Aus dem “Kochbuch der Büchergilde” von Grete Willinsky

Konzepte lokaler Direktvermarktung

Joella Korczak
Holy Tisch
Published in
5 min readApr 1, 2021

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Was bedeutet eigentlich “regional”? Diese Frage haben wir unseren Gästen Heike Zeller, Amadé Billesberger und Quentin Orain gestellt. Nun blicken wir zurück auf eine spannende Session unser Future Food Convention über das Thema lokale Direktvermarktung und deren einzelnen Aspekte

Heike Zeller bleibt ihren Allgäuer Wurzeln treu und hat den Fokus ihrer Arbeit auf die Wertschöpfungsketten in der Landwirtschaft gelegt. Bevor sie sich als Marketingexpertin selbstständig machte, hat sie eine Saison in der Schweiz als Sennerin gearbeitet und war für Rewe Süd für den regionalen Einkauf zuständig. Bei all diesen Projekten war sie immer im engen Kontakt und Austausch mit den ProduzentInnen und LandwirtInnen.

Meister der landwirtschaftlichen Biodiversität ist Amadé “Mogli” Billesberger. Seit 2007 führt er den Billesberger Naturland Bauernhof in Moosinning bei München. Bis 2019 war er der einzige Biobauer in dieser Region. Sein Vater hat 1977 mit der Landwirtschaft aufgehört. Somit fing Amadé bei Null an und entwickelte den landwirtschaftlichen Betrieb innovativ weiter. Gestartet hat Amadé mit fünf Früchte Ackerbau, ein paar Schafen und Hühnern und etwas Gemüse. Mittlerweile sind es über 150 verschiedene Verkaufsprodukte in einer Saison: Rund 14 verschiedenen Getreidesorten, wie Weizen, Roggen, Buchweizen und Emmer, sechs verschiedenen Kartoffelsorten, einem Hektar Gemüse, mit ausschließlich samenfesten Demeter Sorten, 40 Bergschafen, Perlhühner und 900 Zweinutzungshühner.

Wie funktioniert Direktvermarktung bei Amadé? Viel wird direkt am Hof verkauft, aber einiges auch nach München in Form von Biokisten geliefert oder von kleinen Restaurants, Cafes, Bäckereien oder Bioläden abgenommen. Sein größter Abnehmer ist die Brotzeit Bäckerei in Grünwald, denn sie nehmen den Großteil seines Getreides in Form von Mehl ab. Das ist eine transparenter Wertschöpfungskette: vom Feld zum Mähdrescher,zur Mühle und dann direkt zur Bäckerei.

Quentin Orain, ist Ingenieur und Mitbegründer von dem neugegründeten Food Hub in München. Vor 6 Jahren ist Quentin von Frankreich nach München gezogen, und hat gemerkt wie aufwendig es für ihn ist lokale und regionale Produkte einzukaufen:
Biokisten,SoLaWi, Bauernmarkt oder Supermarkt. Das muss einfacher gehen. Das nahm Quentin als Motivation, um sich mit Kirstin Mansmann und Karl Schweisfurth zusammenzuschließen und nach dem französischen Konzept der Food Coops einen genossenschaftlichen Supermarkt für regionale Bio Produkten an einem Ort anzubieten. In diesem Modell eines Supermarktes, gibt es MitgliederInnen, die gleichzeitig TeilhaberInnen, MitarbeiterInnen und KundInnen sind.

Der Food Hub möchte Vermarktung von regionalen Bio Produkten einfacher machen, und damit helfen den Wandel antreiben. Über 50% des Umsatzes möchten sie mit lokalen Produkten erwirtschaften. Es wird im Food Hub aber auch ein Vollsortiment geben, damit die MitgliederInnen nicht ihren Einkauf in anderen Supermärkten vervollständigen müssen. Aber alle tierischen Produkte und jedes Gemüse und Obst sollen aus der Region kommen.

Was bedeutet eigentlich Regional? Produkte, die um München erzeugt werden? Oder die aus ganz Bayern kommen? In unserem Gespräch wird schnell klar das der Begriff “regional” absolut relativ ist. Alle drei sehen aber auch Schwierigkeiten in einer festen Definition von “regional”. Wo zieht man Grenzen? Wie vermeidet man Benachteiligungen? All diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten oder umzusetzen.

Amadé klärt auf, dass “regional” kein geschützter Begriff ist und somit kann jeder seine Produkte als “regional” labeln. Außerdem betont er, dass für ein wirklich bewusstes Einkaufen regional mit biologisch verknüpfen werden muss. Ansonsten wird zwar regionales Fleisch gekauft, doch das Tier kann dann auch mit importierten Soja gefüttert worden sein.

Der Billesberger Hof läuft unter Amadés Slogan “bayrisch, biologisch, guad is.”. Diese Signal möchte er nach außen tragen und damit seinen Kunden Orientierung geben. Seine Produkte werden in Bayern biologisch hergestellt. Das reicht als Indikator. Wenn man wirklich etwas bewirken will, so Amadé, darf man keine Kompromisse eingehen und muss dann nur Bio kaufen. Bei ihm kann man direkt ab Hof kaufen.

Quentin erzählt, dass im Food Hub auf Labels verzichtet wird. Ihre Aufklärung läuft nicht durch Labels, sondern durch die “Konsumenten-Erzeuger-Gemeinschaft”, welches die Transparenz zwischen ErzeugerIn und KonsumentIn erhöht. Die Erzeuger sind so auch Teil des Food Hubs / Die Erzeuger sind so auch Mitglieder des Food Hubs. Um die Transparenz noch zu steigern und eine engere Beziehung zwischen allen Mitgliedern und der Natur aufzubauen, soll jeder ErzeugerIn einmal im Jahr einen Hofbesuch organisieren. Das schafft die Möglichkeit das ErzeuergInnen und KonsumentInnen sich austauschen und klar wird wie sie produzieren, und wie sich die Preise der Endprodukte zusammensetzen.

Heike beschreibt, dass in Europa KonsumentInnen sich immer mehr Informationen über Lebensmittelprodukte wünschen, wie z.B Herkunftskennzeichnungen. Das einzig wirksame wären europaweite verpflichtende Kennzeichnungen. Auf freiwilliger Basis werden sich nur die positiv Beispiele labeln lassen, und das wird nicht zu einer großen Veränderung oder Aufklärung für die ganze Bandbreite der Lebensmittelprodukte führen. Das kann aber nur durch europäisches Recht geschehen. Solche großen Entwicklungen, betont Heike, seien in der Vergangenheit meist nur durch Skandale zustande gekommen.

Direktvermarktung und Veredelungen von Produkten ist nichts für jedermann und besteht aus einem hohen Arbeitsaufwand, beschreibt Amadé aus eigener Erfahrung. Amadé ist jetzt an einem Punkt angekommen an dem die Nachfrage für seine Produkte, z.B.für Eier, höher ist als sein Angebot. Das war aber ein langer Weg und ist ihm durch organisches Wachstum, enge Kundenbeziehungen, transparente Wertschöpfungsketten und natürlich tollen Produkten gelungen.

Amadé verkauft absichtlich nur an kleine Gastronomien, anstatt an Großküchen. Der Vorteil darin? Jeder kennt ihn, seinen Hof und seine Produkte — viele KöchInnen besuchen seinen Hof und arbeiten auch mal mit. Durch diese Beziehung zu den Produkten können sie diese Informationen an ihre Gäste im Restaurant weitergeben. Auch deswegen sind seine AbnehmerInnen auch bereit einen höheren Preis als für konventionelle Produkte zu bezahlen, sie kaufen die Qualität und die Story hinter den Produkten ein.

Wir Danken für spannendes Gespräch und den interessanten Einblick in die Direktvermarktung auf regionalen Level von verschiedenen Business Perspektiven. Für noch mehr Insights z.B. über Digitalisierung Konzepte gibt es hier das ganze Interview:

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