„Scheiterkultur”..? Nein, danke!

Warum wir keine Kultur des Scheiterns, sondern eine Kultur der Selbstständigkeit brauchen.

Catharina Bruns
Happy New Monday
9 min readJan 24, 2018

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»Oberstes Prinzip:

Sich nicht unterkriegen lassen, nicht von den Menschen und nicht von den Ereignissen.«

Marie Skłodowska Curie

Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns!…hört man plötzlich überall. Kein Wunder, denn der Umgang mit Fehlern scheint in einem Land, das den Begriff „Schadenfreude” in die Welt exportiert hat und für seine ganz eigene „German Angst” bekannt ist, besonders verkrampft zu sein. Dass wir uns eine andere Fehlerkultur herbeisehnen ist nachvollziehbar — warum aber das Scheitern betonen, wenn es eigentlich um etwas ganz anderes geht?

„Scheiterkultur” — was soll das eigentlich sein?

Als Unternehmerin werde ich oft gefragt, ob ich mich nicht vor dem Scheitern fürchte. Meine Antwort: Nein. Denn ich beschäftige mich nicht mit dem Scheitern. Wenn etwas schief läuft, beschäftige ich mich mit notwendigen Veränderungen. Heute fühle ich mich auf meinen unternehmerischen Weg sicherer, als in der Abhängigkeit der Festanstellung.

Trotzdem gibt es auch für mich keine Garantien. Wenn Träume platzen, dann ist das schmerzhaft. Ende.

Misserfolge sind und bleiben bitter. Auch wenn wir uns alle schwören: „Macht nichts!”

Denn natürlich „macht” es etwas. Aber wenn ein Projekt scheitert, scheitert man doch nicht als Mensch. Auch nicht, wenn es sich für den Moment so anfühlt. Was da hilft, ist Selbstständigkeit. Pragmatik vor Emotion.

Wer selbstbestimmt bleibt, entscheidet auch selbst, wann Schluss ist und wie es weiter geht. Macht man es eben anders. So was nennt sich Entwicklung.

„Schöner scheitern” — so ein Quatsch

Schon begrifflich ist „scheitern” an Dramatik kaum zu überbieten. Das Scheitern, etymologisch abgeleitet von (Holz-)Scheit, also aufgespaltenem Holz, stammt wohl aus der Schifffahrt und bedeutete nicht weniger, als an einer Klippe zu zerschellen (Schiffbruch erleiden). Weil das ziemlich endgültig ist, muss man, um sich davor nicht zu sehr zu fürchten, dem Ganzen selbst die Dramatik nehmen.

Wird es aber wirklich je eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz von Misserfolgen geben? Und wäre das überhaupt zielführend? Ich halte es für realistischer, das Scheitern als Möglichkeit zuzulassen und zügig eine eigene Definition von Erfolg zu finden. Der Ruf nach einer „Scheiterkultur” spricht jedenfalls mehr für eine übertriebene Versicherungsmentalität, als für eine selbstbewusste Fehlerkultur.

„Nur Doofe glauben, perfekt zu sein.” (Wolf Lotter)

Voraussetzung für eine gesunde Fehlerkultur ist, dass man Fehler weder versucht zu vertuschen, noch bei Misserfolgen mit Schuldzuweisungen und Scham reagiert. Sondern sich selbst und anderen gegenüber wie ein Erwachsener verhält.

Was wir brauchen, ist eine Kultur der Selbstständigkeit. Denn mit einer solchen Mentalität, ist es ganz selbstverständlich, dass man nicht immer gewinnen kann. So wie in jedem Wettbewerb, wie im Sport, wie in allen Herausforderungen des Lebens.

Wenn Sportler bei jedem Misserfolg, jeder Verletzung, jedem Sturz hinschmeißen würden, gäbe es schon lange keine sportlichen Wettkämpfe mehr. Aber nein, sie denken nicht daran, und das, obwohl niemand eine „Kultur des Verlierens” fordert. „Man muss auch verlieren können”, hört sich schon ganz anders an. Medaillen muss man sich verdienen. Misserfolge tun weh.

Man lernt damit umzugehen. Und weiter für seine Sache zu arbeiten.

Warum fürchten wir uns überhaupt so?

Der soziale Abstieg und persönliches Versagen, besonders vor anderen, sind reale Ängste, gegen die niemand immun ist. Aber es gibt einen einfachen und akzeptieren Weg, sich diesem Druck nicht auszusetzen: Von der Zuschauerbank aus. Seth Godin schreibt:

„The spectators are the ones who paid to watch, but it’s the players on the filed who are truly alive.”

Da es immer mehr Zuschauer, als Feldspieler gibt, haben wir auch die passende Kultur dazu, in der man, wenn die stille Zuschauerrolle zu langweilig wird, man eben „Kritiker” wird — jemand, der zwar überall mitbestimmen will, aber nirgends selbst bestimmen muss. Die unterforderte Gesellschaft, sucht sich eben ihr Betätigungsfeld.

Tatsächlich haben wir eine Arbeitskultur, in der sich zwar alle vor dem Scheitern fürchten, Risiko aber immer nur weitergegeben wird:

Manager, die keine Verantwortung übernehmen, Gründer, die nicht Unternehmer sein wollen, sondern „Geschäftsführer”, eine Mehrheit von Angestellten, die immer ihren Chef anschauen (müssen), wenn es etwas zu entscheiden gibt. Und auch der Chef, hat noch einen Chef, den er erstmal fragend angucken kann. „Compliance” ist das Stichwort aus der BWL-Sprache, das so professionell klingt und eigentlich bedeutet, dass niemand es mehr sagt, wenn etwas stinkt.

Wer ständig Angst hat für seine eigenen Ideen bestraft zu werden, wird sich vorsichtig verhalten. Am Ende wünschen sich alle eine „gesunde Fehlerkultur”, weil sich sonst keiner mehr hinaus traut und eine unperfekte Idee schon zum Scheiterfall aufgeblasen wird.

Dabei steckt hinter dem Ruf Fehler machen zu dürfen, eigentlich nur der Wunsch nach einem gütigen Miteinander. „Hey Leute, ich bin auch nur ein Mensch, bitte lyncht mich nicht.” Es reicht aber schon ein Stinkstiefel, der mit seinem Verhalten den ganz normalen Umgang mit Fehlern schon wieder unmöglich machen kann. Jeder Schuss ein Treffer.

Da hilft es nur, die eigene Selbstständigkeit zu kultivieren

Während man auf andere hier also kaum bauen kann, bleibt der persönliche Umgang mit Fehlern, eine Frage der eigenen Entscheidung.

Zu einer Kultur der Selbstständigkeit gehört, dass man sich was traut und Neues probiert. Man verlässt den Schonraum, um an seiner Sache zu wachsen. Mehr selbst machen, weniger zuschauen. Eine Wahl, die man jederzeit treffen kann.

Aber der Zeitgeist scheint in die andere Richtung zu gehen. Der Schonraum soll ständig erweitert werden. Hierzu eine kleine Anekdote:

Von Zeit zu Zeit werde ich für Vorträge angefragt. Einmal wurde ich kurz vor meinem Vortrag an einer Hochschule darauf hingewiesen, dass ich mich auf keinen Fall angegriffen fühlen bräuchte, falls einige Studenten während des Beitrags gingen. Es existiere ein Konzept der „Wertschätzung”, das durch einen bestimmten Verhaltens-Code ausgedrückt wird, der zwar nicht offiziell, aber vielleicht bekannt sei: Einen Vortrag zu verlassen bedeute keine Kritik, sondern gehe in folgende Richtung: „Vielen Dank, ich habe zu diesem Zeitpunkt ausreichend von Ihnen gelernt und ziehe mich zurück”.

Wie bitte?

Wie sich daraus ein ehrliches Feedback erkennbar machen soll, ist mir schleierhaft. Außerdem kann ich es schon aushalten (und will es auch wissen), wenn meine Vorträge nicht gut ankommen. Rausgehen, Unruhe verbreiten und andere dadurch beim Zuhören zu stören, ist zwar nicht besonders respektvoll, aber scheinheilige Codes zu installieren, damit alle sich besser fühlen und niemand mehr ehrlich zu seinen Handlungen stehen muss, halte ich für absolut falsch. Und: Warum mich in dem Glauben lassen, ich könnte auch mit mittelmäßigen Vorträgen an Hochschulen gehen, und mir auch noch eine Legitimation dafür liefern, mein öder Vortrag sei eigentlich toll, denn nach ein paar Minuten hätten die ersten ja schon „genug gelernt”… ?

An diesem Abend ist niemand früher gegangen, aber kritisiert zu werden und nicht gleich mit der ersten Idee erfolgreich zu sein, sind die Risiken, die man realistisch betrachtet eben auf sich nehmen muss, wenn man auf sich selbst baut (oder etwas vorzutragen hat). Insbesondere für Selbstständige heißt das: der (anfängliche) soziale Abstieg ist möglich, die Chancen kritisiert zu werden, ziemlich hoch. Ebenso besteht aber die realistische Chance seine Lebenssituation zu verbessern und von anderen sehr positive Resonanz zu bekommen.

Scheitern wird überbewertet

Die Frage ist: wollen wir uns mit dem Fehlermachen anfreunden, um uns entwickeln zu können, oder nur um uns Entlastung zu verschaffen? In einer Kultur der Selbstständigkeit entsteht ein Klima, das hilft „Fehlerkompetenzen” erwerben zu können. Zum Beispiel, um in schwierigen Zeiten notwendige Entscheidungen treffen zu können und gar nicht erst scheitern zu müssen. Aber sie begünstigt nicht die Komfortzone, in der man unbesorgt seine Unsicherheiten beibehalten kann und Irrtümer zelebrieren werden.

Ebenso wichtig, wie Fehler machen zu dürfen, ist es Kritikfähigkeit zu lernen— also sowohl das Vermögen Kritik zu üben, als auch annehmen zu können.

Aus Fehlern sollte man lernen — die Binse aller Binsen. Dazu gehört aber, dass die Konsequenz ist, seine Strategie zu verändern. Den Vortrag zu verbessern. Das Geschäftskonzept zu überdenken. Das Ziel ist nach wie vor, möglichst wenig Fehler zu machen. Und daher ist es auch nicht falsch, wenn man die Konsequenz aus Fehlern spürt. Es ist also nicht das sorglose Fehlermachen, das wichtig ist, sondern die Kompetenz, den gleichen Fehler zukünftig vermeiden zu können. Dann weiß man aber immer noch nicht, wie man sein Ziel nun erreicht.

Ins Risiko zu gehen, bedeutet Entwicklung zulassen

Aus den allermeisten Fehlern lernt man nur, was nicht funktioniert. Scheitern wird überbewertet — Komfortzonen aber auch. Genau wie bei Fehlern, lernt man da erstmal nichts für das Gelingen in Zukunft. Es entwickelt sich aber auch nichts Neues, solange man sich vollkommen sicher sein will. Fortschritt braucht Versuch und Irrtum.

Was kann man tun?

Machen, machen, machen, so wie ein Künstler, der sich ausdrücken will, und nicht fragt, gefällt es allen, was er da tut. So wie ein Sportler, der sich auf das Gewinnen konzentriert, nicht auf die Anstrengung unterwegs. So wie jeder, dessen Lust etwas Eigenes zu machen größer ist, als die Angst etwas falsch zu machen.

Nicht zum Scheitern braucht man Mut, sondern zur Selbstbestimmung.

Mut ist der Anfang

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne” — Hermann Hesse, Die Stufen

Vor meiner Selbstständigkeit war mein beruflicher Werdegang eine Aneinanderreihung des (gefühlten) Scheiterns. Jobs, die ich wollte, habe ich nicht bekommen, bei einigen wurde mir gekündigt, andere habe ich gekündigt. Meinen gesamten Einstieg ins Berufsleben über, hatte ich immer das Gefühl zu versagen.

Bis ich begonnen habe, etwas Eigenes zu machen.

Das bedeutet ins Risiko zu gehen. Routine aufgeben. Das Abenteuer wertschätzen.

Wir sollten nicht so tun, als wenn man im Leben irgendetwas Besonderes erreichen könnte, ohne sich heraus wagen zu müssen, ohne seine Gemütlichkeit zu überwinden oder ohne das Risiko, nicht wissen zu können, ob es tatsächlich klappt.

Risk is the highest virtue” schreibt Nassim Nicholas Taleb. [1]

Darüber kann man ja mal nachdenken.

Warum? Weil es aufrichtig ist. Aufrichtiger, als von der Zuschauerbank aus Wertungen abzugeben und wichtiger, als die bloße Forderungen nach einer unbeschwerten „Scheiterkultur”.

Nicht zuletzt die Vorhaben unter persönlichem Einsatz, inklusive der Möglichkeit etwas zu verlieren, schulen eine gesundes Balance von Mut und Demut. Nicht immer muss man erst krachend scheitern, um sich weiterzuentwickeln. Den nötigen Respekt vor dem, was man sich vornimmt, bewahrt man sich aber nur, wenn man Fallhöhe hat.

Tatsächlich bekommt man die Chance, sich zu einer reiferen, gefestigten Persönlichkeit zu entwickeln. Selbstverwirklichung, nennt man das. Ja, tatsächlich — nur ohne diese irrigen Aussteiger-Assoziationen.

Wünschen wir uns also keine Kultur des Scheiterns, sondern eine Kultur der Selbstständigkeit.

Wie hält man die aus?

Wolf Lotter erinnert uns an das Prinzip Hoffnung: Man muss lernen, ins Gelingen verliebt zu sein, nicht ins Scheitern. (Ernst Bloch)*

Und die anderen?

„But if we allow shame to be part of our vulnerability, we allow it to destroy our work” — Seth Godin

Es gibt zwar überall Besserwisser, aber streng genommen interessiert es niemanden, was man mal wieder versemmelt hat. Ist das nicht beruhigend? Das reflexhafte Bewerten anderer, ist eine schlechte Angewohnheit. Meistens von Leuten, die in ihrer geschlossenen Ordnung nicht gestört werden wollen. Nicht sie sind eine Bedrohung, sondern sie fühlen sich bedroht. Das muss man wissen.

Und man muss sich selbst verzeihen können. Wenn wir mehr ans uns selbst glauben, als an die zerstörerische Bewertung anderer, können wir auch der falschen Scham und dem sozialen Druck gegenüber gelassener werden. Sich selbst nicht zu wichtig nehmen, aber an seine Sache zu glauben und sich an der nüchternen Wirklichkeit zu orientieren, statt an der eigenen Angst oder der latenten Bedrohung von Lächerlichkeit oder gar Abstieg. Das ist eine Entscheidung für die Freiheit, die man selbst treffen kann und treffen muss.

„We cant make you feel shame without your participation” – Seth Godin

Robust gegenüber der Enttäuschung des Misserfolgs wird man am besten, wenn man sich selbst dazu entschließt, sich davon nicht aufhalten zu lassen. Nicht indem man darum bittet, dass alle anderen Rücksicht nehmen.

Welche Kultur wünschst du dir und zu welcher möchtest du beitragen? Eine, in der man hofft versichert zu sein, oder eine, in der man sich selbst dazu entscheidet, souverän zu sein?

Mit dem Zitat von Marie Curie ist alles gesagt.

*„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.”

Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung (Aus dem Vorwort).

„A comfort zone is a beautiful place but nothing ever grows there”

– Unknown (but very smart)

Quellen:

Berner, Winfried: Fehlerkultur: Die Suche nach einem besseren Umgang mit der menschlichen Unvollkommenheit. 2008, letzte Aktualisierung 9.7.2016, (abgerufen am 20.01.2018) Hier online.

Bloch, Ernst: Werkausgabe: Band 5: Das Prinzip Hoffnung. 1985. Suhrkamp

Bruns, Catharina; Pester, Sophie: Frei sein statt frei haben. Mit den eigenen Ideen in die kreative berufliche Selbstständigkeit. 2016. Campus

Godin, Seth: The Icarus Deception: How High Will You Fly? 2012. Penguin

Lotter, Wolf: Kapitalismus selbst gemacht. In: tazFUTURZWEI. Wer keine Visionen hat, soll zum Arzt gehen! Ausgabe 3/2018. Hier online.

Lotter, Wolf: Fehlanzeige — Irren ist menschlich. Irrsinn auch. Wer nichts versucht, wird auch nicht klug. Nur Doofe glauben, perfekt zu sein; Brand Eins 08/2007. Hier online.

Taleb, Nassim Nicholas: Skin in the Game: Hidden Asymmetries in Daily Life. 2018. Random House. [1] Auszug aus dem Buch „Skin in the Game”, INCERTO Medium Publikation: „The Merchandising of Virtue

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