Ein Arbeitstag im Leben eines Agile Coaches bei idealo

Wie sieht eigentlich der Arbeitstag eines Agile Coaches aus? In diesem Artikel lasse ich euch einen Tag lang über meine Schulter schauen.

Emre Sönmez
idealo Tech Blog
7 min readApr 9, 2020

--

Eine der in Kennenlerngesprächen am häufigsten gestellten Fragen ist: “Wie sieht eigentlich der Tag eines Agile Coaches aus?” Die noch junge Profession des Agile Coaches wird in vielen Unternehmen unterschiedlich interpretiert und ausgelebt und auch wenn sich in den letzten Jahren handwerkliche Standards abzuzeichnen beginnen, ist dieser Beruf noch immer erklärungsbedürftig. Auch bei idealo gibt es “den Tag als Agile Coach” nicht. Was uns beschäftigt und wie wir arbeiten ist von vielen Faktoren abhängig. In diesem Artikel möchte ich dennoch einen kleinen Einblick in meinen Alltag in der Rolle des Agile Coaches geben.

Wir Agile Coaches arbeiten in der idealo-Produktentwicklung in sogenannten Tandems. Mein Agile Coach-Tandempartner und ich gehen abwechselnd unsere Notizen durch und lesen uns unsere Beobachtungen und die damit verbundenen Hypothesen vor. In der vorigen Woche haben wir zwei Softwareentwicklungsteams einen Sprint lang begleitet und sie in ihrer täglichen Zusammenarbeit beobachtet. Ziel war es, die Teams bei der Product Delivery zu beobachten und Verbesserungspotenziale zu erkennen. Das tolle an dieser engen Zusammenarbeit im Tandem ist, dass wir uns ständig gegenseitig challengen und hinterfragen können. Klar, ich will oft schneller voran, doch gerade in diesem Moment hilft der bekannte Schritt zurück. “Ist das wirklich ein beobachtbares Verhalten oder schon eine Interpretation?” höre ich meinen Tandempartner fragen. So machen wir weiter in unserem ersten gemeinsamen Termin am Tag.

Zuvor, als morgendlichen Start in den Tag, haben wir uns in der Cafeteria einen Kaffee gegönnt. Selbstverständlich wurden da aus dem sich vorgenommenen sehr kurzen Gang nach unten zum Kaffeeautomaten schnell mal 15 Minuten. Denn die Cafeteria bei idealo ist wie der zentrale Marktplatz im alten Rom. Und wie man sicherlich weiß, führen alle Wege nach Rom, sprich in die Cafeteria. Hier treffen wir Kollegen aus allen möglichen Fachbereichen, führen Smalltalks und nehmen uns noch etwas vom frisch gelieferten Bio-Obst mit.

Am Ende unseres gemeinsamen Termins haben wir all unsere Beobachtungen zusammengefasst, konsolidiert, Annahmen zur jeden Beobachtung formuliert und Vorschläge zu möglichen Maßnahmen erarbeitet.

Es ist später Vormittag, ich sitze mittlerweile wieder an meinem Arbeitsplatz, als mich eine neue Mail vom OKR-Team erreicht. Die Product Areas und Teams werden erinnert, dass die Deadline zur Einreichung der finalen Objectives und deren Key Results für das anstehende Quartal in einer Woche endet. Ich mache mir einen Reminder im Kalender und packe es auf die nächste Agenda des Tandem-Jourfixes. Mir ist wichtig, aus Sicht des Agile Coaches, alle wichtigen Fragen zum strategischen Planungsprozess mit meinem Tandempartner beantwortet zu haben, um bestmöglichst gewappnet zu sein.

Als nächstes steht der wöchentliche Jourfixe mit den Head-Ofs unserer Product Area an. In der Zusammenarbeit mit dem Head of Product und Head of Technology arbeiten wir vier überwiegend an der Organisationsentwicklung und der teamübergreifenden Strategie. Wir verstehen uns als Führungskreis, der auf Augenhöhe zusammenarbeitet und die Zielerreichung und Lieferfähigkeit der Teams sichert. Hierfür arbeiten wir mit und an unserem gemeinsam entwickelten Goal Tree, um Hindernisse bei der Gesamtwertschöpfung des Systems und somit bei der Erfüllung des Product Area-Zwecks zu identifizieren und hierfür an den richtigen Stellschrauben auf der Ebene der Notwendigen Rahmenbedingungen oder Kritischen Erfolgsfaktoren zu drehen. Wir erinnern uns daran, dass wir die Verantwortung der Gesamtwertschöpfung der Product Area teamübergreifend in die Hände der Teamleads und Product Owner legen wollen. In dem Jourfixe diskutieren wir die dafür notwendigen Schritte, die wir gemeinsam mit den Führungskräften gehen wollen. Hierbei unterstützen wir die Head-Ofs, ihr Handeln absichtsvoll zu gestalten, das “Warum” hinter der Zielstellung zu durchdringen, aber vor allem auch die damit verknüpfen, oft diffusen Bedürfnisse auszusprechen und behandelbar zu machen. Nachdem wir den Zweck, die Rahmenbedingungen und das Vorgehen gemeinsam geschärft haben, entscheiden wir uns im anstehenden “Führungskräfte-Jourfixe”, die Ausarbeitung von möglichen Maßnahmen an die Product Owner und Teamleads zu übergeben.

Nach dem Jourfixe steht die Mittagspause an. Zwar bietet Kreuzberg aus kulinarischer Sicht eine Menge an, doch eine Gruppe von Kollegen haben sich in der Cafeteria zum “Bio-Lunch” getroffen. Die Mittagspause bietet eine super Gelegenheit, fernab vom fachlichen Kontext mit verschiedenen Kollegen zusammenzukommen und interessante Insights aus ihrem Berufsalltag zu erfahren und sich zugleich persönlich kennenzulernen.

Da im Anschluss an die Mittagspause der Product and Technology-Talk stattfinden wird, bleibe ich gleich in der Cafeteria und sichere mir einen Sitzplatz. Dieser findet zweiwöchig statt und bietet allen Mitarbeitern aus Product & Technology, aber auch Kollegen und Kolleginnen aus anderen Fachbereichen, Neuigkeiten zum und aus dem Bereich Product and Technology (P&T) zu erfahren. Kollegen geben Updates zu technologischen Entwicklungen, der CTO spricht über die neuesten Planungsentwicklungen und Vertreter*innen der Product Areas präsentierten nacheinander ihre Erfolge und Produktneuheiten.

Es ist toll zu sehen, wie 300 Menschen in Product & Technology zusammenarbeiten, jeden Tag Wertvolles erschaffen und dabei nicht vernachlässigen, ihr Wissen zu teilen. Gerade weil wir stetig wachsen und kulturell immer diverser werden, ist der PT-Talk ein motivierendes Ereignis, auf das ich mich immer wieder freue.

Am Nachmittag hab ich zunächst die Möglichkeit mein persönliches Kanban-Board zu aktualisieren und mein Coaching-Diary zu füllen. Nach einer knappen Stunde am Platz steht nun das letzte Meeting des Tages an. Dieses steht ganz im Sinne der Product Discovery. Gemeinsam mit dem Product Owner eines Entwicklungsteams erarbeiten wir einen anstehenden Design Sprint. Eine Woche zuvor kam der PO auf mich zu und fragte nach einer vollständigen Design Sprint-Durchführung. Im Sinne einer detaillierten Auftragsklärung nehme ich daher implizit verschiedene Rollen ein. Zu Beginn des Termins bewege ich mich in der “Coach-Rolle”. Ich stelle Fragen und visualisiere Gehörtes, gerade weil ich oft erlebe, dass Klienten mit einem Anliegen an mich herantreten und dabei Lösungsweg sowie Vorgehen bereits definiert haben. Doch nicht selten stellt sich auf Nachfrage nach dem Auslöser, dem Zwecks und dem gewünschten Ergebnisse, heraus, dass das Anliegen eigentlich drei verschiedene Aufträge inkludiert. Die coachende Haltung hilft mir mit gesunder Distanz die Anliegen zu verstehen, um anschließend gut darauf reagieren zu können.

Nachdem ich die Anliegen des Product Owners besser verstanden habe, wechsle ich in die “Berater-Rolle” und teile meine Erfahrungen und Good Practices mit dem PO, beantworte Verständnisfragen und lasse ihn dann ein mögliches, adaptiertes Vorgehen definieren.

Danach gehen wir thematisch in die Tiefe und ich erläutere dem PO die einzelnen methodischen und didaktischen Schritte des Design Sprints. Während ich mein Wissen mit ihm teile, befinde ich mich in der Rolle des “Trainers”. Hierbei achte ich darauf, die verschiedenen Rollen des Agile Coaches (Berater, Trainer, Coach) und deren Funktion bewusst einzunehmen und sie absichtsvoll zu verwenden.

Nach zwei Stunden beenden wir den Termin zufrieden und einigen uns darauf, in einem Folgetermin die nächsten organisatorischen Schritte zu gehen. An dieser Stelle erinnere ich den PO daran, dass er als Auftraggeber und PO verantwortlich für den fachlichen und inhaltlichen Erfolg des Design Sprints ist. In Abgrenzung dazu betone ich, dass ich die Verantwortung für das organisatorische und methodische Gelingen bei mir sehe. Er nickt zufrieden und wir verabschieden uns.

Da der letzte Termin sehr herausfordernd und vielschichtig war, entschließe ich mich, abschließend in die kollegiale Reflexion mit einem/r Kollegen/-in zu gehen. Dafür nutze ich spontan unseren “Support-Chat” der Agile Coaches und bekomme schnell eine positive Rückmeldung. Wir kommen zusammen und ich teile meine Beobachtungen und Gefühle. Die intensive Reflexion mit der Coach-Kollegin hilft mir, meine Gedanken neu zu ordnen und aus den jüngsten Erfahrungen zu lernen. Aber auch meine Reflexionspartnerin profitiert davon, da sie so fachlichen Einblick in die Welt des Design Sprints bekommt und zeitgleich ihre eigene Arbeit in ähnlichen Situationen reflektieren kann. Auf dem gemeinsamen Weg zurück an meinen Arbeitsplatz entsteht spontan die Idee, die Erfahrungen aus dem Design Sprint nach Abschluss mit dem gesamten Agile Coach-Team zu teilen. Das ermutigt mich, im späteren Verlauf verstärkt auf meine Learnings und Fuckups zu achten und diese dokumentieren. Für das anstehende “Agile Coach Development Camp” melde ich mich als “Impulsgeber”. Hier hab ich die Möglichkeit, meine Erfahrungen im Rahmen eines Impulsvortrags zu teilen, mit den Kolleginnen und Kollegen zu reflektieren und Feedback zu bekommen. Nachdem ich das im Agile Coach-Chat verkündet habe, heißt es nun Feierabend.

Beim Rausgehen über den Hof bemerke ich, wie mir einige Kollegen aus der Cafeteria zuwinken. Ich glaube, nach diesem anstrengenden, aber auch erfolgreichen Arbeitstag habe ich mir das Feierabendbierchen definitiv verdient.

--

--