Wenn das Problem die Lösung ist.

Hybrid City Lab
Fieldnotes – Hybrid City Lab
6 min readOct 4, 2021

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Ein Bike Sharing Haufen | Foto: Miraliu (CC BY SA 4.0)

In unserer Arbeit stoßen wir regelmäßig auf ein Problem, das nahezu alle Organisationen auf der Suche nach neuen Strategien und Innovationen nur all zu gut kennen. Das gilt für Stadtverwaltungen, politische Institutionen und den Öffentlichen Sektor zwar ganz besonders — im Kern betrifft es jedoch jede Organisation, die sich selbst oder gar ihre Umwelt verändern will, ob Start Up, Konzern oder Ministerium. Das Problem lautet:

Um die richtige Frage zu stellen, muss man bereits wissen, welche Antwort man hören möchte.

Anders gesagt: Die Formulierung einer Herausforderung ist oft genau so anspruchsvoll wie die Suche nach ihrer Lösung. Allerdings wird der erste Teil — die Suche nach der Frage — all zu oft übersehen und das volle Augenmerk liegt auf der Entwicklung einer Lösung. Das ist problematisch. Denn diese Strategie scheitert oft an der Realität.

Pls Stop Saying VUCA

Dass wir längst in einer komplexen Welt leben und arbeiten ist mittlerweile ein (auch marketingträchtiger) Gemeinplatz. Umso überraschender ist es jedoch, dass viele Prozesse, Arbeitsabläufe und Formate in öffentlichen Organisationen, diese Erkenntnis noch kaum abbilden. Nach dem obligatorischen VUCA-Absatz zu Beginn einer Projektbeschreibung oder dem Komplexitäts-Disclaimer zu Beginn einer Projektpräsentationen verfallen wir gern in alte Gewohnheiten: Wir suchen einfache, “agile Prozessentwürfe”, „robuste Strategien“ und geben die Entwicklung von Zielbildern in Auftrag, die wir in klar definierten Phasen erst er- und dann abarbeiten und erreichen wollen. Der verlockende Dreiklang aus Understand — Ideate — Execute, der nicht zufällig verdächtig an etwas in die Jahre gekommenen Masterplan-Routinen von Fachleuten und Expert:innen erinnert, hat längst in jeder Innovationsabteilung Einzug gehalten, die etwas auf sich hält.

Das mag auch durchaus sinnvoll sein, wenn es darum geht, in übersichtlichen Kontexten, möglichst effizient Standardprozesse umzusetzen. Spätestens bei der Suche nach “innovativen Lösungen” für die großen Herausforderungen unserer Zeit — ökologische und ökonomische Krisen, politische und medizinische Programme, urbane und globale Entwicklungsprogramme — greift diese Strategie jedoch zu kurz. Denn wenn wir auf der Suche nach etwas wirklich Neuem sind, muss auch der Weg dort hin bereits ein anderer sein.

Die Krux ist, dass gerade diese Herausforderungen, so komplex, so offen und unüberschaubar sind, dass sie allesamt in genau die Kategorie fallen, die Horst Rittel und Melvin Webber schon vor 50 Jahren treffend als „wicked“ charakterisiert haben: Sie zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass man sie erst dann formulieren kann, wenn man ihre Lösung schon gefunden hat. Zu Ende gedacht bedeutet das:

Die Formulierung des Problems ist das Problem!

Das klingt paradox, wird aber schnell deutlich, wenn wir uns die Krisen der aktuellen Tagespresse anschauen: Was genau ist das Problem hinter der Klimakrise? Falsche Regulierung? Falsche Wirtschaftsmodelle? Falsche Anreize? Falsche Technologien? Alles davon? Es wird schnell deutlich, dass die Wahl der Frage weitreichende Folgen für die Suche nach Antworten hat. Und genau diese Weichenstellung bei der Wahl der Frage ist es, die integraler Bestandteil eines Designprozesses ist, aber oft übersehen wird — im Zweifel weil sie erfolgt, bevor das Projekt eigentlich losgeht, nämlich bei der Allokation von Budgets, politischen Prioritäten oder der Formulierung von öffentlichen Ausschreibungen.

Planung ≠ Planung

Es gibt also einen Unterschied zwischen jenen Projekten, welche innerhalb des Status Quo iterative Lösungen entwickeln, und jenen, die genau diesen Status Quo verändern wollen. Und leider wird dieser Unterschied oft übersehen — denn die Lösungsstrategien sind dieselben: Wir sind auf der Suche nach Großen Lösungen und Mastplänen, dabei wirkt die Hoffnung auf überschaubare Ziel-Problem-Lösung-Prozesse eher fehlplatziert. Planung ist also nicht gleich Planung und der Unterschied liegt in der Natur des Problems, nicht im Auftragsvolumen.

Welches Problem löst eigentlich eine „Smart City“?

Ein Beispiel: Im letzten Jahr hat das Bundesinnenministerium ein mittlerweile über 800 Mio. schweres Förderprogramm für Smart Cities beschlossen. Viele der geförderten Initiativen beginnen zunächst mit der Entwicklung einer Strategie welche dann, in einem zweiten Schritt, in konkrete Projekte mündet. Aber: Welches Problem löst eigentlich eine „Smart City“? Wer Warum braucht es dafür einen gesonderten Topf — wie unterscheidet sich eine “Smarte Lösung” von “klassischen Lösungen” einer gelungenen Stadtpolitik? Frei nach Rich Gold könnten wir fragen:

Würdest Du lieber in einer smarten Stadt leben — oder in einer smart gestalteten Stadt ?

Und was ist mit einer eigentlich dummen Stadt, die aber recht angenehm ist, wenn man smart darin lebt?

Es scheint, als müsste für die Entwicklung einer Smarten Stadt bereits die Strategie um dorthin zu gelangen selbst smart sein. Wie entwickelt man also eine smarte Strategie für eine smarte Stadt? Heißt das, man braucht jetzt eine Strategie für die Strategie? Where does it stop!? (Und natürlich: where does ist start?)

Klingt kompliziert? Genau solche Zirkelschlüsse und Verschachtelungen sind typisch für komplexe Herausforderungen. Und damit kollidieren sie schon prinzipiell mit linearen Planungsprozessen. Eine Ausschreibung, die sich selbst zum Inhalt hat ist zumindest schwer vorstellbar. Wie also trotzdem (weiter-)arbeiten?

Ein Beispiel kommt aus Berlin: Hier wird tatsächlich eine Strategie der Strategie entwickelt — das ganze nennt sich dort “Strategischer Rahmen für die Smart City Strategie” und ist der Versuch, bereits den Weg zur Smarten Stadt smart zu gestalten, also offen und transparent, partizipativ und nachhaltig. Der Berliner Senat hat diese Vorlage vor wenigen Tagen beschlossen — und dabei übrigens eine zweite Eigenart komplexer Herausforderungen deutlich gemacht, die Rittel und Webber ebenfalls betonen:

Design ist Politik.

Die Auswahl der Frage, der Projektfokus, die “Rahmenbedingungen” und übrigens auch die Auswahl der Ziele ist letztlich immer eine Entscheidung (hoffentlich eine bewusste und demokratische). Was für den Projektstart gilt, gilt also auch für das Projektende — und damit für all das, was wir unseren Nachfolgern überlassen:

What we call “final” goals are in fact criteria for choosing the initial conditions that we will leave to our successors.

So hat es Herbert Simon formuliert. Und uns dazu angehalten, uns immer zu fragen, wie wir die Welt (oder unser Projekt) für nachfolgende Generationen hinterlassen wollen? Und wie wir sicherstellen können, dabei so viele Optionen und Möglichkeiten offen und verfügbar zuhalten, wie möglich. Rittel und Webber sprechen daher von der re-solution statt der solution von sozialen Problemen, also dem kontinuierlich Entschluss statt der Lösung: „Social problems are never solved. At best they are only re-solved — over and over again.“ Man könnte auch — etwas nüchterner — mit Lucius Burckhardt von “geschaffenen Sachzwängen” sprechen, die ein Problem nun mal eingrenzen (oder eben nicht).

Ein Anti-Plan

Wir sollten uns also zum Einen bewusst machen, dass die Frage immer schon Teil der Antwort ist (oder: die Ausschreibung ist immer schon Teil des Angebots). Und dass gerade bei der Suche nach wirklich neuen, innovativen Antworten das vorschnelle Fragen dafür sorgt, dass wir uns schon bevor die Arbeit losgeht gegen viele mögliche Richtungen entscheiden, ohne dass wir es mitbekommen. Man könnte auch sagen: Innovation heißt bessere Fragen zu stellen, nicht bessere Antworten zu finden.

Zum anderen scheint es ganz besonders vielversprechend, nicht nur neue Ideen für die Herausforderungen in unseren Städten und Gemeinschaften zu suchen — sondern auch neue Ideen dafür, wie wir diese Ideen finden können. Offene Labore, öffentliche Experimente, Gespräche und gemeinsame Lern- und Suchprozesse können dabei eine Richtung (oder vielleicht sogar Haltung) sein, die sich vom alten Dilemma des Rufs nach klaren Fragen und Antworten löst und den das Nicht-Vorhergesehene als zentrale Komponente in unsere Design- und Innovationsarbeit einführt: Nicht als Störung, sondern als Baustein für sukzessives, gemeinsames Verstehen der Herausforderungen und damit verbundenen Strategien. Der Designtheoretiker Ranulph Glanville sagt dazu:

The new is beyond prediction.

Wie würde also ein Projektplan aussehen, der nicht vorhersagt, also nicht in Zeiten und Projektphasen denkt, sondern auf Gesprächspartner:innen setzt, auf Experimente, Überraschungen und „erstmal noch nicht getroffenen“ Entscheidungen? Ein Anti-Plan, dessen Plan es ist, so wenig wir möglich zu planen und trotzdem zu gestalten? Dazu noch eine letzte Frage: Wenn wir diese Art des Arbeitens (vielleicht verständlicherweise) nicht von unseren bestehenden Institutionen erwarten können, wo finden wie sie dann?

📧 ➔ mail@hybridcitylab.com
Das Hybrid City Lab ist das Urban und Public Design Studio von zero360.

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