Digital ist nicht die Antwort, wenn der Content analog geplant wird

Peter Diekmann
8 min readMay 9, 2015

“Corporate Publishing in der digitalen Welt” — zu diesem Thema lud der @LPRS_eV Verein Leipziger Public Relations Studenten am zweiten Maiwochenende das Who-is-who der PR-Branche zur Diskussion auf dem 10. #lprsforum. Ich durfte die Keynote halten und habe meinen Vortrag mitsamt Quellen und Querverweisen im Folgenden schriftlich aufbereitet: (Disclaimer: Ich bin Alumni des LPRS und Mitglied im Beirat)

Digital Corporate Publishing soll das Thema des Tages sein — also übersetzt nichts anderes als die Umsetzung der Unternehmensveröffentlichungen im Netz. Die Antwort muss “digital” heißen und digital ist irgendwie online. Nämliches hat die Verlags- und Medienwelt ja erfolgreich vorgelebt, oder?

Ist ein QR-Code drauf, also digitales Publishing? Eigene Aufnahme, gesehen in Bielefeld, April 2015.

“Wir machen das jetzt digital ist” das neue Synonym für “mit den Fähnchen”. Man kommt sich derzeit ein bisschen vor wie bei Douglas Adams - nur das das Internet die Antwort sein soll, statt 42. Dennoch haben wir das gleiche Problem wie die Menschen in Adams’ Trilogie „Per Anhalter durch die Galaxis“ als Ihnen der Supercomputer nach hunderten Jahren Rechenleistung antwortet:
„Was war nochmal die Frage?“

Es scheint, als ginge manchen die digitale Transformation zu schnell und in der Tat hat Digitalien 2014 einige beeindruckende Meilensteine erreicht:
• Weltweit lag die Zahl der Social Media User im August bei 2 Milliarden
• Die globale Marktdurchdringung mobiler Telefone erreichte im September einen Wert von 50 Prozent
• Die Anzahl der globalen Internetnutzer überschritt im November 3 Milliarden
• Die Zahl der aktiven mobilen Verbindungen überstieg die globale Gesamtbevölkerung

Chart 125 aus dem Wearesocial-Report 2015

Und im Wearesocial-Report 2015, aus dem diese Zahlen stammen, gibt es keine Hinweise darauf, dass das bisherige Wachstum sich verlangsamt.

„And what’s next?“, fragt der Vorstand oder Geschäftsführer nun gern den Digitalexperten.
Schon die Frage verrät aber, dass viele den digitalen Wandel nicht verstehen. Disruptive Veränderung kann niemand voraussehen. PR-Redakteure müssen grundlegend anders arbeiten in Zukunft. Dazu komme ich weiter unten noch einmal.
Wir wollten ja über Digital Corporate Publishing reden, also über die digitale Verbreitung unseres Content. Ich bin so frei und folge einfach mal dem Buzzword, denn im Moment reden ja alle über Content Marketing.

Wie es @crispygerri perfekt definiert hat, kommt Content Marketing ursprünglich überhaupt nicht aus der Online-Welt, sondern beschreibt lediglich ein Konzept: “Anstelle werblicher Botschaften werden informative und/oder unterhaltende Inhalte verbreitet. In diesem Sinne war bereits der Michelin-Guide, der Anfang des letzten Jahrhunderts etabliert wurde, der Vorreiter im Bereich Content-Marketing. Ebenso das Guinness Buch der Rekorde und erst recht die Kindercomics mit den Abenteuern von Lurchi dem Salamander. Auch Corporate Publishing ist nichts anderes als Content Marketing.” Mehr dazu bei http://blog.hubspot.de/marketing/das-sagen-marketing-entscheider-zum-thema-content-marketing

Also doch: Wir machen wir weiter wie gehabt, nur digital.

Moment bitte. Schauen Sie sich erst einmal diese Zahlen aus einer aktuellen Studie des Forum Corporate Publishing an:

Beeindruckende 96,2 Prozent aller befragten deutschen Marketing-Entscheider finden, dass Markenkommunikation und Inhalte unbedingt zusammengehören. Und ganz ironiefrei gaben im Folgenden 55 Prozent an, tatsächlich eine Marketingstrategie zu verfolgen, die auf Inhalte anstelle von Werbung setzt. Schlimmer noch: Weniger als die Hälfte, in Unternehmen ein Drittel, konnte ein Beispiel nennen.

Wir streiten uns um Relevanz und Definition von Content Marketing. Aber selbst IT-Dienstleister machen jetzt Content Marketing. Unternehmensberater auch. Währenddessen pflegen Marketer und PR-Vertreter eine völlig überholte “Feindschaft”, wer besser Content kann — siehe auch das letztjährige LPRS-Forum und die aktuelle Debatte zwischen GPRA und Co.

Digitale PR arbeitet dabei inzwischen längst wie Suchmaschinenoptimierer — wenn nicht, arbeiten sie falsch, denn SEOs denken in Keywords und Usability, messen den Erfolg der platzierten Inhalte und optimieren diese anschließend. Auch gute Online-Marketer kennen die Wichtigkeit von packenden Inhalten und verfeinern die Tracking-Möglichkeiten. Lesenswert dazu der Beitrag “Was ist Content Marketing — und was nicht!?” von @BenHarmanus bei @MaelRoth im Blog. Jetzt haben Sie die richtige Frage:

Wie bekomme ich digitale Aufmerksamkeit?

Deswegen reden wir über Content!
Content ist King?
Wissen Sie von wem der Satz eigentlich stammt?
Von niemand anderem als Bill Gates, und zwar im Jahre 1996.

Gefunden bei: http://www.craigbailey.net/content-is-king-by-bill-gates

Aber Vorsicht: Content ist nicht das Ziel! Content ist nur King, wenn er für die Nutzer relevant ist. Nutzer interessieren sich weder für Ihre Marke noch Ihr Image. Ihr Content sollte sich am Leser orientieren, nicht am Absender oder gar am Produkt.

Digitale Aufmerksamkeit müssen Sie sich verdienen.

Warum interessieren sich Menschen für Inhalte? Und warum sollten sie sich gerade für Ihre Inhalte interessieren? Wenn man bei Ihnen das Gleiche in Erfahrung bringen kann wie beim Wettbewerb, dann ist das einzige, was Ihre Kunden bei Ihnen hält, die Beziehung zur Marke. Und wenn Sie diesen Gedanken verarbeitet haben, stellen Sie sich am Besten gleich die Folgefrage liebe PR-Experten – Sind Sie sicher, dass Ihr Job sicher ist?

Die echte Frage muss also lauten: Wie gelingt es, dass Ihre Zielgruppe eine echte Beziehung zu Ihrer Marke aufbaut — und zwar ungeachtet vom Kanal, über den Content verbreitet wird?

Wir halten fest: Im Mittelpunkt Ihres Contents stehen Ihre Kunden!
Jetzt fragen Sie sich bitte:

Wofür stehen Ihre Inhalte?
Findet man ihre Inhalte?
Schreiben Sie über Themen oder ihre Produkte?
Schreiben Sie für Menschen oder für Absatzmärkte?
Kennen Sie Ihre Leser?

Das tut jetzt weh, liebe PR-Schaffende, aber lernen Sie bitte etwas von denen, die sie eigentlich als Gatekeeper abschaffen wollten: Journalisten! Gute Journalisten können für Leser schreiben, aber können Unternehmen das auch? Ja, wenn sie digital denken und handeln.
Im Online-Journalismus wird heute immer stärker agil gedacht, denn Redaktionspläne funktionieren nur noch bedingt in der Ära der digitalen Revolution. Das digitale Storytelling funktioniert wie SCRUM.

Scrum-Prozess als Poster, gefunden bei http://mm1.de/agile-development/

Wir leben in einer Zeit der Transformation und agilen Methoden; denken Sie also außerhalb der Silos Ihrer Abteilungen: Online-Redakteure und moderne Programmierer stehen sich näher, als sie oftmals wissen. Dass sie es nicht wissen, ist ein Problem. PR braucht Programmierer zum Überleben in der digitalen Ära.

Zur besseren Veranschaulichung ein Beispiel: Eine gut erzählte Online-Story für das eigene Corporate Magazin - sagen wir eine Reportage, am besten noch interaktiv - braucht neben Redakteuren einen Fotografen und einen Programmierer, evtl. einen Videoproduzenten, sicherlich aber einen Grafiker, dann zur Distribution einen Marketer, einen Community Manager… — wenn Content Produktion zu einer solchen Aufgabe wird brauchen Sie eine Projektplanung.

Deswegen befindet sich digitales Marketing im Wandel von der klassischen, kurzfristigen kampagnenorientierten Kommunikation hin zu einer vernetzten, authentischen, nachhaltigen Always-On-Kommunikation. Über alle Kanäle und vor allem auch über alle Kommunikationsabteilungen eines Unternehmens hinweg. Das heißt aber natürlich, idealerweise arbeiten abteilungsübergreifend alle Kommunikationsprofis verzahnt zusammen. In dieser Welt gibt es keine Silos oder einzelne Budgettöpfe. Also nicht so, wie es GPRA-Präsident Kohrs gern hätte:

“Content kann keiner so gut wie wir PR-Leute.”

Ich bin da eher bei unserem Moderator Sascha Stoltenow:

“Die Fähigkeit zur Kooperation entscheidet über den Kommunikationserfolg”

Eine Digital-Strategie ist eine Strategie, die vom gesamten Unternehmen gelebt wird — vom Pressesprecher bis zum Recruiting. Digital sollte deshalb elementarer Bestandteil der gesamten Kommunikationsstrategie sein. Und eine solche Strategie beinhaltet einen konsistenten Content-Auftritt und sorgt damit für CI-Verständnis aller Abteilungen und Mitarbeiter.

Und bitte zeigen Sie diese Mitarbeiter! Geben Sie Ihrem Content ein Gesicht. Digitale Kommunikation — nicht nur im Social Web — lebt von Menschen. Wer sich online hinter einer abstrakten Adresse oder Marke versteckt, anstatt persönlich zu kommunizieren, verliert schnell an Glaubwürdigkeit und Reputation. Hierzu unbedingt lesenswert ist der Beitrag von @klauseck im pressesprecher: Lust auf Transparenz — Mitarbeiter als Markenbotschafter

Und wenn Sie das nicht ihm oder mir glauben, sollten Sie dem Edelman Trust Barometer glauben. Das sagt nichts anderes, als das Organisationen seit Jahren an Glaubwürdigkeit verlieren, die Menschen mit Expertise zu einem Thema aber gleichzeitig gewinnen.

Wie war jetzt nochmal die Frage?

Die Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist nicht die fehlende Verfügbarkeit von digitalem Content. Content ist längst überall, das heißt: Viel mehr davon ist leichter erreichbar als früher und viele Konsumenten machen Content selbst. Die Folge ist ein noch härterer Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Gleichzeitig sind Leser/Nutzer zu Rechercheuren geworden, mit extrem niedrigen Aufmerksamkeitszeiten ausgestattet und schnell genervt, wenn die Usability nicht stimmt oder der Inhalt nervt.

Die eigentliche Herausforderung ist die falsche Herangehens- und Denkweise von Unternehmen, erst am Ende der Wertschöpfungskette anzusetzen und entweder digitale Varianten von Produkten zu erstellen oder die vorhandenen Produkte über digitales Marketing anzubieten. Das Problem dabei: Wenn der Vertrieb, der Kundenservice und die PR-Abteilung dabei weiter analog arbeiten, sind die Kunden nicht nur schnell enttäuscht. Sie bekommen auch keine neuen dazu. Wer seit Jahren online bestellt und mit dem gesamten Freundeskreis über Social Media kommuniziert, wird heute eher ein Uber oder Netflix testen als sich zweimal von ihrem analogen Produkt enttäuschen lassen.

Viel wichtiger als das Produkt selbst ist darum die Art und Weise, wie ein Unternehmen sich organisiert. Digital ist ein Prozess und ein elementarer Bestandteil der Strategie, des Denkens und Handelns der gesamten Unternehmensführung und seiner Mitarbeiter. Das geht nicht? Dann fragen Sie bitte mal @michaschmidtke von Bosch.

Und damit sind wir bei Ihren Influencern angekommen. Denn genau wie Unternehmen Content Marketing betreiben, so tun das — vielleicht nicht immer ganz bewusst — auch Ihre Kunden. (Und auch Ihre eigenen Mitarbeiter.) Wenn diese zufrieden sind, kommen sie nicht nur wieder, sie sagen es auch weiter. Mundpropaganda ist nichts neues, sagen Sie? Wenn ich es statt einem Freund aber 100 auf Facebook mitteile, wie zufrieden ich bin? Multiplikatoren sind dank Social Web Ihre besten Content Marketer, das unterstützt inzwischen sogar der Algorithmus.

Was hat das mit Digital Corporate Publishing zu tun?
-> Kein Mensch liest ihr komplettes Magazin!
-> Kein Mensch surft durch ihre komplette Website!
-> Kein Mensch liest alle ihre Facebook-Postings, tweets oder Blogs!

Ihr aufwändig produzierter Content versendet sich.

Tolle Anleitung für eine Strategieentwicklung mit Content Marketing vom @talkabout

Aber: Die Wahrscheinlichkeit, dass gut produzierter Content sich online weiterverbreitet, ist exponentiell höher, wenn die Zufriedenheit Ihrer Kunden mit dem Produkt stimmt. Denn Menschen teilen online mit anderen was Sie mögen. Dazu gibt es sogar eine jährliche Studie namens Wave und Tipps, was von wem warum besonders gern geteilt wird.

Darum:
Respektieren Sie Ihren Leser, berücksichtigen Sie den Nutzen des Inhaltes schon bei der Planung, prüfen Sie was von Ihren Zielgruppen gelesen wird, nutzen Sie mehrere geeignete Medienkanäle, machen Sie den Content für alle teilbar und reagieren Sie auf Kritik und Wünsche.

Digital ist nicht die Antwort, sondern der Weg

Corporate Publishing einfach nur digital zu machen, ist analoges Denken und greift zu kurz.

Digitalisierung erfordert ein neues Denken — einen kulturellen Wandel der das ganze Unternehmen betrifft, also Führungs- wie Fachkräfte gleichermaßen.

Wer Nutzerorientierung, Usability und Personas immer noch für Bestandteile von IT-Projekten hält, wird von den eigenen Kunden bestraft werden.

--

--

Peter Diekmann

Digitale Kommunikation @ Bosch Stiftung, normal nerdig, fragt gerne nach dem "Why"?