Wie es gelingt, Government Tech transparent und zugänglich zu machen

Das GovTech-Universum ist komplex und intransparent. Für öffentliche Verwaltungen bleiben neue digitale Lösungen so oft unzugänglich und Entscheidungen über ihren Einsatz schwierig. Aber das muss nicht so sein: Mit dem richtigen Ansatz lässt sich GovTech entschlüsseln und nutzbar machen.

Manuel Kilian
GovMind
7 min readAug 30, 2020

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GovTech ist ein Sammelbegriff für alle digitale Lösungen (meint synonym: Anwendungen) im Kontext von öffentlichen Verwaltungen, öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen Dienstleistungen. Damit funktioniert GovTech anders als gängige Industrie-Verticals wie FinTech oder HealthTech. Das hat zwei Gründe:

  • Bei GovTech handelt es sich um ein Anwender-Vertical, unter das alle digitalen Lösungen fallen, die bei öffentlichen Akteuren jedweder Art angewandt werden können.
  • GovTech-Lösungen sind in ihrer Anwendung so vielfältig wie die öffentliche Verwaltung selbst und lassen keine Vertical-typische Konzentration auf einen oder ein paar wenige Lösungspunkte erkennen.

Diese zwei Besonderheiten haben zur Folge, dass sich hinter dem Begriff GovTech eine unübersichtliche Vielzahl von digitalen Lösungen versteckt. Das GovTech-Universum wirkt somit erst einmal komplex und intransparent

(N.B.: In diesem Artikel haben wir passend zu den oben stehenden Aussagen die Bedeutung und Zweck des Begriffs GovTech ausführlich besprochen.)

Für öffentliche Verwaltungen ist es aufgrund der Unübersichtlichkeit und Intransparenz des GovTech-Universums extrem schwierig, die für ihre Zwecke am besten passende Lösungen zu finden. So geht viel Potenzial verloren, unter anderem aus folgenden Gründen:

  • Eine suboptimale Lösung: Entscheidungen fallen zugunsten einer bestimmten Lösung aus, obwohl es passendere, aber während des Entscheidungsprozesses nicht bekannte Lösungen gegeben hätte.
  • Ein suboptimaler Anwendungsbereich: Ressourcen werden auf Lösungen in einem bestimmten Aufgabenbereich der öffentlichen Verwaltung fokussiert (z.B. Finanzverwaltung), obwohl für andere Aufgabenbereich (z.B. Bauverwaltung) wichtigere, passendere oder leichter umsetzbare Lösungen zur Verfügung stehen.
  • Keine Lösung in keinem Anwendungsbereich: Es passiert gar nichts, weil sich Entscheidungsträger (verständlicherweise) nicht in der Lage sehen, informierte und richtige Entscheidungen zugunsten einer bestimmten Lösung oder eines fokussierten Aufgabenbereichs zu treffen.

Dazu kommt, dass mehrfache Such- und Auswahlprozesse ineffizient sind und Ressourcen binden, die dann wiederum bei der Umsetzung fehlen.

Klar ist: Ändert sich an dieser Situation nichts, wird die Digitalisierung von Staat und Verwaltung nicht gelingen — und Vertrauen von BürgerInnen in unser politisches System ginge verloren.

Wir bei Govmind haben uns deswegen zum Ziel gesetzt, das GovTech-Universum für öffentliche Verwaltungen transparent und zugänglich zu machen und ihnen so zu erleichtern, in Eigenregie die passenden digitalen Lösungen effizient, effektiv und bürgernah umzusetzen. Im Folgenden zeigen wir Schritt für Schritt auf, wie es gelingt, den Status Quo eines intransparenten und unzugänglichen GovTech-Universums zu überwinden.

I. Die Einzelfallbetrachtung

Öffentliche Verwaltungen können sich dem GovTech-Universum nähern, indem sie nach einer digitalen Lösung für einen bestimmten Anwendungsfall suchen. Das ist ein erster logischer Schritt, um ihre Digitalisierung voranzubringen.

Verläuft die Suche erfolgreich, findet sich eine Lösung, die zu den Anforderungen der jeweiligen öffentlichen Verwaltung passt (zum Beispiel im Hinblick auf Verwaltungsebene, technische Infrastruktur oder Budget). Vielleicht gibt es sogar ein passendes Fallbeispiel (‘Use Case’) einer anderen öffentlichen Verwaltung, die die Lösung bereits nutzt. Das ist in jedem Falle hilfreich.

So pragmatisch dieser Ansatz ist — er hat klare Grenzen: Die Einzelfallbetrachtung lässt keine Aussage darüber zu, ob die gefundene Lösung wirklich die optimale ist. Es ist anhand einer einzelnen Lösung für einen Aufgabenbereich auch nicht nachvollziehbar, ob benötigte Ressourcen nicht anderswo, für eine andere Lösung in einem anderen Aufgabenbereich, einen größeren Mehrwert schaffen könnten.

Die Entscheidung über den Einsatz einer digitalen Lösung wird dabei auf einer sehr unvollständigen Datenbasis getroffen, nämlich auf genau einem Datenpunkt — das GovTech-Universum mit all seinen Lösungen bleibt dabei intransparent. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass die Entscheidung für eine Lösung ausfällt, die im Kontext der jeweiligen öffentlichen Verwaltung maximal effizient, effektiv und bürgernah ist.

Praxisexkurs: Die Suche nach einer Lösung für eine sichere digitale Kommunikation im Gesundheitswesen könnte zum Anbieter Siilo führen. Siilo ist ein 2016 in Amsterdam gegründetes Startup, das genau so eine Lösung anbietet.

II. Mehrere Einzelfallbetrachtungen

Eine naheliegende Weiterentwicklung des vorherigen Ansatzes besteht darin, nach weiteren, unterschiedlichen digitalen Lösungen im GovTech-Universum zu suchen. Das Aufsuchen von bspw. drei Lösungen für verschiedene Aufgabenbereiche der öffentlichen Verwaltung kann einen Eindruck vermitteln, welcher Mehrwert in eben diesen Aufgabenbereichen geschaffen werden kann. Das kann es öffentlichen Akteuren erleichtern, eine für sie passende Priorisierung zwischen ganz verschiedenen Lösungen vorzunehmen.

Aber auch dieser Ansatz hat Grenzen: Der relative Vergleich zwischen drei Lösungen hat immer noch wenig Aussagekraft darüber, ob (a) innerhalb eines Aufgabenbereichs die bestmögliche Lösung gefunden wurde und (b) ob die Lösungen genau die Aufgabenbereiche adressieren, in denen ein Lösungseinsatz besonders viel Mehrwert schaffen kann. Das Wissen über drei unterschiedliche Lösungen macht das GovTech-Universum in seiner Gesamtheit nicht transparent. Somit fehlt auch die Möglichkeit zur Einordnung der Lösungen im größeren Kontext.

Praxisexkurs: Neben der Lösung für die Kommunikation im Gesundheitswesen könnte nach einer Lösung für datenbasierte Entscheidungsfindung und nach einer für digitale Lehrbücher für den Schulbetrieb gesucht werden. Erstere Suche könnte zu Polyteia führen, ein 2018 gegründetes deutsches Startup, das eine intelligente Steuerungsplattform für Gemeinden anbietet. Letztere könnte zu dem schwedischen Startup Kognity führen, das interaktive Lehrbücher für Schulen in über 70 Ländern entwickelt hat.

III. Die Nadeln im Heuhaufen

Die Grenzen der beiden vorherigen Ansätze mit ihren Einzelfallbetrachtungen bestehen darin, dass die Referenz zum GovTech-Universum in seiner Gesamtheit fehlt. Das Problem kann gelöst werden, indem die drei zuvor identifizierten Lösungen in den Kontext aller möglichen digitalen Lösungen, also dem GovTech-Universum, gebracht werden.

(N.B.: Das Verzeichnen aller GovTech-Lösungen ist eine Aufgabe für sich. GovMind setzt genau hier an und kuratiert ein möglichst umfassendes Datenset zu allen verfügbaren Lösungen.)

Durch das ‘Ausleuchten’ des kompletten GovTech-Universum ist zumindest theoretisch die Möglichkeit geschaffen, (a) digitale Lösungen für alle Aufgabenbereiche der öffentlichen Verwaltung zu finden und (b) innerhalb eines Aufgabenbereichs zwischen allen verfügbaren Lösungen die am besten passende zu identifizieren. Die Entscheidungsgrundlage für den Einsatz digitaler Lösungen ist somit vollumfänglich.

Aber Transparenz alleine erlaubt es noch nicht, erfolgreich im GovTech-Universum zu navigieren. Wo zuvor die Datenbasis für gute Entscheidungen zu klein war, ist sie jetzt überwältigend groß. Zur Einordnung: Es gibt alleine mehrere tausend Startups, die digitale Lösungen für die öffentliche Verwaltung anbieten. Hinzu kommen Open Source-Anwendungen und die Angebote weiterer Anbieter.

So lange diese Daten nicht geordnet sind, bleibt ihr Mehrwert gering. Das GovTech-Universum ist jetzt zwar transparent, aber qua Komplexität wenig zugänglich. Die Suche und Bewertung einer digitalen Lösung in der Gesamtheit aller Lösungen würde damit unverantwortlich viele Ressourcen binden.

Praxisexkurs: Dieser Ansatz würde bedeuten, die genannten Lösungen der Anbieter Siilo, Polyteia oder Kognity händisch mit circa 5000 verfügbaren Lösungen aus dem GovTech-Universum abzugleichen, um Alternativen zu finden.

IV. Die Entschlüsselung des kompletten GovTech-Universums

Der vorherige Schritt hat gezeigt, dass eine vollumfängliche Datenbasis alleine nicht reicht, um schnelle und gute Entscheidungen über den Einsatz digitaler Lösungen zu treffen. Die Transparenz des GovTech-Universums ist erst dann hilfreich, wenn es — aus Sicht der öffentlichen Verwaltung — auch zugänglich ist.

Dazu müssen in einem letzten Schritt alle Datenpunkte (ergo alle digitalen Lösungen) so strukturiert werden, dass sie zu dem Aufgabenbereich einer öffentlichen Verwaltung zugeordnet sind, in dem sie Mehrwert schaffen. Diese Übung ist nicht trivial:

  • Die verfügbaren Lösungen stellen aufgrund ihrer schieren Anzahl und unterschiedlichem Charakter (bspw. kommerzielle Lösungen vs. Open Source-Lösungen) eine komplexe Angebotsseite dar.
  • Die Anwenderseite, also die öffentliche Verwaltung, ist zumindest kompliziert. Das ergibt sich aus ihrem breiten Aufgabenspektrum, ihrer Funktionsweise (Stichwort: Fachverfahren) und dem politischen Kontext (Stichwort: Onlinezugangsgesetz).

Bringt man die komplette Angebotsseite passgenau mit der Anwenderseite zusammen, kann die Komplexität des GovTech-Universums entschlüsselt werden: Es wird transparent und zugänglich für öffentliche Verwaltungen. Alle digitalen Lösungen sind passend zum Aufgabenbereich, in dem sie Anwendungen finden, auffindbar und vergleichbar. Wir bei GovMind bieten einen Datendienst an, der genau dies leistet.

Entscheidungsträger sind somit in der Lage fundierte und richtige Entscheidungen zugunsten einer bestimmten Lösung oder eines fokussierten Aufgabenbereichs zu treffen. Das ist die Conditio-sine-qua-non für die erfolgreiche Digitalisierung von Staat und Verwaltung.

Praxisexkurs: Die Strukturierung aller Lösungen im GovTech-Universum würde es erlauben, alle Lösungen für eine sichere digitale Kommunikation im Gesundheitswesen schnell zu finden. Neben Siilo würden so zum Beispiel auch ZIVVER oder Forecare auftauchen (mittlerweile Teil des Herstellers für Gesundheitstechnologie Philips). Das Gleiche wäre möglich für die o.g. Lösung einer datenbasierte Entscheidungsfindung und die Lösung für digitale Lehrbücher für den Schulbetrieb.

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GovMind ist Anbieter eines Datendienstes, in dem systematisch Daten zu GovTech-Lösungen erfasst und geordnet werden. Unser Ziel ist es, GovTech für die öffentliche Verwaltung transparent und zugänglich zu machen.

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Manuel Kilian
GovMind
Editor for

Founder and CEO of www.govmind.tech — we bridge the gap between governments and innovation