Über das Alleine Sein

Rosa Roth
How Life plays…

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Wenn ich zu Hause bin und endlich Ruhe einkehrt, fühle ich mich am wohlsten. Warum ist das wohl so, frage ich mich? Mein Haus ist ungemein still und wenn ich meine still, dann hört man wirklich gar nichts. Das einzige, was ich hier ab und zu höre sind der Kühlschrank, wenn er anspringt oder der Krankenwagen, wenn er von der Rettungsstation gegenüber losfährt. Ansonsten höre ich nur die Stille rauschen. Wer weiß vielleicht sind das auch die Steckdosen. Einige unter euch werden wissen, was ich damit meine. Nach Hause zu kommen, ist für mich etwas, was mir Freude bereitet. Höchstwahrscheinlich weil dann der Tumult des menschlichen Alltags aufhört und mein Nervensystem anfängt herunterzufahren. Es ist als würde man sich in eine kuschlige Decke hüllen. Plötzlich fühlt sich alles irgendwie sicher an. Ich bin gerne zu Hause. Nicht nur weil es draußen oft laut und stressig ist, sondern weil ich gerne meinen Dingen nachgehe in einer Umgebung, in der ich mich nicht anpassen muss, sondern welche sich an mich anpasst. Derzeit teile ich diese Räume mit niemanden. Ich habe keinen Partner und das stimmt mich froh. Denn jede Interaktion mit Menschen ist mit Erwartungen verbunden, die ich oft nicht erfüllen kann. Sich ständig anpassen zu müssen, erahnen zu müssen, was das Gegenüber braucht oder meint, ist überaus anstrengend. Daher bin ich beinah stolz ganz alleine zu wohnen und meine Räume nicht teilen zu müssen. Meine Freunde fragen mich manchmal, ob ich mich so alleine denn nicht einsam fühle.

Dazu gilt es wohl die Bedeutung des Wortes “Einsamkeit” zu ergründen. Das Wort Einsamkeit stammt von dem lateinischen Wort “solitudo” ab, welches soviel bedeutet, wie “allein sein oder einsamer Ort oder auch Wüste”.

“Ein Mensch kann nur er selbst sein, solange er allein ist; … wenn er die Einsamkeit nicht liebt, wird er auch die Freiheit nicht lieben; denn nur wenn er allein ist, ist er wirklich frei.” [Schopenhauer, “Die Welt als Wille und Vorstellung,” 1818]

Manchmal habe ich das Gefühl, die Menschen wollen nicht frei sein. Es löst in ihnen ein Gefühl des Unbehagens aus. Es bedeutet ja auch irgendwie über den Tellerrand zu schauen und das genormte System einen Moment zu verlassen. Daher ist das “allein sein” immer irgendwie negativ konnotiert. Man denkt jeder der “allein” ist, leidet an “Einsamkeit”. Einsamkeit ist ein Leidenszustand. Ist Freiheit ein Leidenszustand? Oder ist es nur unsere Gesellschaft, die uns einredet, dass wir nicht allein sein können ohne dabei Schmerzen oder Kummer zu empfinden. Wäre ja auch ziemlich blöd, wenn alle plötzlich toll finden würden nicht mehr an der Gesellschaft teilzunehmen, sondern andere Dinge zu tun. Der Kaptitalismus würde sofort zusammenbrechen, denn er basiert darauf unseren Drang nach Verbindung zu anderen monetär auszunutzen.

Ich finde im Alleinsein liegt ungeheure Kraft. Für mich ist es der wohl einzige Moment, wo ich neue Energie schöpfen kann. Denn ich generiere Energie aus mir heraus. Alles andere, wie zum Beispiel diejenigen, die behaupten sie können nicht alleine sein und sie bezögen ihre Energie vom Zusammensein mit anderen Menschen, sind für mich Energiesauger. Denn anstatt selbst Energie zu generieren, bedienen sich diese Menschen an der Energie anderer.

Solitude “Zustand des Alleinseins, Abgeschiedenheit von der Gesellschaft,” Mitte des 14. Jahrhunderts, aus dem Altfranzösischen solitude “Einsamkeit” (14. Jahrhundert) und direkt aus dem Lateinischen solitudinem (Nominativ solitudo ) “Einsamkeit, allein sein; einsamer Ort, Wüste,” von solus “allein” (siehe sole (Adj.)). “Im Englischen erst im 17. Jahrhundert gebräuchlich.” [OED]

Lasst mich einmal mehr den Ursprung des Wortes ergründen, denn manchmal verlieren oder ändern Worte im Laufe unserer Geschichte ihre Bedeutung. In dem Wort “Solitude” steckt das Adjektiv “sole” was so viel bedeutet wie “einzigartig, allein in seiner Art; einzig, einmalig, einzigartig; ohne Ehemann oder Ehefrau, im unverheirateten Zustand; zölibatär”, spätes 14. Jh., aus dem Altfranzösischen soul “nur, allein, gerecht”, aus dem Lateinischen solus “allein, nur, einzeln, einzig; verlassen; außergewöhnlich”. Nun wird wohl einmal mehr klar, warum unsere Gesellschaft nicht “allein” sein kann. In einem gewissen Alter ohne Ehemann zu sein ist keine Errungenschaft in unserer Gesellschaft, im Gegenteil. Es ist verpönt. Einzigartig zu sein hingegen, ist mehr angesehen, aber dennoch ein zweischneidiges Schwert. Einzigartig zu sein ist irgendwie cool, aber zu einzigartig darf man auch nicht sein, denn dann wird man zum Außenseiter. Also recht machen, kann man es sowieso niemanden.

Zurück zur Stille: Ich könnten Stunden, Tage, Wochen in meinem Haus verbringen. Manchmal klingelt meine Mutter an der Tür und fragt mich, ob alles gut ist, ob ich noch leben würde und ob ich nicht mal rausgehen möchte. Ich erschrecke mich jedes Mal zu Tode, wenn sie klingelt. In einem Haus, wo nur der Kühlschrank ab und zu knurrt, dröhnt die Türklingel wie ein D-Zug durch einen Tunnel. Ich mag es nicht, wenn meine Stille unterbrochen wird. Das gibt diesem wohligen Gefühl einen schlechten Beigeschmack. Plötzlich bin ich wieder gestresst. Ich weiß nicht, wer klingelt und warum und was diese Person mit mir reden möchte. Ich bin froh hier im Ort keine Freunde zu haben, die spontan vorbeikommen und meine Ruhe stören. Nun höre ich schon wieder die Stimmen der Gesellschaft: “Mein Gott bist du empfindlich. Das ist doch nicht normal.”

Ja mein Gott, ich bin empfindlich, aber es hat ja auch keiner gesagt, dass man zwanghaft einer unausformulierten Norm folgen muss, die sich nach Belieben und Situation ändern kann. Was für eine Norm ist das eigentlich? Dies gilt mal zu hinterfragen. Ich kann mit Formulierungen wie “Hab dich nicht so” nichts mehr anfangen. Ich denke dann immer “ Habt euch doch mal!” Kommt doch mal raus aus eurer Haut und traut euch mal Dinge zu tun, die nicht der Erwartungshaltung der Gesellschaft entsprechen. Ihr werdet sehen, viele dieser Dinge tun gut. Die Freiheit für sich selbst zu sein tut gut.

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