Zukunft der Arbeit ist längst da — und gar nicht so schlimm wie gedacht!
Wohin man blickt, vieles dreht sich um die Zukunft der Arbeit. In diesem Artikel möchte ich meine Sicht der Dinge zusammenfassen und dich ermutigen, mit den vielen Veränderungen Frieden zu schließen.
Vor kurzem traf ich wieder ein paar Menschen, die sich mit der Zukunft befassen und möchte heute mit Sicherheit verkünden: Die Zukunft der Arbeit ist da. Wir können uns darüber beschweren oder wir lernen, mit dieser Veränderung zu leben.
Die Zukunft der Arbeit: Warum jetzt?
Das Schlagwort “Zukunft der Arbeit” ist plötzlich populär geworden. Seit ein paar Jahren schon gibt es zig Konferenzen, Seminare, Barcamps, dutzende Bücher, hunderte von Artikeln und Forschungen. Neben diesen haben auch meine Mitgliedschaften in den Netzwerken wie intrinsify.me, Stoos und Corporate Rebels United eine Haltung zu diesem Thema geformt.
Der Grund für mein Interesse ist einfach: als zukunftsorientierte Psychologin unterstütze ich Teams und Organisationen dabei, ihre Lern- und Wachstumsprozesse zu gestalten und merke, dass der Wandel zunehmend komplex wurde und somit für die meisten Organisationen immer schwieriger zu steuern.
Darüber hinaus inspirieren mich die Dialoge mit meinen heranwachsenden Kindern (13 und 14) zu der Beschäftigung mit der Frage, welche Berufe und Organisationsstrukturen es in der Zukunft geben wird. Und zu guter Letzt erlebe ich an Beispielen aus meinem Bekanntenkreis, dass Arbeitsplätze, wie wir sie kennen, sind verändern oder sogar verschwinden.
Dann wäre da noch die Technologie und die Digitalisierung. Jede Woche lesen wir neue Nachrichten über Roboter, Internet of Things, künstliche Intelligenz, fahrerlose Autos und Lastwagen.
Viele Berater und Forscher befassen sich mit den Organisationsstrukturen, der Art die Arbeit in Prozessen oder Abteilungen zu organisieren. In diesem Themenkomplex wird unter anderem auch über Führung und Rollen mancher Funktionen, zum Beispiel HR, heftig diskutiert.
Diese Liste lässt sich sicher vervollständigen. Seit wir angefangen haben, über das Ende der Industrialisierung zu sprechen, ist klar, dass viele bis dato selbstverständliche Artefakte wie Job-Titel, Abteilungszugehörigkeit, Job-Beschreibung oder Organigramme wie ein Dinosaurier aussterben werden. Was kommt an deren Stelle?
Drei Perspektiven
Lasst uns die Zukunft der Arbeit aus drei Perspektiven betrachten:
Zunächst die persönlichen Herausforderungen: wie wir eine Arbeit aussuchen und finden, warum oder wofür wir arbeiten, welchen Stellenwert die Arbeit in unserem Leben hat, was unter Karriere verstanden wird, wie wir lernen, um unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erweitern.
Zweitens, die organisatorischen Herausforderungen: Welche Jobs notwendig sein werden, welche Rolle haben Menschen im Zusammenspiel mit Maschinen, wie sich Organisationen aufstellen / positionieren und die Möglichkeiten der Technik nutzen.
Drittens, die gesellschaftlichen Herausforderungen: Wie mit der Globalisierung, der Einwanderung, der Gesundheit und dem demographischen Wandel umgegangen wird, wie die neue Generation auf das Arbeitsleben vorbereitet wird und welchen Stellenwert wirtschaftliche Probleme wie Einkommensungleichheit, Familienbetreuung und Arbeitslosigkeit bekommen.
Die Zukunft der Arbeit aus der persönlichen Perspektive
Zahlreiche Modelle erläutern, warum und wie unsere Arbeit von einfach und planbar zu komplex & dynamisch, und somit störend geworden ist.
Das VUCA Modell
Die Abkürzung VUCA beschreibt vier zentrale Phänomene, die unsere heutige Wirtschaftswelt auszeichnen: Volatilität (engl. Volatility), Unsicherheit (engl. Uncertainty), Komplexität (engl. complexity) und Mehrdeutigkeit (engl. ambiguity).Eine volatile Situation gilt allgemein als instabil, unvorhersehbar und hinsichtlich ihrer Dauer als kaum oder nicht einschätzbar. Krisen, die das uns Bekannte durcheinander bringen und dabei nicht vorherzusehen sind, bedeuten, dass wir uns verändern müssen, wenn wir krisenrobust sein wollen. Im Unternehmenskontext gibt es daher für jeden der Phänomene auch eine Lösungsmöglichkeit:
- klare Visionen zu haben, um der Sprunghaftigkeit zu begegnen
- vorhandene Daten und Informationen nicht nur sammeln, sondern auch verstehen, um die Unsicherheit zu reduzieren
- Zusammenarbeit in Teams fördern und ausbauen, um Klarheit zu gewinnen und die Komplexität gemeinsam zu bewältigen
- Agilität, Beweglichkeit, Flexibilität der Strukturen, Denkmodelle und Prozesse fördern, um auch in mehrdeutigen Situationen entscheidungsfähig zu sein
Dynaxity Modell
Dynaxity ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus dynamics (Dynamik) und complexity (Komplexität). Entstanden aus den Praxiserfahrungen beim Managen komplexer Systeme in Unternehmen und Organisationen, will das 4-Zonen-Modell hier aufzeigen, welche Herausforderungen mit der Gleichzeitigkeit der Zunahme von Komplexität und Dynamik auf Menschen in Organisationen zukommen. Auch besteht die Herausforderung darin, in diesen Zeiten Initiativen einzuleiten und durchzusetzen, deren Auswirkungen nur in geringem Maße zu prognostizieren sind.
Zusammengefasst: Wohin man guckt, versuchen Modelle von Theoretikern und Praktikern zu erklären, dass die neue Welt der Arbeit immer weniger erklärbar ist. Somit sind sie für all diejenigen wenig hilfreich, die mit den Veränderungen bereits voll konfrontiert sind. Wann, wie und wo gearbeitet wird, ist im Großteil der Berufe anders. Das Bewusstsein, wie man mit der verschwundener Grenze zwischen Arbeit und Freizeit umgeht, ist noch nicht da.
Weil immer mehr Menschen einer Denkarbeit nachgehen, sprich, Dienstleistungen und Produkte mit nicht-physischen Tätigkeiten erzeugen, „arbeiten“ wir gefühlt viel mehr. (Ich persönlich bezweifle, dass wir durch das ständige Checken der E-Mails eine wirkliche Wertschöpfung produzieren.) Gleichzeitig stagniert unsere Produktivität (trotz Technologien) und Aufmerksamkeitsspanne sinkt auf das Niveau von einem Goldfisch (gemäß einer Microsoft Studie).
Wir sind zunehmend müde, schlafen schlecht und warten darauf, dass die Krankenkassen eine Lösung für den Anstieg der psychischen Erkrankungen finden.
Überforderung durch Arbeit
Wo Probleme entstehen, entsteht auch ein Markt der Lösungsanbieter. Millionen von Kursen, Büchern, Webseiten — eine ganze Industrie ist entstanden als Reaktion auf diese Herausforderung. Alle wollen uns hilfreiche Methoden und Werkzeuge verkaufen, damit wir uns noch effektiver in den Griff bekommen. Psychologie, Neurowissenschaften, spirituelle Bewegungen aus verschiedenen Ländern dienen als Quelle der Weisheit, wie wir mit dem empfundenen Chaos unseres Lebens umgehen können.
Das Faszinierende ist, dass obwohl das Wissen und die Technologie allgegenwärtig und verfügbar ist, unsere Produktivität stagniert. Wie die Grafik unten zeigt, hat die Verbreitung der Smartphones, Tablets und Apps keine Wunder im Bereich der Effektivität und Effizienz hineingebracht.
Wir sind mit WLAN und ortsunabhängigem Arbeiten nicht wirklich produktiver geworden, wir haben nur das Gefühl, dass wir es sind. Das ständige Blinken und Piepen der angeblich ach doch so smarten Geräte lenkt uns ab und zwingt uns dazu, ständig auf die Ereignisse zu reagieren, die jemand anders gestartet hat. Wir teilen unser Leben mit anderen, fotografieren und posten unsere Lebens-Sekunde — und entwickeln neue Neurosen, z. B. FOMO (Fear Of Missing Out — Angst, etwas zu verpassen). Frag dich selbst, ob du in der Lage bist, dem kleinen roten Kreis zu widerstehen, der dir sagt, wie viele ungelesene Nachrichten du hast? Kannst du es ertragen oder klickst du drauf wie ein konditionierter Pawlowscher Hund?
Der Wandel in unserer Karriere
Früher war das Leben anders. Man ging auf die Schule, und jedem war klar, dass gute Noten hilfreich sind, wenn man auf eine der begehrten Fakultäten in der Universität gehen wollte. Versuch das mal dem heutigen Kind so zu verkaufen — und finde eine Antwort auf: „Was, wenn ich nicht auf eine Universität gehen will?“
Mein Sohn hat sich mit 12 Jahren das Programmieren beigebracht. Ein Jahr später begann in seiner Schule Computerunterricht.
Online Universitäten und eine Vielzahl der Online-Lernangebote machen die früher klare Struktur „Lernen — Arbeiten — Rentner sein“ für manche von uns obsolet. Meine Eltern — beide über 65 und in Russland und Mexiko lebend — denken nicht daran, mit dem Arbeiten aufzuhören (und das ganz und gar nicht aus finanziellen Gründen — die Arbeit macht ihnen einfach Spaß).
Meinen Urlaub nenne ich seit 2014 „Zwischenrente“ und hoffe, eine Rente im Sinne des 20. Jahrhunderts niemals zu erleben.
Das Verständnis, was eine Karriere ist, wandelt sich auch für all diejenigen, die — scheinbar am oberen Ende der Karriereleiter angekommen — aussteigen und etwas ganz anderes, oft wohltätiges, tun. Ex-Vorstände, die Schulen gründen, Berge besteigen und Start Ups unterstützen sind mittlerweile genau so „normal“ wie Digitalnomaden, die ohne abgeschlossenes Studium Unternehmen gründen und vom Strand aus arbeiten.
Bedeutung von Erfolg wird immer mehr vom Geld und Status entkoppelt und an das eigene Wohlbefinden gekoppelt was ich persönlich sehr unterstütze. (Hierzu gibt es ein tolles Buch von Ariane Huffington) Das Fördern unseres Wohlbefindens und bewusster Umgang mit uns selbst ermöglicht vielen von uns nicht nur eine resiliente, sondern eine antifragile Haltung gegenüber der Dynaxity in unserem Lebensumfeld.
Ich persönlich hoffe, dass wir lernen, verschiedenste Lebens-Prozesse miteinander zu verbinden: arbeiten, lernen, genießen, entspannen und diese Mischung bis ins späte Alter leben. Für mich ist das ein sehr wichtiger Teil der Zukunft der Arbeit.
Die organisatorische Seite der Zukunft der Arbeit
Antifragilität — ein wunderbarer Begriff von Nassim Nicholas Taleb — ist auch für Organisationen ein erstrebenswerter Zustand. Denn die größte Herausforderung der Komplexität sind die unerwarteten Ereignisse und unberechenbaren Vorkommnisse. Laut Taleb werden wir es in den nächsten Jahren erleben, wie unsere Welt immer weniger kompliziert und immer mehr komplex wird, und nur die antifragilen Strukturen und Organisationen werden in dieser neuen Welt überleben und wachsen können.
Technologie
Als die Zeit kam, in der die Bibel gedruckt wurde statt von Mönchen per Hand geschrieben zu sein, tauchte vermutlich das erste Mal die Angst auf, dass Maschinen uns die Arbeit wegnehmen könnten. Heute sind es nicht einfach nur technische Geräte, vor denen wir Angst haben. Ganze Technologien — bis hin zur künstlichen Intelligenz — erlauben es (und verlangen es), dass die Organisationen sich in der Art, wertschöpfend zu sein, neu aufstellen.
Neue Sensoren und Programme können nicht nur unsere Stimme verstehen, sondern zunehmend mehr. Riesige Mengen von Daten werden erkannt, verstanden, sortiert und verwendet. Diese immer reifer werdenden Technologien stellen manche gewohnte Prozesse und Organisationsdesigns komplett auf den Kopf. Die Gelegenheit für neue Dienstleistungen, Verbesserung der Arbeit und Produktivitätssteigerung ist enorm.
Darum finde ich es schade, dass man in den heutigen Medien fast ausschließlich angstmachende Artikel zu der bevorstehenden Veränderungen durch Digitalisierung und Technologie findet. Warum sollte die neue — viel weiter entwickelte — Technik uns mehr Arbeit wegnehmen, als schaffen? Der Wechsel vom Mönch zur Druckmaschine tat das nicht, der Wechsel von handgeschriebenen Tabellen zu Excel ebenfalls nicht. Viel mehr konnten bisher die meisten Maschinen neue Jobs entstehen lassen.
Menschologie
Wo technischer Fortschritt immer größer wird, werden unsere menschlichen Fähigkeiten ebenfalls immer wichtiger. Verschiedene Umfragen und Forschungen ergeben, dass die Liste der zukünftig notwendigen Skills, Fähigkeiten und Kompetenzen ungefähr folgendermaßen aussehen könnte:
- Problemlösungskompetenz
- Selbstmanagement
- Kreativität
- Unternehmergeist
- Interkulturelle / interdisziplinäre / generationsübergreifende Kompetenz
- Teamfähigkeit / Ambiguitätstoleranz
- Technische Fähigkeiten (Umgang mit den Geräten, Apps und Daten, Programmiersprachen)
- Change Kompetenz / antifragile Haltung / Risikofreude
Fähigkeiten wie aktives Zuhören, Empathie, Entscheidungsfindung, Priorisierung werden uns die Maschinen auch in Zukunft nicht abnehmen können. Es sind die wahren menschlichen Fähigkeiten, und es wäre schön, wenn wir aufhören könnten, Angst vor der Zukunft zu haben und diese stattdessen mit genau diesen Fähigkeiten bauen und ausschmücken.
Das Redesign der Organisationen selbst
Eine elefantengroße Aufgabe, vor der viele Unternehmen stehen, ist die Neugestaltung der Organisationen. Was im Industriezeitalter und in der komplizierten Umwelt geschaffen wurde, funktioniert in der Zeit von Dynaxity nicht mehr. Eine Organisation lässt sich im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr mit Prozesshandbüchern und Jahresbeurteilungen steuern. Mein sehr geschätzter Mentor Niels Pflaeging hat in seinem Buch „Komplexithoden“ eine wunderbare Gegenüberstellung der beiden Welten — kompliziert und komplex — vorgestellt (hier von mir verkürzt):
Wo früher Prozessoptimierung zur Produktivität führte, ist die Taktung der Veränderungen in unserer Zeit zu hoch, als dass man etwas standardisieren kann. Das Wirtschaftsmodell wird permanent angegriffen und zerstört (siehe nur all die Beispiele von disruptiven Unternehmensmodellen wie Uber, AirBnB etc.).
Das Problem: Die Mehrheit der Unternehmen hat erkannt, dass ihre Organisationsgestaltung nicht funktioniert, und die wenigsten wissen, wie sie es beheben können.
Die Antworten finden sich in den vielen neuen Bewegungen, die — ganz gemäß dem Cynefin Modell — nicht aus Erkenntnissen, sondern aus mehreren iterativen Ausprobier-Aktionen entstanden, durch risikofreudiges Handeln.
Cynefin Modell
Viele der neuen Tools, Methoden und Handlungsprinzipien entstanden im Umfeld der Softwareentwicklung. Man lese nur das Agile Manifest(hier ein verkürzter Ausschnitt), und schon bilden sich Leitlinien für die Neugestaltung der Organisationen:
- Individuen und Interaktionen vor Prozessen und Tools
- Lebensfähiges Produkt vor allumfassender Dokumentation
- Zusammenwirken mit dem Kunden vor Vertragsverhandlungen
- Veränderungsbereitschaft vor Planverfolgung
Wenn das Erlernen der Kompetenzen auf der persönlichen Ebene und das Umgestalten der Unternehmen auf der Organisationsebene Hand in Hand gehen, besteht eine große Hoffnung, dass sich in Summe die sogenannte „Dynaxability“ — Fähigkeit, mit der Dynaxity umzugehen — ergibt.
So entstehen zukunftsfähige, antifragile Organisationen, deren Aufgabe es sein wird, die Welt von Morgen mit zu gestalten.
Und wo es viele von solchen zukunftsfähigen Organisationen gibt, da lassen sich auch die gesellschaftlichen Herausforderungen meistern.
Nicht warten, machen!
Es gäbe noch reichlich mehr zu schreiben, doch lasst uns heute diesen einen Gedanken festhalten: Die “Zukunft der Arbeit” ist bereits eingetreten, wir sind mitten drin. Aufgaben und Rollen der meisten von uns verändern sich jetzt gerade, und wir können entweder sitzen und warten oder selbst proaktiv mitmachen.
Nimm dir also gern Zeit, dich mit dem Neuen zu befassen — mit Hilfe von einem Buch, auf einer Konferenz oder Netzwerkveranstaltung oder im Dialog mit deinen Freunden und Kollegen. Statt wartend zu verharren, kannst du auf diese Art und Weise deine Rolle in dem Aufbau der Zukunft der Arbeit und vielleicht sogar einen großen Gefallen daran finden.
Und solltest du als Leser Teil einer Organisation sein, so lautet die Empfehlung auch hier: warte nicht! Lade dir Experten oder Impulsgeber zu diesem Thema ein, organisiere interne Foren zum Thema Zukunftsfähigkeit, finde Wege, die Organisation in den Zustand einer schöpferischen Unruhe zu bringen.
Uns allen wünsche ich eine tolle Zukunft!