Die Zukunft der digitalen Identität made in Germany

Warum es doch eine digitale Identität made in Germany geben wird

Tomas Hahn
helix id Blog
7 min readApr 30, 2020

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Es ist Montag, der 27. April. Tag 34 im Home Office. Vor mir dampft mein allmorgendlicher Kaffee, serviert in meiner Lieblingstasse. Die Sonne scheint durch mein Fenster, der Frühling zeigt sich bereits jetzt von seinen besten Seiten. Lange habe ich jedoch nicht, um über das Wetter zu sinnieren. Der erste Video-Call des Tage steht an: Team-Meeting, Besprechung der To-Dos für die Woche.

Fast schon mechanisch nippe ich an meinem Kaffee und schalte den Laptop an. E-Mails, Slack, Twitter, ZEIT Online — in dieser Reihenfolge und nicht anders. Ordnung muss sein.

Meine E-Mails gehe ich morgens im Schnellverfahren durch, normalerweise läuft das so ab: Spam, Spam, Spam, Urlaubsangebote (die sollte ich besonders jetzt loswerden) Newsletters, Fertig. Weiter geht’s zu Slack, nein, moment, eine Newsletter erregt doch meine Aufmerksamkeit: “Identitätskrise: warum es keine digitale Identität made in Germany geben wird?” steht dort in Großbuchstaben. Es ist ein Artikel des beliebten Finanzblogs “Payment & Banking”, welcher rund um das Thema Fintech in Deutschland berichtet.

Kurze Zeit später erreicht mich der Link zum virtuellen Treffen mit den Kollegen. Es steht viel an für die Woche, die Aufgaben werden fleißig gesammelt und priorisiert. Für mich steht eines jedoch von vornherein fest: Priorität Nummer 1 unter allen Aufgaben hat der Artikel aus dem Newsletter. Dort malt der Autor ein allzu düsteres Bild der bisherigen deutschen Projekte zur digitalen Identifikation. Als Sahnehäubchen gibt’s noch einen negativen Ausblick auf die Zukunft der Szene.

Den ursprünglichen Artikel von Payment & Banking findest du hier.

Warum mir das alles zu pessimistisch ist und wieso es doch eine digitale Identität made in Germany geben kann, erfährst du in diesem Artikel. Here we go!

Was ist eine digitale Identität?

Eine digitale Identität bildet verschiedene Aspekte deiner realen Identität digital ab. Dazu gehören all deine persönlichen Daten, die für eine eindeutige digitale Identifikation benötigt werden. Das ist weit mehr als die selbst eingegebenen Daten deines Facebook-Accounts. Es geht um authentische digitale Identitäten, also Daten, die verifiziert sind und mit denen du beispielsweise ein Bankkonto oder einen Vertrag komplett digital abschließen kannst.

Drei big players — gar nicht mal so big

Die von dem Autor aufgezählten Projekte in Deutschland kann man an einer Hand abzählen. Die drei prominentesten — Verimi, YES, netID — sind Zusammenschlüsse von namhaften deutschen Unternehmen. Alleine bei Verimi arbeiten u.a. die Deutsche Bank, Daimler, Allianz, Lufthansa und Telekom zusammen. Das Ziel ist es dem Nutzer eine digitale Identität zur Verfügung zu stellen, mit der er sich dann bei allen Verimi Partnern einloggen kann.

Bei YES sieht es ähnlich aus. Der Fokus liegt aber auf dem Bankensektor, vor allem Sparkassen und Volksbanken arbeiten zusammen, um die hinterlegten Benutzerinformationen für die Anmeldung beim Bankkonto und die Eröffnung eines Kontos komplett digital zu nutzen.

Hinter netID stehen Medienkonzerne, wie Sat.1, ProSieben und RTL, sowie Internet-Anbieter wie 1&1 und GMX. Beworben wird eine europäische Single-Sign-On Alternative (keine verifizierte digitale Identität) zu Facebooks und Googles Duopol in diesem Bereich. Der Mehrwert für den Nutzer ist Datenschutz à la DSGVO.

Eines fällt direkt ins Auge: Alle drei Projekte haben bedeutende Unternehmen als Initiatoren. Das ist auch der Grund, und traurigerweise der einzige, weshalb sie hier aufgelistet sind. Denn Schlagzeilen durch Erfolge macht keiner: Verimi ist bereits live und bietet den Login bei zwei Dutzend Partnern — wesentlich mehr aber bisher nicht. YES wurde groß angekündigt und soll bereits von 1000 Sparkassen und Volksbanken integriert sein — einen YES Login-Knopf sucht man jedoch vergeblich. “Nur noch ein Login im Internet”-netID wird sich kaum gegen die Angebote der Tech-Giganten durchsetzen. Bequemlichkeit schlägt Datenschutz.

Das war’s?

Nach Ansicht des Autors stehen die Chancen für eine digitale Identität made in Germany also nicht sehr gut. Auch die zwei weiteren, vom Autor genannten, Projekte (dieses Mal ohne prominente Unterstützer) punkten nicht mit einer großen Nutzer- und Anbieterzahl. AUTHADA und AusweisApp 2 bieten digitale Identifizierung über den elektronischen Personalausweis (eID). Das Problem ist, dass die eID-Funktionen nicht weit verbreitet sind und eine zu große Hürde für den gemütlichen Nutzer darstellen.

Der Autor des Payment & Banking Artikel hat das bisher alles richtig dargestellt. Jedoch schleichen sich zwei Denkfehler in den Artikel ein:

Die digitale Identität made in Germany wird auf diese handvoll Projekte reduziert.

Es gibt Anwendungsfälle für eine verifizierte digitale Identität, jedoch kommen diese nicht häufig genug vor.

Ganz klar müssen die drei bekanntesten Initiativen in einem Text über digitale Identität genannt werden. Aber auf keinen Fall als die einzigen und bestimmt nicht als die vielversprechendsten Lösungen. Namen wie Lufthansa, Daimler, ProSieben und Sparkasse schaffen Vertrauen und geben dem Projekt Bedeutung. Doch wenn die Lösung an sich nicht benutzerfreundlich entwickelt ist, der Nutzer keinen deutlichen Mehrwert spürt und dem Produkt ein veraltetes Silo-Denken mit sensiblen Nutzerdaten zugrunde liegt, dann bringen auch finanzstarke und prominente Partner nichts.

Dabei hat das deutsche Ökosystem so viel mehr zu bieten: Verschiedene Startups entwickeln innovativen Lösungen für eine vereinfachte und vor allem sichere digitale Identifizierung. Dazu braucht es keinen elektronischen Personalausweis, Daten werden nicht zentral — und damit anfällig — gespeichert und der Nutzer erhält tatsächlich mehr digitale Unabhängigkeit von den großen Internet-Unternehmen. Beispiele solcher Startups und deren Produkte sind Jolocom, myEGO2GO, helix id und Spherity.

Dass es also anders geht zeigen diese Unternehmen sehr gut. Jedoch verfolgen diese Projekte grundlegend andere Ansätze zur digitalen Identifizierung als Verimi und co. und finden so nur schwer ihren Weg in die Auflistung von Payment & Banking.

Natürlich steht es dem Autor frei, zu schreiben was er möchte. Doch nach einer lückenhaften Aufzählung von fünf Projekten, vernichtend über die digitale Identität aus Deutschland zu urteilen, ist nicht richtig. Nach diesem Urteil möchte man nur noch den Kopf in den Sand stecken. Da können wir es gleich dem Silicon Valley überlassen uns mit einer verifizierten digitalen Identität auszustatten. Datenschutz ist dann zwar optional, benutzerfreundlich wird es aber allemal.

Die verifizierte digitale Identität für eine nachhaltige digitale Zukunft

Ein weiteres Manko im Text ist die Annahme, dass der Versuch einer digitalen Identität made in Germany nicht von Erfolg gekrönt sein wird, da es Anwendungsfälle gibt, diese jedoch nicht sehr häufig vorkommen. Das mag zunächst stimmen, denn besonders die beliebten Use-Cases, wie die Eröffnung eines Bankkontos oder Abschluss eines Vertrages, kommen nicht jeden Tag vor. Der Autor berücksichtigt damit aber ausschließlich die Geschäftsmodelle der Unternehmen, die eine digitale Identität anbieten. Sagen wir, Verimi bekommt pro durchgeführte Bankkontoeröffnung mit einem Verimi-Profil eine Provisionszahlung der entsprechenden Bank. Da dies nur selten vorkommt, bedeutet das weniger Einnahmen für Verimi. Mehr aber auch nicht.

Für mich als Nutzer sind die Einnahmen der Anbieter nicht von Interesse. Ich möchte schlicht und ergreifend schnelle und einfache Prozesse für bisherige langwierige und mühselige Anmeldungen und Authentifizierungen im digitalen Raum. Der Bedarf ist da, ergo wird es auch Angebote geben. Die selten auftretenden Anwendungsfälle als Grund für die Misserfolge der bekanntesten deutschen Projekte zu nehmen ist fehlleitend. Ebenso wenig kann es eine Frage des Geldes sein, noch zu weniger Publicity. Kann es da nicht sein, dass die Produkte und Lösungen an sich nicht gut durchdacht sind und die Bedürfnisse der Nutzer nicht erfüllen? Am Nutzer selbst oder den Anwendungsfällen liegt es wohl kaum.

Zusätzlich kann man argumentieren, dass die verifizierte digitale Identität mehr als die schnelle Eröffnung eines Bankkontos ist. Es klingt schon beinahe klischeehaft: Die rapide Digitalisierung unseres Lebens erfordert neue, bessere Methoden, um sich digital zu identifizieren. Jedermann spricht von autonomen Fahren, hoch digitalisierten Fabriken, künstlicher Intelligenz, die das menschliche Gehirn imitieren soll. Dabei kann man sich bis heute noch nicht einmal selbst der Glaubwürdigkeit seines digitalen Gegenübers sicher sein. Über voll automatisierte Roboterfabriken zu sprechen ist, als ob man bereits in eine andere Galaxie reisen möchte, obwohl wir es erst bis zum Mond geschafft haben.

Für die Industrie 4.0 und alles das, was sich schlaue Köpfe über eine digitale Zukunft ausmalen, braucht man zunächst eine sichere digitale Identität für Personen, Unternehmen und auch Dinge. Weitere und häufiger vorkommende Anwendungsfälle werden mit der zunehmenden Digitalisierung folgen.

Die Identitätskrise als Lichtblick am Ende des Tunnels

Zu guter Letzt, möchte ich einen Blick auf den Titel des Payment & Banking Artikel werfen, besonders auf ein einzelnes Wort. Die digitale Identität made in Germany befindet sich laut des Autors nämlich in einer Krise. Derzeit ein sehr gebräuchliches Wort, passt es zu der düsteren Stimmung des Artikels.

Die Natur einer Krise ist es, altbewährte Strukturen dem Erdboden gleichzumachen. Und das schnell und destruktiv. Was das Wort aber ebenso impliziert, ist die Chance von neuen und innovativen Möglichkeiten sich zu etablieren, was ohne eine Krise nur schwer oder langsam möglich wäre.

Für die digitale Identität made in Germany ist diese Identitätskrise vor allem ein Silberstreifen am Horizont. Deutsche Anbieter können diese Zeit nutzen, um sich von überholten Denkmustern zu lösen und neue, vielversprechende Ansätze zu verfolgen. Die Gelegenheit am Schopfe packen und dem Nutzer digitale Freiheit durch Datensouveränität zu geben. Sich von der Konkurrenz aus Übersee abzuheben und mehr als nur das Datenmanagement von Unternehmen verbessern zu wollen: Wenn der Nutzer weiß, dass er mehr als ein Nebenprodukt in den immerwährenden Versprechen einer besseren digitalen Zukunft ist, dann wird es auch mit der digitalen Identität made in Germany klappen.

Dieser Artikel spiegelt nicht die Ansichten von helix id oder Blockchain HELIX wieder, sondern ausschließlich die persönlichen Ansichten des Autors.

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