How do you cope?

Teil 2

Simon Höher
Fieldnotes – Hybrid City Lab
6 min readMay 20, 2020

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Wenn in dieser Woche viele Betriebe und Organisationen langsam einen kleinen Schritt in Richtung Normalität wagen, bleiben viele Fragen offen. Keiner kann eine noch unentschiedene und sich dazu stetig wandelnde Zukunft vorhersehen. Aber wir können einen Schulterblick auf die jüngste Vergangenheit werfen. In den letzten Wochen haben wir vielen Gespräche mit Menschen in öffentlichen Organisationen geführt: Mit Mitarbeiterinnen in Stadtverwaltung und Landkreisen, bei Wohnungsbaugenossenschaften und Universitäten, in NGOs und (digitalen) Communities. Wir haben gefragt, welche Auswirkungen die aktuelle Krise auf öffentliche Dienstleistungen hat, auf das Arbeiten in Verwaltungen und die Themen, die Städte heute und morgen beschäftigen. Was lernen Verwaltungen zur Zeit — und was verlernen sie? Welche Rituale, Best Practices und neue Erkenntnisse lassen sich bereits jetzt ableiten? Und was kann das für eine Zeit nach der akuten Krise bedeuten?

Foto: dpa/Jim West

1. Kuration

“Wir erleben ein neues Verständnis der Rolle einer Verwaltung: Wir filtern digitale Inhalte und schaffen so Vertrauen. Wir werden Kuratoren.” — Ein Mitarbeiter der Stadt Gent

Die Pandemie zeigt: Eine Gesellschaft re-organisiert sich selbst. Denn nicht nur die Herausforderungen der Krise sind gesellschaftlicher Art — extreme Anforderungen an ein Öffentliches Gesundheitswesen, Gefahren durch wirtschaftliche Rezession, politische, rechtliche und demokratietheoretische Abwägungen — die großen und kleinen Antworten darauf sind es eben so. Zwar kommen viele davon aus der Politik und der Verwaltung selbst: Neue Gesetze, aktualisierte Handlungsempfehlungen und Leitlinien, die mittlerweile ritualisierte öffentliche Top-Down Kommunikation von Staatsoberhäuptern sowie interne Vorgaben von Führungskräften. Gleichzeitig entstehen parallel jedoch auch zahlreiche Initiativen, Projekte, Lösungsideen und Services aus einer breiten Zivilgesellschaft, gerade auch im Stadtraum: Hackathons, 3D-Druck Prototypen, Nachbarschafts-Initiativen (z.B. unter dem Hashtag #Nachbarschaftschallenge)und professionelle Unterstützung aus Wirtschaft und Kultur. Oft sind diese dezentral und lokal organisiert (z.B. auf Facebookgruppen). Öffentliche Verwaltungen haben damit eine neue Rolle zu meistern, nämlich die der Kuration: Als zentraler Adressat entsteht eine natürliche (wenn ich nicht unbedingt geplante) Schnittstelle zwischen Politik und Digitaler Zivilgesellschaft, an der Informationen, Daten, Initiative, Gruppen und Ressourcen koordiniert werden. Dezentrale Initiativen treffen hier auf politische Entscheidungen. Bestenfalls führt das zu neuen Synergien, schlimmstenfalls zu gegenseitiger Blockade und Irritation.

Aus der Digitalen Zivilgesellschaft in die Verwaltung. Manchmal geht es schnell!

2. Mitarbeiter*in des Monats?

Organisationsentwicklung im Krisenmodus

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass viele Organisationen und vor allem auch Verwaltungen dazu in der Lage sind, radikale Veränderungen in kürzester Zeit umzusetzen. Zwar gibt es nach wie vor Herausforderungen bei der konkreten Umsetzung, bei Rechtsfragen und nicht zuletzt bei der Haushaltsplanung. Viele unserer Gesprächspartner*innen blicken mit großen Fragezeichen in die Budgetplanung der zweiten Jahreshälfte. Gleichzeitig findet vielerorts eine große Kreativität, Schnelligkeit und Dynamik im Umgang mit dieser außergewöhnlichen Situation statt — übrigens eine Einsicht, die schon nach wenigen Tagen deutlich wurde. Bei einigen gilt Corona gar als „Mitarbeiter*in des Monats“ in der Change Abteilung: uralte Diskussionen wurden beendet, viele grundsätzliche Vetos und No-Gos konnten plötzlich überwunden werden und viele Organisationen lernen: Wir können, wenn wir müssen. Das ist ein starkes Zeichen organisationaler Resilienz, aber es stellt sich damit auch die Frage:

Braucht es eigentlich immer eine Krise, um sich auf Neues einzulassen?

Welche No-Gos haben sich im Nachhinein als überzogene Sorge und Veränderungsresistenz offenbart, und wie können wir daraus für die Zukunft lernen? Wie können wir als Verwaltung lernen, Veränderung auch dann offen und mit Selbstvertrauen zu gestalten, wenn es nicht existenziell, sondern “ganz normaler Alltag” ist? Wenn wir es eigentlich können, woran hat es eigentlich immer gehakt? Das sind wichtige und lehrreiche Fragen, die zu stellen es sich lohnt.

3. Entscheiden — und Nachverhandeln

“We’ll think later”

Lessons Learned: Nicht nur die Umsetzung neuer (und alter) Projekte ist zentral — sondern auch das regelmäßige Reflektieren und Lernen. Quelle: #WirVsVirus Hackathon Handbook.

Bei all der kreativen Flexibilität und berechtigten Freude über viele kleine Anpassungen bleibt immer auch wichtig, nachzuverhandeln: Welche Kompromisse sind eingegangen worden, die zu gegebener Zeit bewusst wieder zur Diskussion gestellt werden? Welche kurzfristigen „Quick Wins“ und (administrativen) Abkürzungen wurden gewählt — und welche Kosten oder Risiken bergen diese langfristig? Das bewusste Nachverhandeln bezieht sich dabei nicht nur auf interne Abläufe und Prozesse. Vor allem bei der Aus- und Mitgestaltung öffentlichen Raum gilt zur Zeit Fahren auf Sicht.

Neben Kompromissen und praktikablen Lösungen hilft es da, Reflektionsphasen von vornherein einzuplanen und Entscheidungen bewusst zu treffen, anstatt sie implizit zu einer neuen Realität in Form von Ritualen, Prozessen oder Gewohnheiten werden zu lassen. Das kann etwa durch Merklisten, einen “Backlog an vorläufigen Entscheidungen” und regelmäßigen Reflektionsrunden geschehen. Gesellschaftlich passiert dieses Nachbehandeln übrigens gerade sehr öffentlich, durch demokratischen Diskurs, eine breite Öffentlichkeit und (wenn auch teils abenteuerliche) Debatten. Aber es ist wichtig, in Zeiten von kollektiver Unsicherheit, diese auch als Gesellschaft abbilden und ausdifferenzieren zu können. Organisationen sollten das gleiche tun und vor allem darauf achten, dass das Nachverhandeln, Reflektieren und Diskutieren in konstruktiven und transparenten Bahnen stattfindet.

Umsetzen, Reflektieren, Lernen. Auch der Think Tank ProPublica hat ein paar Vorschläge gesammelt.

4. Digitale Systemrelevanz

Die digitale Öffentlichkeit kann nicht einfach reguliert werden. Genau das ist ihr großes Potential! Und doch birgt es große Herausforderungen für eine Verwaltung.

Wir haben in den letzten Monaten viele Diskussionen um die „Systemrelevanz“ von Berufen, Veranstaltungen, Orten und Aktivitäten erlebt. Deutlich geworden ist dabei ganz implizit, das die Systemrelevanz schlechthin die digitale Öffentlichkeit selbst geworden ist. Das erleben auch öffentliche Organisationen: innerhalb kürzester Zeit entstanden Social Media Accounts bei Stadtverwaltungen, der Bürger*innen-Dialog findet per Zoom statt und das Home Office ist längst synonym zum eigenen Laptop mit entsprechender Video- und Internet-Ausstattung. Spätestens jetzt sollte allen klar sein, die sogenannte „Digitale Transformation“ ist kein strategisches Zukunftsprojekt, sondern längst selbstverständliche Realität. Das bringt jedoch einige durchaus folgenschwere Konsequenzen mit sich:

Von Diskussionen über eine digitale Öffentlichkeit lassen sich Fragen zu Datenschutz, Sicherheit und Teilhabe nicht trennen.

Die Repräsentation von lokalen Interessensgruppen, die Durchführung von Bürgerbeteiligungsformaten und auch politische Rahmenbedingungen im Umgang mit Online-Tools und Apps stellen Verwaltungen und Bürger vor viele neue Fragen. Zwar gibt es auch viele vielversprechende Antworten darauf, die eigentliche Diskussion darüber wird vielerorts noch nicht geführt.

5. Zukunft gestalten

“Half-measures that maintain the status quo won’t move the needle or protect us from the next crisis.” — Bill de Blasio, Bürgermeister von New York City.

Dabei ist das die große Chance der heutigen Krise. Corona wird auch in Zukunft als neuer Referenzwert gelten können, als neues normal Null: Interessanterweise gibt es öffentliche Stellen, die durch den Lock Down auch die Chance bekommen, neue Eichwerte für Umwelt- und Lärmbelastungen oder Verkehrsnutzung zu setzen. Von hier aus aufzubauen und weiterzudenken macht viele fragile Abhängigkeiten (neu) sichtbar. Das können Fragen nach der Systemrelevanz sein — übrigens auch intern: Wer in einer Organisation ist eigentlich systemrelevant? Wir haben von einem Mitarbeiter im Postdienst gehört, der intern als kritische Lebensader für viele andere Abteilungen identifiziert wurde. Auch innerhalb von Organisationen lohnt es also genauer hinzuschauen und gemeinsam zu diskutieren, wer warum welche zentrale Funktionen sichert — und sich gegebenenfalls dezentraler oder redundanter zu positionieren.

Darüber hinaus bietet Corona eine Chance, alte Denkmuster als das zu erkennen, was sie sind — und sie unmittelbar mit neuen Ideen und Prozessen zu vergleichen. So können Organisationen sich selbst fragen: Gibt es bei uns neue Lernerfahrungen? Welche davon wollen wir auch in Zukunft beibehalten? Viele Städte auf der Welt stellen sich gerade genau diese Fragen. Wir glauben, es braucht nicht immer eine Krise, um Veränderungen anzustoßen — mit gemeinsamen Bewusstsein und einem reflektierten Blick auf sich selbst, kann Veränderung auch in der Zukunft als Chance, statt als bedrohliche Notwendigkeit genutzt werden. Dabei helfen wir unseren Projektparter*innen.

Das Hybrid City Lab ist das Urban und Public Design Studio von zero360.

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Simon Höher
Fieldnotes – Hybrid City Lab

Public Design @hybridcitylab. Co-Founder @thingscon. I like weird astro-jazz.