Hirtenkuss
Eine Begegnung an den Abhängen entlang der Transfăgărașan, Rumänien; 21/09/2015
Weiße Perlen zieren die Hügelketten, Smaragd-Samt, nur etwas weniger schmuck.
Dumpf-silbern schlängelt sich der Weg durch die Unwirklichkeit der Szenerie, führt von A nach B nach C zu einem neuen A, das fast noch kühner scheint. Das Gras unter meinen nackten Füßen gleicht einem Teppich, gewebt aus feinster Wolle, die sich hier noch auf den Abhängen tummelt.
Sanftheit und Kälte benetzen die Haut als ich mir den Weg zum grünlichen Meer und den Gischtpunkten bahne, langsam und andächtig, ein Glaubender auf dem Weg zum Altar. Bereit, der Schönheit mit Tränen in den Augen zu huldigen und sie in sich aufzunehmen um irgendwann Ihr zu gleichen, der rauen Brillanz. Irgendwann so schön zu sein, sich nicht mehr als Fremde in dieser simplen Gewalt zu fühlen sondern als eins mit Ihr, der scheuen Erhabenheit. Undurchdringlich. Unaufdringlich.
Die Augen voller Wunder gehe ich einer Begegnung entgegen, die in ihrer surrealen Simplizität eine Art Übersprudeln in mir hervorrufen wird. Aber das ist mir noch nicht bekannt, als ich über die Berghänge blicke und mein Innerstes sich neu ausrichtet, dicht gefolgt von meinem Reisegefährten, den der Anblick genauso bannt, wie mich.
Die Schafe lassen sich, wie erwartet, nicht fassen, tänzeln auf ihrer grünen Flur, springen auf Abhängen federleicht hin und her.
Mein Blick schweift über das Tal, die Hänge voll undurchdringlichen Waldes maßen duster an und decken einen gleichzeitig wohlig zu.
Der Hirte kommt lockeren Schrittes auf uns zu und beginnt uns in seine Welt mitzunehmen. Wir sind seiner Sprache nicht mächtig, er kaum der unseren und mit Händen und Füßen weben wir unsere Wirklichkeiten ineinander. Der Schäfer, mit Schalk in seinen Augen, breitet seine Arme aus, zeigt auf alles, was wir sehen. “Beautiful! Beautiful!” ruft er immer wieder, die Begeisterung wird intensiver mit jeder Geste.
In mir öffnet sich etwas. Eine simple Erkenntnis der Wahrheit. In der Einfachheit seiner Freude finde ich eine tiefe Zufriedenheit, die er selbst, wie er uns zu verstehen gibt, nirgends anders findet. Er braucht nur die “urși”, die sich im gegenüberliegenden Waldteppich verstecken, braucht seinen kleinen Hirtenhund, der bei den Erzählungen seines Herrchens nur gelassen über die verstreute Herde blickt. Nur das ist von Nöten.
Alles, was er spricht, zeigt, gestikuliert, lässt in mir eine Sehnsucht nach eben dieser Einfachheit entstehen. Ein kleiner Funke wohlwollenden Neides schleicht sich ein, als er schlicht schließt. Mit den einzigen Worten, die Sinn ergeben.
“Beautiful life!”
Mit der Erkenntnis, dass das Szenario mehr Wahrheiten verschüttet hatte, als zu hoffen gewesen war, verabschieden wir uns mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf das Reich des Schäfers. Die abschüssigen Flure sind sein Ballsaal, der Felsbrocken im Moos sein Thron. Ein letzter Blick und wir drehen uns zum Abschiedsgruß um.
Reicher als jeder König gewährt er ihm einen festen Händedruck und mir einen Handkuss.
Wir verlassen die Audienz und kehren in unser Abenteuer zurück. Die Freiheit des Hirtenkusses verweilt noch ein wenig auf meiner Hand, malt das Panorama auf meine Lider und sogar jetzt, Wochen später, entdecke ich ein wohliges Lächeln auf meinen Lippen, wenn ich an den Schäfer denke. An ihn und sein “Beautiful life!”.
Ich bin dankbar, dass er es für einen kurzen Moment mit uns geteilt hat.