Bildung im digitalen Zeitalter

Gedanken einer (fast) Außenstehenden

Stine Scharfenberg
Hamburg Coding School
4 min readJun 29, 2018

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Eine Gruppe mehr oder minder einflussreicher Personen — die Selbstwahrnehmung ist hier wie so oft ausschlaggebender als das tatsächliche Ausmaß — tauscht im schicken Rahmen ihre Ideen zur Bildung im digitalen Zeitalter aus. Das Beobachtete lässt daran zweifeln, ob sie wirklich verstehen, was es zu vermitteln gilt bzw. lässt erschaudern, auf welchem Stand sich die Diskussion im Juni 2018 immer noch befindet.

Immerhin, Einigkeit besteht darin, dass es unmöglich ist, eine „chinesische Mauer gegen die Zeit“ zu bauen, wie es ein hochrangigerer Gast formuliert und dass man sich deshalb „auf den Weg machen“ muss, um den verpassten Anschluss nicht komplett zu verpassen. Dass Microsoft München nur halb so viele Bürotische wie Mitarbeiter hat, da alle auch im Park, an der Isar arbeiten könnten und sich dabei das firmengesponserte Obst schmecken lassen, verbreitet Aufbruchsstimmung.

Die Parallelwelthaftigkeit einer jeden deutschen Behörde ist bei aller Euphorie allen ersichtlich, doch, und ab hier entfächert sich die Misere, sie wird mit einem Augenzwinkern weggekichert. Ja, wir sind halt doch altmodischer unterwegs. Da bleibt es auch bei einem Achselzucken, wenn die Mitarbeiterin des Amtes für Schulentwicklung der (selbsternannten) Internetstadt Köln berichtet, dass schon die Dienstwege eingehalten werden müssten, wenn eine neue App auf die schulischen Ipads „aufgespielt“ (sic!) werden solle.

Der begeisterte Lehrer wiederum begeistert, als er darstellt, ja was, das an seiner Schule der Unterricht auch mal mit einem Tablet in Schülerhand stattfindet und, Achtung, die Schüler dabei nicht zwingend an ihrem Tisch sitzen bleiben müssen. Die graue Diskussion (grau wie der Haaresdurchschnitt der Anwesenden, selbstfestgestellt, schmunzelnd natürlich) umkreist die Fragen, (1) wie sich Räume zum Zwecke der Bildung geteilt werden müssen (das Schlagwort scheint #dritterOrt zu sein, geschichtlich betrachtet gewöhnungsbedürftig), (2) wie alle partizipieren können (besondere Besorgnis gilt hier den Rentnern) und (3) wie man sich zur Antwort auf (1) und (2) vernetzen könne (digital!).

Legitime Fragen, die zur Gestaltung von Bildung und öffentlichen Räumen täglich beantwortet werden sollten. Allerdings, die, die sie beantworten wollen, verspüren Angst. Das analoge Miteinander, betonen sie, dass bleibe natürlich wichtig, nein, es werde immer wichtiger. Externe Unterstützung, die brauche man, ja, aber, keine Angst, die müsse nicht von „schlecht riechenden, dunkel gekleideten, blassen jungen Männern“ kommen, es gebe da auch andere Ansprechpartner. Wirklich, im Juni 2018?

Was tatsächlich beängstigt, ist, wie veraltete Strukturen in der Digitalisierung ein neues Vehikel gefunden haben, mit dem sie versuchen, Altes zu bewahren. So lange man an irgendeiner Stelle irgendein computerähnliches Gerät einsetzt, ist der Sprung ins 21. Jahrhundert geglückt. Lehrpläne? Bleiben, wie sie sind. Präsenzpflicht? Bleibt, wie sie ist. Handys, Tablets und Laptops im Unterricht? Bleiben verboten, per Hausordnung an nahezu flächendeckend allen deutschen Schulen. Einfach so, aus Prinzip.

Die Schüler tragen die Digitalisierung in der Tasche, doch die Mitverantwortlichen, die noch vom Arbeiten im Park träumen, entwerfen komplizierteste bürokratische Gebilde um ein paar IPads an ein paar Schulen zu verteilen, die dort unter Aufsicht bedient werden dürfen. Das muss dann auch genügen als Bildung im digitalen Zeitalter. Doch das tut es nicht. Denn auch wenn es sozialkompetent höchst achtsam ist, dass der Schüler dem Lehrer aus der Patsche hilft, wenn das Abspielen eines Videos im Unterricht mal wieder nicht recht gelingen will, und der moderne Lehrer diese Hilfe sogar annehmen kann, ist das noch weit entfernt von dem, was es braucht, um wirklich binär verstehen, teilhaben und mitgestalten zu können.

Nötig ist zuallererst eine Definition des Diskussionsgegenstandes. Bildung im digitalen Zeitalter muss zwingend auch digitale Bildung sein. Diese darf sich weder damit begnügen, Verhaltensregeln aufzustellen á la Beim Essen bleibt das Handy aus! noch erschöpft sie sich in der Kenntnis über die sichere Anwendung populärer Apps oder die triumphierende Gewissheit, dass man seine Passwörter nicht in jedem Straßeninterview bereitwillig mitteilt.

In diesem Zusammenhang ist es eine nette, persönlichkeitsstärkende Idee, Schüler- und Lehrermedienscouts an Schulen „auszubilden“; sie leistet aber gleichzeitig dem falschen Eindruck Vorschub, nun würde man sich ja auskennen mit all dem Digitalen und hätte sogar einen Vorsprung vor seinen Mitschülern und Kollegen.

Das Ziel aller Anstrengungen muss vielmehr die Ausbildung einer Mündigkeit sein, die aus Menschen Nutzer macht, die zumindest im Ansatz verstehen, was die digitale Welt im Innersten, naja Sie wissen schon, und die daraufhin entscheiden können, inwieweit sie sich intensiver damit befassen wollen. Es muss gelingen, dass wenigstens von der heranwachsenden Generation hinter den Bildschirmen keine Welt vermutet wird, die sie vor sich selbst verschlossen hält, weil sie annimmt oder befürchtet, dass diese Welt für sie unbegreifbar ist. Algorithmen, Programmiersprachen, Frameworks und dergleichen umherrschwirrende Begriffe müssen einordenbar und lernbar gemacht werden und befreit werden von ihrem Image als Ideen, die man Menschen nur unter höchster Vorsicht, idealerweise bei unverbindlichen Eltern-Kind-Schnupperveranstaltungen am Sonntagnachmittag zumuten kann.

Dieser Weg ist ohne digital Wissende nicht zu schaffen, die wiederum auf Verantwortliche treffen müssen, die bereit sind, es ernst zu meinen mit neuen Ideen in einem nicht mehr ganz so neuen Zeitalter. Hoffen wir deshalb auf mehr Umsicht und Mut bei der Planung zukünftiger Gästelisten, wann immer über Digitales und Bildung gesprochen werden soll. Das Programm dafür steht bereits: 1. Klischees überwinden, 2. andere Experten involvieren, 3. Informatik greifbar machen. Like to code!

Stine Scharfenberg, ist/war Lehrerin, lebt zusammen mit einem Informatiker und vertieft gerade ihre Einblicke in die digitale Welt. Sie hat eine Miniassistenzstelle bei einer Schule, die Programmierkurse anbietet, und konnte deshalb an der KörberKonferenz LearningCities18 in Hamburg teilnehmen.

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