Die letzte Meile ist das Problemfeld der Paketzustellung.
Interview mit Osamah, Martin und Yasmin von dem LogisticTech-Start-up DropFriends
Der digitale Handel boomt, damit auch die Nachfrage nach einer zuverlässigen Logistik. Doch die Zustellung von Warensendungen hat auch Tücken, die viele Empfänger nur zu gut kennen: Wer nicht zu Hause anzutreffen ist, muss auf die Neuzustellung hoffen, innerhalb der Öffnungszeiten zu einem Paketshop oder bei Nachbarn klingeln, falls diese bereit waren, die Sendung anzunehmen. Das Kölner Start-up DropFriends, gegründet von Yasmin Werner, Osamah Aldoaiss und Martin Peters, verändert das bestehende System. Durch Flexibilität, viele Abholorte sowie eine App, die mehr kann, als Zeit und Geld sparen.
Euer Unternehmen ist in einer Branche tätig, die von großen Logistikkonzernen dominiert wird. Wie kann da ein kleines Start-up Fuß fassen?
Martin: Weil wir dort arbeiten, wo ein riesiges Problemfeld besteht — der letzten Meile der Paketzustellung. Viele Menschen sind oft nicht zu Hause anzutreffen, die Sendung geht für einen weiteren Zustellversuch zurück und landet irgendwann in einem Paketshop. Oder bei Nachbarn, bei denen man nicht ganz sicher ist, ob man die eigene Sendung dort haben möchte. Wir sind im Grunde von den Logistikdienstleistern über viele Jahre so erzogen worden, dass wir es fast in Ordnung finden, dass Fremde sich um unser Eigentum kümmern sollen. Nachbarn wird wie selbstverständlich ein Job übertragen, für den sie keine Gegenleistung erhalten oder wir eigentlich nicht möchten, dass sie damit überrumpelt werden. Stellen wir uns vor, wir würden Bekannten ein Buch oder einen Grill ausleihen und sie würden sich entscheiden, diesen Gegenstand einfach bei unseren Nachbarn wieder abzugeben, weil die gerade vor Ort sind. Das würden die Nachbarn und wir selbst vielleicht nicht so toll finden — bei Paketzustellungen, für deren zuverlässige Lieferung auch noch bezahlt wird, hinterfragen wir das kaum. Das ist schon ein wenig verrückt. Der Ist-Zustand bei der Zustellung ist viel zu oft ein Ärgernis. Für die Empfänger:innen, die versendenden Unternehmen oder Privatpersonen und übrigens auch für die zustellenden Logistikdienstleister. Denn jedes Paket, das Extrarunden dreht, ist eine Belastung. Es erzeugt einen zeitlichen Mehraufwand, verursacht Kosten und belastet durch die entstehenden CO2-Emissionen zudem die Umwelt. In unserer Gründungsphase haben wir natürlich viel recherchiert und waren ziemlich erstaunt: Pro Jahr werden mindestens 3 Milliarden Pakete in Deutschland verschickt und bei mindestens 163 Millionen scheitert die Erstzustellung. Jede Sekunde können etwa sechs Pakete nicht an dem Ort übergeben werden, wo sie hin sollen. Das sorgt für Mehrkosten von mindestens 268 Millionen Euro bei der Paketzustellung, beschert eine immense Wartezeit und belastet die Umwelt durch mindestens 163.000 Tonnen CO2-Emissionen. Das sind gigantische Zahlen und das möchten wir ändern. Wir schließen eine Lücke, die alle Beteiligten bei der Paketzustellung sehr ärgert.
Wie macht ihr das? Das klingt sehr ambitioniert.
Osamah: Wir haben ein offenes App-basiertes System geschaffen, an dem alle Akteure der Paketzustellung teilnehmen können. Alle Nutzer unserer App arbeiten gemeinsam daran, dass die Paketzustellung zuverlässiger läuft, Kosten spart und gleichzeitig auch finanziell gewürdigt wird, wenn Menschen so freundlich sind, Paketsendung für andere anzunehmen. Bei uns werden Privatpersonen oder auch Gewerbetreibende, die ihre Zeit und ihren Platz für die Entgegennahme von Sendungen zur Verfügung stellen, zu sogenannten DropPoints. Wer ein DropPoint ist, kann über die App individuell einstellen, zu welchen Zeiten man dort seine Lieferung abholen kann und wann nicht. Starre Öffnungszeiten wie bei üblichen Paketshops gibt es nicht. Für jede angenommene Sendung erhält der jeweilige DropPoint eine Vergütung. Die App ist so angelegt, dass sie B2B sowie B2C funktioniert, größtmögliche Flexibilität und Funktionalität bietet und dabei sehr einfach von allen Menschen zu bedienen ist. Das war uns sehr wichtig. Maximale Benutzerfreundlichkeit sorgt auch für maximale Akzeptanz unserer Idee der DropPoints in allen Bevölkerungsgruppen. Dadurch können beispielsweise Senior:innen oder Erziehende, die mehr Zeit zu Hause verbringen als Berufstätige, zum DropPoint werden. Ebenso Selbstständige und Homeoffice-Worker. Oder Gewerbetreibende, die mit der Annahme von Paketen neue Kund:innen erreichen können. Durch eine zusätzlich entwickelte Online-Software kann der Einzelhandel die Abholung von Paketen außerdem mit einem Echtzeit-Rabattsystem für Einkäufe im Ladengeschäft verbinden. Gerade in Zeiten, wo der stationäre Handel nach neuen Ideen sucht, ist es eine interessante Option, durch eine willkommene Dienstleistung Menschen für das eigene Angebot zu begeistern. Generell geht es nicht nur darum, dass man für die freundliche Geste, eine Sendung bei sich zu Hause oder im Laden zu deponieren, auch eine monetäre Anerkennung erhält. Wir möchten ebenfalls, dass Menschen dadurch zu Menschen in ihrer Umgebung in Kontakt kommen. Das Prinzip von DropFriends basiert darauf, dass wir die Paketzustellung zuverlässiger machen, das soziale Miteinander stärken, die Umwelt entlasten und allen einen Vorteil bieten, die sich daran beteiligen. Die App ist dabei das technische Mittel, doch die eigentliche Qualität entsteht durch die Menschen und Unternehmen, die Teil der DropFriends-Community werden.
Wie stark sind die DropFriends in Deutschland schon vertreten?
Martin: Uns gibt es bereits in vielen Städten wie auch in weniger stark besiedelten Regionen. Wir haben beispielsweise in den Metropolen Köln und Hamburg schon mehr DropPoints etablieren können als es Paketschränke anderer Anbieter gibt. Wir sehen uns aber nicht als Gegenspieler. Das wäre nicht nur ziemlich vermessen, sondern ist auch gegen unsere Idee. Wir sind für alle da und nehmen Sendungen aller Dienstleister an. Unsere App kann jeder individuell nutzen, der online einkauft und ebenso kann sie von Online-Anbietern direkt auf der Site integriert werden. Wir minimieren das Problem der letzten Meile, verdichten das Netz der Abholmöglichkeiten, entlasten die Umwelt und Unternehmen. Natürlich möchten wir immer weiter wachsen und das tun wir. Denn immer mehr Menschen begeistern sich für die DropFriends-Community. Das sehen wir auch an den vielen positiven Feedbacks und den Bewertungen zu den einzelnen DropPoints, die übrigens in der App für registrierte Nutzer:innen einsehbar sind.
Wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen? In Euren Biografien findet sich wenig Logistik, dafür viel berufliches Fachwissen und soziales Engagement. Martin hat viel Erfahrung im Bereich Digital Commerce und war ehrenamtlich als Feuerwehrmann tätig. Osamah arbeitete als Softwareentwickler für Start-ups sowie große Konzerne und ist Imam. Yasmin ist Juristin mit Faible für Wirtschaft sowie Gleichstellung in Beruf und Gesellschaft.
Yasmin: Die Idee von DropFriends entstand durch einen typischen Klassiker. Ich wollte zu einem Event und bestellte mir online ein schönes Outfit dafür. Natürlich war ich bei der Zustellung des Pakets nicht zu Hause. Die Folge war eine ziemliche Odyssee, die Sendung irgendwie noch pünktlich zu erhalten. Ich bin damit krachend gescheitert und habe mich ziemlich geärgert.
Martin: Wer Yasmin kennt, weiß, dass sie das nicht einfach auf sich sitzen lässt. Wir fingen dann gemeinsam an zu recherchieren und waren erstaunt, was alles bei der Paketzustellung schief läuft, welche Kosten entstehen und welche Schäden für die Umwelt. Da wir alle drei ziemlich gute Netzwerke haben und recht nah am Leben dran sind, kamen wir darauf, wie man das Problem bei der Zustellung lösen kann.
Im August 2019 machten Osamah und ich uns an das Konzept, Ende August 2019 begann Osamah mit dem Coding. Wir tauchten immer weiter in die Welt der Logistik ein. Im Dezember 2019 konnten wir DropFriends erstmals auf dem Handy testen und haben anschließend die Bugs gefixed und weitere Optimierungen vorgenommen. Rund 800 Stunden Coding-Arbeit waren das. Einen Tag, bevor der Lockdown hier in NRW begann, waren wir startklar.
Osamah: Und wer Martin kennt, weiß, dass er bei regulierten Themen, beispielsweise den Bereich Payment, bis ins Detail plant und dann auch durchzieht. Er ist Passion auf 1,71 Meter. Am Ende hatten wir eine funktionierende Lösung für das Problemfeld der letzten Meile bei der Paketzustellung. Inklusive unserer Idee, einen ökonomischen, ökologischen und sozialen Mehrwert für alle Beteiligten zu erzielen.
Wie sieht es mit der rechtlichen Komponente aus? Vertrauen ist eine wertvolle Sache — doch wie gewährleistet ihr, das am DropPoint alles korrekt verläuft?
Yasmin: Es wird eine Identitätsprüfung der Menschen vorgenommen, die gerne ihr Zuhause oder ihre Gewerbefläche zu einem DropPoint machen möchten. Das fragen wir über die App ab. Wir orientieren uns dabei an Vorgaben, welche die deutschen Finanzaufsichtsbehörden auch Banken bei Kontoeröffnungen auferlegen. Dafür arbeiten wir mit einen starken Partner zusammen, den wir in der App integriert haben, um die Identifizierung der DropPoints vorzunehmen.
Aber die App kann noch weit mehr. Über sie ist die Zustellung nicht nur nachverfolgbar, sondern wird auch bei der Übergabe dokumentiert. Der DropPoint macht mindestens ein Foto der gelieferten Sendung und über die App wissen dann auch die Empfänger:innen als Sendungseigentümer:innen über den Zustand des Pakets Bescheid und dass alles in Ordnung ist. Dadurch wird zudem sichergestellt, dass eine eventuell beschädigte Sendung dokumentiert ist und nicht der Verdacht aufkommt, dass der Schaden beim DropPoint entstanden ist. Das gibt Sicherheit für alle, die an der Sendung beteiligt sind. Natürlich sind alle erhobenen Daten geschützt und werden nicht an unberechtigte Dritte weitergegeben. Wir halten uns an alle rechtlichen Vorgaben und sind aus verschiedenen Perspektiven rangegangen. Wir möchten der Community, die unsere App für den Ablauf ihrer Bestellung nutzt, dieselbe Sicherheit schenken wie den DropPoints — unabhängig wo man bestellt und über wen geliefert wird. Hauptsache, die Sendung kommt gut an und spart Zeit, Kosten sowie Nerven.
Osamah: Das ist übrigens ein weiterer Vorteil bei DropFriends. Oft kann man sich nicht aussuchen, über wen eine Sendung geliefert wird. DropPoints sind dagegen offen für alle Online-Anbieter und Logistikdienstleister. Die App passt sich allen Bedürfnissen an. Ist man selbst beispielsweise im Urlaub oder unterwegs, kann man für diese Zeit auch als DropPoint pausieren.
Martin: Bei jedem Paket, denken wir auch an den ökologischen Nutzen, wenn die Erstzustellung reibungslos und erfolgreich klappt. Daher ist das DropFriends-Prinzip auch für andere Logistikdienstleister interessant, etwa für Kurierfahrer:innen. Wenn man eilige Lieferungen für zwei verschiedene Städte an Bord hat, aber nur ein Bruchteil davon in die zweite Stadt soll, kann der Kurierdienst diese Sendungen bei einem DropPoint temporär deponieren, wo sie dann von Kurierfahrer:innen, der in die jeweilige Stadt unterwegs ist und noch Kapazitäten frei haben, übernommen werden können. Dadurch tragen wir dazu bei, unsinnige Fahrten zu verhindern und den CO2-Ausstoss zu vermindern.
Entrepreneurship, soziales und ökologisches Engagement sind bei DropFriends zentraler Bestandteil der Gründer-DNA. Nachhaltigkeit und Diversität schreiben sich viele Start-ups wie auch Konzerne auf die Flagge. Wie sieht es bei Euch konkret aus?
Yasmin: Als Gründerin trage ich Verantwortung für Menschen. Und in der Vielfalt von Charakter, Wissen und Talent sehe ich tolle unternehmerische Chancen. Das erleben wir bei DropFriends jeden Tag und praktizieren es. Bei uns spielt es keine Rolle, wie der Name, das Geschlecht, Alter oder die Religion eines Mitarbeitenden sind. Es geht darum, ob gute Arbeit geleistet wird und die Person ins Team passt. Ich möchte beispielsweise Alleinerziehenden die Möglichkeit eines flexiblen Jobs bieten, der angemessen bezahlt wird. Insgesamt muss in der Logistikbranche fairer und besser gezahlt werden. Dazu leisten wir mit DropFriends unseren Beitrag auf der letzten Meile.
Martin: Diversität und soziales Engagement sind bei uns sehr ausgeprägt. Das liegt an unseren jeweiligen Biografien, unseren Erlebnissen in Beruf und Alltag. Und außerdem, hey, wir leben in Köln. Das ist eine Metropole mit größter gesellschaftlicher Vielfalt. Dass wir ebenfalls einen wirkungsvollen ökologischen Beitrag leisten möchten, muss man eigentlich gar nicht mehr erwähnen. Das sollte im modernen unternehmerischen Handeln eine Selbstverständlichkeit sein, die man transparent und nachvollziehbar macht. Ökonomischen Erfolg verbinden wir sehr gern mit ökologischer und sozialer Wirkung. Deshalb macht es auch sehr viel Spaß zu erleben, was wir mit den Menschen gemeinsam erreichen, die zur DropFriends-Community gehören. Und wir stehen erst am Anfang unserer Erfolgsstory.