Rosa Roth
How Life plays…
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4 min readJul 21, 2019

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Die Sache mit den Büstenhaltern

Viele Frauen ziehen sich, wenn sie abends erschöpft von der Arbeit kommen, erst einmal den BH aus. Es ist ein befreiendes Gefühl, wenn der Verschluss und die Träger nicht mehr ins Fleisch schneiden und der Schweiß zwischen den Brüsten endlich anfängt zu trocken.

Da mich Gott mit einer Brust sehr geringem Ausmaßes ausgestattet hat, habe ich bis heute nicht verstehen können, warum ich die Strapazen eines Büstenhalters auf mich nehmen muss und das sowieso schon viel zu klein Geratene in ein Gestell mit Metallbügeln sperren sollte.

Ich kann mich an einen Tag in der 8. Klasse erinnern. Ich musste einen Vortrag im Englischunterricht halten und hatte dazu extra mein neues cremefarbenes Longsleeve angezogen. Die Klasse war sehr unruhig als ich diesen Vortrag hielt und vor allem in den hinteren Reihen giggelten die Jungs pausenlos. Ich machte mir nichts daraus und konzentrierte mich auf meine Leistung. Nach dem Vortrag bekam ich einen Zettel von einer Freundin zugeschoben auf dem stand: “Na, war dir kalt?” Ich wusste damit nichts anzufangen und stellte sie nach dem Unterricht zur Rede. In dem Gespräch sagte sie mir: “Rosa, es ist an der Zeit, dass du dir mal einen BH zulegst. Man kann deine Nippel sehen.” Bis dato hatte ich noch keinen Gedanken daran verschwendet, ob ich einen BH bräuchte, schließlich gab es wichtigeres im Leben, als ein Accessoire zu dem ich noch keinen Bezug hergestellt hatte.

Zu Hause erzählte ich meiner Mutter davon und sie lieh mir einen BH von sich. Als ich einige Wochen darauf meine Cousine traf, hatte sie eine Tüte dabei. Sie meinte, sie hätte aussortiert, weil ihre Brüste zu groß geworden wären und meinte ich könnte die hier gebrauchen. In der Tüte befanden sich Bügel-BHs, die ohne Schaumstoffcups. Sie sahen hübsch aus. Ich legte sie an, musste aber feststellen, dass meine Brüste auch dafür zu klein waren und dass das Metall unangenehm in die Haut schnitt. Ich glaube einer dieser BHs liegt immer noch in einer Schublade in meinem Kinderzimmer. Ich habe sie nie getragen.

Irgendwann im Laufe der Jahre hatte ich Push-up-BHs für mich entdeckt. Diese super gepolsterten Teile konnten wenigstens dort noch was hinzaubern, wo in den Augen der Gesellschaft nichts war. Vor meinem besagten Englishvortrag musste ich mich immer von den Jungs als Brett mit Erbsen bezeichnen lassen. Das hat in mir und meinen Brüsten ungeheuren Druck aufgebaut. Ich habe nie richtig verstanden, warum es den Männern so wichtig ist, dass Frauen große Brüste haben, sie diese aber dann einsperren müssen, um auf der Straße nicht für Furore zu sorgen. Das ist doch widersprüchlich oder etwa nicht?

Die Phase mit den Push-up-BHs war ziemlich schnell vorbei. Es war mir irgendwann zu unangenehm mich als Betrügerin zu fühlen, wenn ich von einem Mann ausgezogen wurde. Ich ging über zu leichten SportBHs und Bustiers, ohne Polster und ohne Metallbügel, und das fühlte sich schon etwas befreiender an.

BHs sollen ja bekanntlich das Brustgewebe stützen, aber im Grunde genommen, tun sie alles andere als das. Von den Unannehmlichkeiten mal abgesehen, führen BHs dazu, dass die Brustmuskulatur nicht belastet und trainiert wird. Die Muskulatur erschlafft und die Hängebrust ward geboren. Natürlich hat uns die Industrie eingebläut, dass das eben durch einen BH zu verhindern wäre, aber das ist natürlich reine Verkaufsmasche. Wäre der Großteil der Frauen bereits dahinter gestiegen, wäre der Büstenhalter schon längst weg vom Markt. Wir können uns also bei unserer Mode-Industrie über unsere Hängebrüste bedanken.

Vor ein paar Jahren habe ich aufgehört BHs zu tragen. Die Blicke auf der Straße sind mir mittlerweile egal. Und dass Männer nichts mehr zum Auspacken haben auch, denn ich bin schließlich kein Geschenk. Dennoch bin ich immer noch ziemlich alleine mit meiner Brustfreiheitsbewegung. Zwar gibt es auf Instagram die “Freethenipple” Bewegung, aber die bezieht sich hier auf die Community Guidelines von Instagram, die es nicht zulassen weibliche Nippel zu expositionieren und jeder regt sich darüber auf. Draußen in der Realität laufen wir alle noch mit einem viel härteren Nippelcovern rum, aber das juckt irgendwie keinen. Es besteht nicht aus einem verschwommenen Fleck oder einem Klecks Farbe. Es ist ein Apparat aus Cups, Trägern und Metallverschlüssen. Damit schützen wir unsere Brüste vor den Blicken anderer, während die Männer im Sommer locker oben ohne freiziehen dürfen.

Vor zwei Wochen traf ich eine alte Bekannte auf einer Ausstellungseröffnung. Das erste, was sie zu mir sagte war: “Rosa, du hast keinen BH an!!!”. Wir hatten uns ca. 4 Jahre nicht mehr gesehen. Und anstatt mich zu fragen, wie es mir ergangen ist, richtete sie ihre Worte auf das erste, was ihr entgegen stach, meine Nippel. Ich weiß nicht, ob dieser Ausspruch in Bewunderung meines Mutes getätigt wurde oder ob er abwertend gemeint war. Denken wir positiv und fokussieren wir uns auf ersteres.

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