Lasst uns über Kooperation und Bürokultur sprechen

Matthias Grotzke
Goodpatch Global
Published in
8 min readJun 7, 2017

Guys and Gals, Damen und Herren, Mesdames et Messieurs, 皆様 …

Wenn man über sechs Monate damit verbringt, zwischen Berlin, London, Tokio und Paris zu pendeln, dann hört man sich irgendwann selbst über den Service skandinavischer Airlines oder den besten Ramen in Shibuya reden. Ätzend und irgendwie elitär, aber ich hatte nunmal die Möglichkeit verschiedene Städte, Firmen und ihre Bürokulturen kennenzulernen. Zuerst dachte ich, es macht keinen Unterschied in Berlin oder sonst wo zu arbeiten — solange mein Team und das Projekt das Selbe bleibt. Am Ende war ich natürlich schlauer.

Manchmal wählst du nicht die Stadt, die Stadt wählt dich.

Vorab vielleicht noch ein paar Worte zum Kontext. Ich bin Design Lead bei Goodpatch, ein Studio für digitale Produkte. Uns gibt es in Tokio, Berlin, München and Taipeh. Manchmal teilen wir Projekte und Ressourcen unter den Büros, so auch dieses Mal. Ein Auftraggeber aus dem Automobil-Bereich fragte nach unserer Unterstützung und wir stellten ein Team, das den speziellen Anforderungen entsprach, zusammen.

Anstatt aber nur an einem Ort und Arbeitsplatz zu sitzen, war unser Team über zwei Kontinente, vier Städte und verschiedenen Zeitzonen verteilt.

Als Designer in Berlin

Fangen wir in Berlin an. Ich habe hier schon viele verschiedene Büros erkundet. Ich habe als Freelancer für klassische Firmen, kleine Designstudios und große Agenturen gearbeitet. Nur deshalb konnte ich irgendwann meine ideale Arbeitsumgebung definieren. Ich fand den Jackpot — das Studio, das am besten zu mir und meinen aktuellen Lebensumständen passt.

Die optimale Bürokultur mit einem jungen Team und Leuten aus aller Welt zu finden, ist ein hartes Brot und beschäftigt uns bei Goodpatch seit den ersten Tagen. Ein Teil unseres Workflows ist die Umsetzung von Holacracy und verschiedenen Rollen für jede Person. Es ist eine andauernde Bewertung und Anpassung an jeweilige Bedürfnisse und Umstände. Klingt aber komplizierter als es ist.

Unser Berliner Büro aufgräumt und rausgeputzt wie für ein Stockphoto.

Um allen Mitarbeitern ein attraktives und inspirierendes Umfeld zu schaffen, haben sich bereits mehrere Formate etabliert. Abstrakt klingende Events wie Pizzapatch, Design Review oder Wake-up-Keynote sind das Eine. Deutschunterricht für internationale Kollegen, die Möglichkeit Ideen und technische Experimente durchzuführen oder das Budget für Konferenzen das Andere.

Wir haben also interne und externe Veranstaltungen, um mehr Wissen und Verständnis zu erlangen. Einige Kollegen organisieren Meet ups oder Stände auf Konferenzen. Andere werden Design-Mentoren für junge Startups.

Es klingt vielleicht ein bisschen kitschig, aber wir versuchen unser Wissen über User Centered Design auf europäischem Boden (und vor allem in Berlin) zu teilen. Ich weiß, dass wir mit diesem ehrgeizigen Ziel nicht die Ersten sind, aber die Kreativwirtschaft wächst und es ist viel Platz für Kollaboration.

Achtung Überleitung: Stichwort „Kollaboration“. Das bringt mich zu dem nächsten Punkt, der nächsten Stadt und der nächsten Arbeitsumgebung.

Austausch und Inspiration in London

Das erwähnte Automobilprojekt führte uns also nach London. Der Hersteller hatte bereits eine Partnerschaft mit einem englischen Studio. Das Projekt wurde aber schlichtweg zu groß und verlangte mehr Präsenz vor Ort, um es nur mit einem Partner zu stemmen.

Deshalb sind wir ins Projekt gekommen. Es galt den gleichen Sprint-Rhythmus zu übernehmen und mit diesem im Anschluss in Japan fortzufahren.

Auf dem Weg zum Pub in Shoreditch — as usual.

Es war eine sehr heikle Situation, denn wir von Goodpatch kamen ins Königreich, um für einen Monat mit – und in – einem anderen Produktstudio zu arbeiten.

Der Austausch zwischen zwei Agenturen für einen Auftraggeber ist nicht ungewöhnlich, aber in diesem Fall war es ein bisschen anders. Unsere beiden Studios haben ein sehr ähnliches Profil und eine ähnliche Haltung— wir nennen uns Product Studios und arbeiten an Kundenprojekten, aber auch an eigenen Produkten. Bevor wir mit dem Projekt anfingen, hatte ich Angst vor Revier- und Machtkämpfen.

Zu meiner Überraschung gab es genau diese aber eben nicht. Dank deckungsgleicher Auffassung von Kollaboration, haben wir unsere Aufgaben ergänzt und bauten ein größeres und globales Team auf.

Aber zum Glück gibt es auch einige Unterschiede. Das Londoner Studio ist ein paar Jahre älter und größer als unseres. Dieser Fakt war für mich wirklich sehr interessant, weil ich sicher war, dass die Jungs und Mädels schon viele Hürden genommen hatten, die wir noch vor uns haben. Also hieß es zusehen, zuhören und lernen.

Die Projekt- und Ressourcenplanung ist beispielsweise anders. Die Teammitglieder aus London haben im Vergleich sehr spezifische Rollen und Aufgabenbereiche. In unserem Berliner Studio ist es immer noch wichtig, mehr als eine Rolle abzudecken. Wenn es um Design und tägliche Büroaufgaben geht, müssen wir öfter generalistisch sein. Gibt es keinen Experten für Icons – dann musst du der Experte werden. Braucht dein Büro neue Meetingräume – dann musst du darüber nachdenken. Wir müssen anpassungsfähig sein. Und für mich war das einer der spannendsten Punkte, warum ich zu Goodpatch gekommen bin.

Den Ursprung in Tokio finden

Stop. Warum sind wir jetzt in Tokio? Wer die Zeilen am Anfang nicht zur überflogen hat, der weiß, dass der Auftraggaber und unser Produktstudio aus Japan stammen. Beide haben hier ihren Ursprung.

Goodpatch wurde 2011 in Tokio gegründet und ist ein bisschen anders als die meisten japanischen Unternehmen. Vielleicht bist du mit den Kulturunterschieden vertraut. Ich war es jedenfalls nicht, bevor ich zu Goodpatch kam. Ich sah also zwei große Herausforderungen auf mich zukommen. Eine war offensichtlich die japanische Kultur, mit all den subtilen Unterschieden auf der zwischenmenschlichen Ebene kennenzulernen.

Jeden Tag lernte ich etwas Neues. Mal war es ein japanisches Wort, mal eine unausgesprochene Verhaltensregel oder auch mal “How to operate a high tech washlet”. Ich dachte, ich verstehe von Tag zu Tag mehr, aber eigentlich wusste ich, dass ich mit jeder neuen Einsicht immer weniger weiß – zu komplex für mich Schmalspureuropäer.

fun vs. frustration — mehr Eindrücke gibt es auf unserem Tumblr

Die Kultur und das zwischenmenschliche Verhalten haben so viele Schichten. Vergiss' es, als „Gaijin“ alle davon zu erlernen.

Die andere Herausforderung bestand darin, das berufliche Umfeld während meines Arbeitstages im Auftraggeberbüro zu verstehen. Wir bei Goodpatch händeln die Dinge wie gesagt ein bisschen anders als normale japanische Unternehmen. Unser Gründer Naofumi Tsuchiya bezog seine Inspiration vom Silicon Valley und kommunizierte diese in Japan. Platt ausgedrückt, haben wir eine Design-getriebene Kultur und bringen diese zu unseren Auftragegbern, wenn sie danach fragen.

Große Corporates schätzen diese Unterschiede und bitten uns, unsere Denkweise, den Workflow und die Bürokultur in ihre Organisation einzuführen. Dies war einer der Gründe, warum der Automobil-Hersteller zu uns kam, neben der Kreation eines Produktes. Der Versuch, den User-zentrierten Ansatz zu einer etablierten Firma zu führen, läuft in Japan ein bisschen anders. Es sind nicht nur die Unterschiede in der täglichen Arbeitsweise im Vergleich zu Start-ups — scrum, agile dies das. Den größten Aha-Moment hatte ich, als es um Entscheidungsfindung ging. Das genaue und feinste Abwägen von alle Parteien war das höchste Gebot – try and error ist da nicht.

Für mich war es nicht leicht, das Gleichgewicht zwischen Adaption und Respekt zur lokalen Kultur und dem bewussten Bruch zum Arbeitsablauf der japanischen Kollegen zu finden. Ich bin immer noch nicht sicher, wie oft ich die unsichtbare Linie überschritten habe und mein Feedback nicht ehrlich sondern respektlos ankam.

Aber das ganze Designteam von London, Berlin und Tokio war inzwischen so aufgeschlossen und gut eingespielt, dass es rückblickend ein wahnsinniger Erfahrungsgewinn war, durch all diese Höhen und Tiefen zu gehen.

Freunde werden Kollegen und Kollegen werden Freunde. Greatings to Felikashi!

Aber Tokio sollte ja nicht der letzte Stop sein. Unsere nächste Mission war es, diese Designkultur nach Paris zu bringen. Hier sitzt ein Geschäftspartner unseres Auftraggebers und auch wenn Frankreich ein Nachbarland ist, werden einige Dinge doch sehr unterschiedlich gehandhabt. Wir machten trotz alledem dasselbe wie in Tokio: zeigen und beweisen, dass Design das Business belebt.

Ich habe ja eingangs geschrieben, dass ich angenommen hatte, es mache keinen Unterschied in London, Berlin, Paris oder Tokio zu arbeiten. Nun, ja und nein. Es hängt von deinen Prioritäten ab. Die gelebte Bürokultur und das Team ist eine Sache. Aber das ganze Ökosystem und dein Alltag um dich herum, ist etwas anderes und beeinflusst deine Stimmung enorm. Ich hatte angenommen, in meinen vergangenen Jahren schon viele verschiedene Arbeitsumgebungen kennengelernt zu haben. Aber die Erfahrung dieser sechs Monaten in vier Hauptstädten war nochmal eine Schippe drauf.

Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, so viele Dinge zu entdecken: Ein inspirierendes Produktstudio in London, ein freundliches und vertrauensvolles japanisches Unternehmen und einen krassen Teamzusammenhalt unserer Büros in Berlin und Tokio. Jetzt weiß ich, dass es ein laufender Prozess ist, die richtige Arbeitsumgebung zu finden. Es hört nie auf neue Dinge zu entdecken, zu optimieren oder zu integrieren.

Ich weiß nun einmal mehr, dass wir auf niemanden warten müssen, um unser Arbeitsumfeld an unsere Bedürfnisse und Anforderungen anzupassen. Egal ob unsere eigene Bürokultur oder die beim Auftraggaber — einfach machen.

Mehr kommentarlose Eindrücke von den Reisen gibt es auf unserem Tumblr.

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Matthias Grotzke
Goodpatch Global

Car enthusiast and UI/UX Design @ MBition (part of Mercedes-Benz) and curious about brand interaction, user experience, storytelling, mobility and urbanity.