Wie das Leben spielt…

Rosa Roth
How Life plays…
4 min readDec 3, 2023

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Meine Freunde sagen mir immer: “Rosa, du solltest ein Buch schreiben über dein Leben. Du erlebst immer so viele verrückte Sachen.” Da frage ich mich immer, was in dem Leben meiner Freunde los ist…oder auch eben nicht los ist. Ich hatte von Anfang an ein Händchen dafür in schwierige Situationen zu geraten und mich da wieder rausholen zu müssen. Wenn ich meinen Freunden davon erzählte, schauten sie mich immer ungläubig oder amüsiert an. Zurückgeblickt auf 36 Jahre auf diesem Erdball, wüsste ich jetzt auch gar nicht, wo ich anfangen sollte zu erzählen. In 36 Jahren kann schließlich ziemlich viel passieren.

Während diejenigen, denen ich von meinem Leben erzähle es sehr spannend und unterhaltsam finden, bin ich mittlerweile an einen Punkt der Erschöpfung angelangt. Die letzten Jahre waren eine ziemliche Achterbahnfahrt. Ein gescheiterter Versuch im Ausland zu leben, eine Pandemie, der Verlust meiner Selbstständigkeit, mein Ausflug in den Kapitalismus oder wie meine Mutter es nennen würde “Das ganz normale Arbeitsleben”, mehrere gescheiterte Beziehungen, der Tod meiner Großeltern. Gerade will ich einfach nur noch meine Ruhe. Der Körper hat auch ziemlich gute Alarmglocken für sowas. Entweder wirst du plötzlich magisch vom Bett angezogen oder du kriegst heftige Bauchkrämpfe. Da kannst du gar nicht mehr anders als fast tot im Bett rumzuliegen.

Aber ich will euch hier jetzt auch nicht was von meinem Leben vorheulen, ihr sollt ja schließlich, wie meine Freunde auch, Spaß an meinen Geschichten haben. Letztens sagte man mir wieder, ich sollte unbedingt mehr schreiben. Früher habe ich immer fleißig versucht Tagebuch zu schreiben. Die Betonung liegt hier auf dem Versuch. Mein erster Tagebucheintrag ging ungefähr so:

Heute gab es Toast mit Marmelade zum Frühstück. Danach habe ich Opa im Garten geholfen. Zum Mittagessen gab es Kartoffelsuppe. Die mag ich nicht. Danach durfte ich spielen. Dann hat Mama zum Abendbrot gerufen. Es gab Schnitte mit Wurst.

Danach kamen ungefähr noch drei solche Einträge geprägt von kulinarischen Aufführungen und dann hatte ich keine Lust mehr in dieses Buch mit dem goldenen Schlösschen zu schreiben.

In meiner Pubertät, als ich mit Eintritt meiner Periode, exakt an diesem Tag, mich für Männer zu interessieren anfing, griff ich wieder zum Stift. Da war ich übrigens 15. Manche mögen meinen etwas spät, um auf das andere Geschlecht aufmerksam zu werden, aber vorher lag das einfach überhaupt nicht in meinem Interessengebiet. Hab auch nie verstanden, warum sich meine Freundinnen, da so einen Druck machten. Als könne es nicht früh genug losgehen. Ich war mit meiner ersten Periode an einem Silvesterabend schon so ziemlich bedient. Dennoch verguckte ich mich an diesem Abend in den Bruder der Freundin meiner Eltern. Eigentlich viel zu alt für mich, aber wahrscheinlich war ich an dem Abend dank meiner Periode so mit Hormonen überschwemmt wurden, dass mein Hirn dachte, dass sei der Hübscheste im Raum. Natürlich hatte ich jetzt jede Menge Stoff und Fantasien, um die Bücher zu füllen.

Meine Pubertät verbrachte ich eh die meiste Zeit in meinem Zimmer. Entweder weil mich niemand sehen wollte oder weil ich niemanden sehen wollte. In Ordnung war für mich natürlich nur letzteres und davon hab ich ausreichend Gebrauch gemacht. In der Zeit schaffte ich es drei fette Bücher voll zu schreiben. Danach wurde es immer schwieriger. Ich fing ab und an wieder an zu schreiben, aber verlor mich dann wieder. Während meiner Ausbildungszeit hatte ich eine Phase, in der ich Gedichte schrieb. Die kamen mir einfach so in den Sinn, während ich in der Straßenbahn oder im Café saß. Ich kaufte mir oft neue Notizbücher, weil ich wieder richtig mit dem Schreiben anfangen wollte, kam aber im Durchschnitt nur bis Seite 5.

Mit der Nutzung des Computers stapelten sich die angefangenen Notizbücher nur noch und sammelten Staub. Ich fing irgendwann an als Copywriter zu arbeiten und entwickelte Werbetexte, Produktbeschreibungen und sonstige Kurzschriftwerke. Ich empfand die Arbeit als extrem langweilig, vor allem, weil ich beim Schreiben nicht viel Nachdenken musste. Für mich waren es nur perfide Aneinanderreihungen von Wörtern, um die Kundschaft von den absurdesten Produkte zu überzeugen. So schrieb ich beispielsweise Social-Media-Beiträge für Bettwäsche — leicht wie eine Sommerbrise, oder für BMW und das ganz ohne Fahrerfahrung und zu wissen, ob der Auspuff nun hinten oder vorne ist. Am Ende des Tages kann man in der Werbung alles verkaufen, auf die Wortwahl kommt es an. Das macht die ganze Arbeit aber auch so ziemlich sinnbefreit.

Jetzt sitze ich in dem Haus meiner verstorbenen Großeltern und gucke in den verschneiten Hinterhof, während ich das hier schreibe. Vielleicht schaffe ich es diesmal über Seite 5 hinauszukommen und mich literarisch in diese Welt zu ergießen. Schauen wir mal, wie das Leben so spielt…

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