglichkeit nennen hier 16 Prozent der Befragten als wichtigstes Kriterium.

Das ist ein Problem. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung lebt im ländlichen Raum, fast 70 Prozent in Gemeinden und Städten unter 100.000 Einwohnern. Wenn Deutschland seine Klimaziele einhalten will, muss nachhaltige Mobilität flächendeckend umgesetzt werden. Denn Umweltverträglichkeit lässt sich nur da fordern, wo Alternativen vorhanden sind. Nach heutigem Stand fehlt auf dem Land aber die nötige Infrastruktur. Ob E-Scooter, Elektrobikes, Carsharing-Angebote oder eben autonome Fahrzeuge — bislang scheint alles auf die Stadt zugeschnitten zu sein.

Dabei sieht Andreas Knie aber gerade auf dem Land großes Potential vor allem für autonomes Fahren. „Je geringer die Bevölkerungsdichte, desto reizärmer ist meist der Verkehr. Selbstfahrende Fahrzeuge können sich also viel eher durchsetzen. Dadurch gibt es dann auch wieder ganz neue Opportunitäten für Sharing-Services“, sagt Knie. Seine Vision: eine viel höhere Auslastung der Autos und weniger Besitzansprüche. Gepaart mit E-Mobilität aus regenerativen Energien werde dies ein merklicher Hebel im Kampf gegen den Klimawandel sein, so der Verkehrsexperte.

Ohne die Politik geht gar nichts

Neben neuen Mobilitätsangeboten und angepassten Nutzerverhalten fordern die Experten eine klare Förderung der digitalen Infrastruktur. „Natürlich brauchen wir lückenloses, mobiles Internet”, sagt Knie. Zudem müssten die Landräte proaktiv den Wandel vorantreiben, denn Mobilität sei Kommunalpolitik. “Da gibt es momentan kaum Impulse, und auch keine Sensibilisierung der lokalen Politiker.” Auch die Bundespolitik sei trotz innovativer Maßnahmen im Kern noch im alten Denken verhaftet: Ein Bürger, ein Auto.

Für Sabrina Meyer mangelt es bei Projekten auf kommunaler Ebene bislang an Ernsthaftigkeit und Überzeugung. „Oft werden Carsharing-Projekte über zwei bis drei Jahre pilotiert, ausgewertet und dann wieder eingestampft“, sagt sie. „Die Landräte sehen das als schlichte Kosten-Nutzen-Rechnung, dabei sollten sie es als langfristige Investition in die Zukunft begreifen.“

Die Umfrage von Civey und TLGG Consulting ergab auch, dass der Preis bei der Wahl des Fortbewegungsmittels keine entscheidende Rolle spielt. Wenn am Ende der Preis unserer Mobilität nicht unsere Umwelt sein soll, gibt es jede Menge Löcher zu stopfen.

--

--

Sebastian Marino Gluschak
Going Yellow

Consultant at TLGG. Freelance writer. Founder of KANCHA. Besides: Gangster rap and ceviche.