Anhaltender Frust und Kränkungen im Managementjob können zur dauerhaften, krankmachenden Verbitterung führen.

Laut WHO wird die „Verbitterungsreaktion“ im neuen Krankheitskatalog der Organisation ab 2022 als Unterklasse der Anpassungsstörungen aufgeführt sein. Insbesondere im beruflichen Umfeld, das man nur bedingt selbst kontrollieren und steuern kann, besteht das Risiko, dass gerade erfolgsgewohnte Führungskräfte unvermittelt in einen Teufelskreis aus Frust, Realitätsverweigrung und Verbitterung geraten.

Der direkte Weg in die Verbitterung

Häufig erlebe ich Manager, die stolz berichten, wie anspruchsvoll und wichtig ihr Job ist und dass sie dieser dann auch wochentags regelmäßig 10 -12 Stunden fordert und nicht nur das, nein auch für das Wochenende werden Arbeitsunterlagen mit nach Hause genommen und durchgearbeitet. Implizit bedeutet das „ohne mich läuft der Laden nicht“. Diese Einstellung zur Arbeit ist m.E. schon kritisch, zeigt sie doch, dass sich diese Menschen überwiegend durch ihre Arbeit definieren und dort ihre Bestätigung und Befriedigung finden. Solange alles gut läuft, sich die berufliche Karriere entsprechend positiv entwickelt und die Familie — sofern vorhanden — mitspielt bzw. unterstützt, kann dieses Lebensmodell gut funktionieren.

Sobald dieses Modell allerdings durch eine wirtschaftliche Krise (s. Corona), eine Umstrukturierung, eine neue Führungskraft mit anderen Vorstellungen oder durch eigenes Zutun aus der Balance gerät, ist gerade dieser Personenkreis akut gefährdet.

Das über die bisher erfolgreiche Arbeit definierte Selbstbild bekommt Risse und das Selbstwertgefühl leidet innerhalb kürzester Zeit massiv. Zumal diese Veränderungen häufig plötzlich und unerwartet eintreten und die Betroffenen in einen Schockzustand versetzen können. Der Halt geht verloren und der Weg in die Verbitterung ist vorgezeichnet.

Vor allem Leistungsträger, die über Jahre und Jahrzehnte sehr erfolgreich und entsprechend angesehen waren und ohne eigenes Verschulden von heute auf morgen nicht mehr gebraucht oder werden oder sich in eine Aufgabe mit weniger Verantwortung abgeschoben fühlen, sind besonders gefährdet. Damit konfrontiert, dass ihr bisheriger Beitrag und damit sie als Person nicht mehr erwünscht sind, sehen sie sich einer empathielosen Organisation gegenüber, die bis gerade eben noch eine Art Familie war und sich dann subjektiv gegen einen wendet.

Das löst einen Schock, ein Gefühl der Ohnmacht und tiefer Kränkung aus. Wut, Unverständnis und Realitätsverweigerung sind die Folge. Hat ein Mensch in solch einer Situation kein gefestigtes privates Umfeld, das ihn auffängt, kann er schnell in eine depressive Phase abgleiten und ohne Hilfestellung langfristig verbittern.

Wie kann ich vorbeugen ?

Erfolg haben heißt, einmal mehr aufstehen, als man hingefallen ist. (Winston Churchill)

Da jeder Mensch unterschiedlich in seiner Persönlichkeitsstruktur, seiner Motivation und seinen Werten ist, gilt es für jeden einzelnen eine passende Strategie und ein bewusstes Lebensmodell zu entwickeln, das auch in beruflichen Krisensituationen trägt und stützt.

Entscheidend ist dabei das private Umfeld aus Familie und Freunden, das auf keinen Fall vernachlässigt werden darf und immer „gepflegt“ werden muss. Das heißt aber auch, dass hierfür entsprechend Zeit und Aufmerksamkeit reserviert sein muss. Menschen mit einer gesunden Work-Life-Balance achten dabei genau auf diese Beziehungen und haben damit einen anderen Focus und Lebensinhalt. Sie können damit viel besser mit beruflichen Krisen umgehen, da sie im privaten Umfeld ein soziales Beziehungsnetz haben, das sie auffängt und bei der Krisenbewältigung mit Rat und Tat zur Seite steht.

Auch ist es nie zu spät, sich ein solches Beziehungsnetz (neu) aufzubauen oder dieses zu verstärken.

Die Unterstützung durch einen professionellen Coach oder Mentor kann bei der Bewertung bzw. Bewältigung der aktuellen Situation und der Entwicklung von Zukunftsperspektiven ebenfalls eine wertvolle Hilfe sein.

Dies gilt vor allem dann, wenn die Unterstützung aus dem privaten Umfeld nicht ausreicht und/oder die Erfahrung im Umgang mit der bestehenden beruflichen Problematik fehlt.

Grundsätzlich aber gilt: Je mehr man sich mental und sozial unabhängig vom eigenen Arbeitgeber, dessen Umfeld und dem eigenen Job macht, desto leichter und schneller lassen sich negative Einflüsse aus dem beruflichen Kreis bewältigen.

Was tun, um die innere Unabhängigkeit zu bewahren ?

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will. (Jean Jacques Rousseau)

Der Mensch ist bekanntlich empfänglich für Lob, Anerkennung und Wertschätzung. Erfolgreiche Führungskräfte erfahren diese Wertschätzung gerade in Großunternehmen aufgrund ihrer Machtstellung und den damit verbundenen Privilegien und Insignien (Titel, Bürogröße, Anzahl Mitarbeiter, Gehalt, etc.) fast schon zwangsläufig und vergessen dabei leicht, dass genau diese Wertschätzung eben nur innerhalb ihres Unternehmens gilt.

Das ist ein künstlich geschaffenes Ökosystem, das sich jederzeit ändern und einen abstoßen kann. Das merkt man alleine schon daran, dass wenn man sein Bürogebäude verlässt plötzlich nur noch einer unter vielen ohne Macht und Position ist und auch entsprechend behandelt wird.

Deshalb ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Wirtschaftsunternehmen künstliche und letztendlich vor allem ökonomisch ausgerichtete Organismen sind, die nach den Gesetzen des Marktes agieren und im Ernstfall wenig bis keine Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen nehmen.

Sich darüber im Klaren zu sein und damit in der Konsequenz seinen Selbstwert und Lebensinhalt nicht über die Arbeit und Stellung im Unternehmen zu definieren ist die eigentliche Herausforderung.

Über den Autor: Jürgen Martin berät als Senior Advisor der Homecoming Academy Unternehmen in Personalthemen und coacht Führungskräfte zur erfolgreichen Bewältigung komplexer Führungs- und Projektaufgaben.

juergen-martin.com

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