Prinzipen erfolgreicher Kollaboration

joana breidenbach
Inner Work Alliance
6 min readFeb 2, 2021

Heute mittag diskutierte ich mit zwei Freunden, Jörg Rheinboldt von APX und Moderator /Coach Ole Tillmann, auf Clubhouse, wie wir Kollaboration erfolgreich gestalten können. Ein paar der dort entwickelten Ideen möchte ich hier festhalten.

Digitale Technologien ermöglichen eine völlig neue Form von Zusammenarbeit, über geographische Grenzen und Zeitzonen hinweg. Seit 20 Jahren ist Wikipedia eines der leuchtenden Beispiele dafür, wie Menschen weltweit gemeinsam etwas ganz Neues schaffen können.

Doch wenn ich mich umschaue, sehe ich wenige Beispiele wirklich erfolgreicher Zusammenarbeit.

Häufig fangen die Schwierigkeiten schon auf der Tool-Ebene und innerhalb einzelner Unternehmen an. Digitale Kollaborations-Werkzeuge wie Google docs oder Slack ermöglichen es Teams theoretisch sehr flexibel und asynchron zusammenzuarbeiten. Doch nur wenige Teams nutzen diese Vorteile in der Praxis, da sie noch an ihren alten Arbeitsgewohnheiten festhalten, zu denen feste Arbeitszeiten und hierarchische Prozessverläufe zählen.

Zudem schrecken viele Organisationen vor einer engeren Zusammenarbeit mit anderen zurück. In meinem Bereich, unter Gemeinwohl-orientierten Startups, Aktivisten und NGOs, gibt es unzählige, meist kleine Akteure, die sich für konkrete Veränderungen einsetzen. Es gibt Hunderte, ja Tausende Einzelkämpfer für “gute Software”, gegen Desinformation oder Kinderarbeit. Viele von ihnen leisten hervorragende Arbeit — doch in unser weitläufigen, ausdifferenzierten Welt sind sie wenig sichtbar und erreichen nicht den großen systematischen Wandel, den sie sich auf die Fahnen geschrieben haben.

Im betterplace lab co:lab Programm wollen wir die Prinzipien erfolgreicher Zusammenarbeit erforschen und zugleich wirksame Kollaborationen anstoßen. Über einen Zeitraum von sechs Monaten begleiten wir Cluster von Organisationen, die sich ein gemeinsames Ziel vorgenommen haben, dabei dies möglichst wirksam umzusetzen. Schon in den ersten Wochen sehen wir dabei (neben großem Interesse und Zuspruch) auch schon einige Barrieren für Kollaboration: Organisationen schrecken vor einer Zusammenarbeit mit anderen Gleichgesinnten zurück, weil sie:

  • Angst vor Konkurrenz haben und ihr Wissen nicht teilen wollen
  • so mit Fundraising beschäftigt sind, dass sie keine Zeit für „Extras“ haben
  • Persönliche Animositäten bestehen „Ich mag xy nicht“
  • Sich sorgen, dass ihr Fokus verloren geht

Alles legitime Gründe, die zugleich aber auch verhindern, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine größere gemeinsame Schlagkraft entwickeln.

Was verstehen wir unter Kollaboration?

Herkömmlich gehen die meisten Unternehmen (egal ob for-profit oder not-for-profit) Partnerschaften ein, um ihre eigenen Ziele schneller oder besser zu erreichen. Bei betterplace haben wir viele solche Kooperationen geschlossen. Telkos, Softdrink-Herstellern oder IT Konzernen gaben uns Reichweite und Geld gaben, während wir ihnen bei der Reputation oder der Abwicklung von Programmen halfen.

Doch ich empfinde diese Art von Kollaboration immer mehr als unbefriedigend und langweilig. Meist optimieren wir nur das, was es eh schon gibt. Updaten eigentlich längst veraltete Strukturen. Wirkliche Innovation bringen dagegen etwas Neues in der Welt: Ideen und Strukturen, die adäquatere Antworten auf die brennenden Fragen unserer Zeit liefern können , wie Klimawandel, soziale Ungleichheit oder existentielle Not.

Bedeutsame Innovationen , so sagen uns Systemtheoretiker, entstehen meist nicht linear aus der Weiterentwicklung des Alten, sondern folgen dem Prinzip der Emergenz: aus einer losen Kombination von Teilen, bzw. aus dem Zusammenwirken verschiedenster Perspektiven, ergibt sich etwas radikal Neues. Im Falle von Kollaborationen bedeutet das, dass Unternehmen sich von ihrem engen eigenen Erfolgsziel lösen und sich gemeinsam mit potentiellen Partnern fragen: Was ist das höchste Potential, dass wir gemeinsam erreichen können? Sie gehen davon aus, dass zwischen ihnen mehr entstehen kann, als die Summe ihrer Teile. Indem sie sich auf einen gemeinsamen Horizont einlassen, können sie bahnbrechendere und wirksamere Innovationen entwickeln, als alleine.

Der hier beschriebene Unterscheid ist der zwischen transaktionaler und ko-kreativer Kollaboration. Bei ersterer gehe ich einen Handel ein: ich gebe Dir Geld, Du gibst mir Reichweite. Im Idealfall kann jeder dabei sein eigenes Ziel besser erreichen. Das kann gut und sinnvoll sein. (Für mich) interessanter ist aber der ko-kreative Ansatz: wir tun uns zusammen und tragen beide unser Bestes dazu bei, dass aus unserem Mix etwas viel Größeres, Neues entsteht.

Meine erfolgreichsten und auch beglückendsten Kollaborationen folgten dem letzten Vorbild. Bei betterplace kamen wir Gründer aus sehr diversen Branchen und verfolgten anfangs entsprechend unterschiedliche Visionen. Aber statt nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen oder transaktional unsere jeweiligen Ziele miteinander zu verhandeln, suchten wir nach dem Besten, was wir als Gruppe auf die Beine stellen konnten. Wir starteten diesen Prozess nicht mit einem festen Ziel, sondern mit einer offenen Intention. Ein festes Ziel hätte unseren Vorstellungshorizont verengt und uns die Chance genommen, herauszufinden, was unsere einzigartige Mischung hervorbringen könnte. Wichtig war jedoch, dass wir ähnliche Werte teilten.

Meine Zusammenarbeit mit Bettina Rollow verlief sehr ähnlich. Wir hatten das vage Gefühl, das aus unserer Kombi etwas Interessantes entstehen könnte. Mit einer relativ offenen Intention fingen wir (zusammen mit allen Mitarbeitern) an, das betterplace lab organisatorisch ganz neu zu gestalten. Daraus entwickelten sich weitere Unternehmungen — Das Dach, Keks Ackerman und New Work needs Inner Work — welche sich organisch, Schritt um Schritt weiterentwickelten. Und zwar auf eine Weise und in eine Richtung, die niemand zu Beginn unserer Kollaboration 2016, hätte vorausahnen können.

In meinem Verständnis von Emergenz sind wir Innovatoren dabei weniger völlig frei schaffende Kreative, sondern eher Geburtshelfer, die bestimmten, latent in der Zukunft wartenden neuen Ideen und Impulsen helfen, sich in festen Strukturen zu manifestieren. S. dazu unseren Artikel What is Purpose?

Kollaboration für Komplexität

Kollaboration ist heute wichtiger denn je. Denn je vielfältiger die Welt wird, bzw. je mehr verschiedene Perspektiven im Zuge der digitalen Globalisierung zusammenkommen, desto mehr droht diese Welt zu fragmentieren. In den letzten Dekaden konnten wir diese Entwicklung in Europa und den USA auf recht dramatische Weise verfolgen. Immer mehr Menschen fühlen sich Subgruppen zugehörig, die teilweise ihre eigene Sicht auf Realität entwickeln. Der Zusammenhalt wankt und damit unsere Fähigkeit Krisen wie dem Klimawandel rechtzeitig zu begegnen.

Diese Fragmentierungstendenz wird durch Startups und Digitalunternehmen, die für sehr schmale Nutzersegmente Produkte bauen, bzw. die ein sehr eindimensionales Menschenbild haben, verstärkt. Wenn amazon alles macht, um sein Geschäftsmodell für Konsumenten zu optimieren, dann entsteht eine Race to the Bottom, in Folge derer andere Akteure, wie Produzenten, Mitarbeiter und Mittelsmänner leiden, z.B. weil ihre Löhne gedrückt werden. Aber kein Mensch ist nur Konsument, sondern alle sind auch Produzenten, Familienmitglieder und Bürger. Da amazon die Lebenskonditionen von letzteren tendenziell verschlechtert, trägt es zu einer Gesamtverschlechterung des Gesellschaftssystems bei. Aber wie in so vielen anderen Industrien werden auch hier Gewinne privatisiert und Verluste vergesellschaftlicht, indem Steuerzahler z.B. amazon Niedriglohnarbeiter über staatliche Transferzahlungen subventionieren, oder das Klima unter zunehmendem Konsum sich weiter aufheizt.

In unserer vernetzten, interdependenten Welt ist es verantwortungslos, wenn Unternehmen nur den eigenen Shareholder Value verfolgen. Sie müssen auch Verantwortung für die ökologischen und sozialen Kollateralschäden übernehmen, die sie verursachen. Ein Unternehmen wie Airbnb ist auf der einen Seite eine tolle Innovation, die Hotelkonzerne wie Hilton als größte Anbieter von Unterkünften ablöst. Aber wieso wird die Firma nicht zur Verantwortung gezogen, bzw. bringt sich selbst konstruktiv ein, um Schäden, wie Gentrifizierung und Wohnungsnot, kreativ anzugehen? Airbnb könnte sich in einem ko-kreativen Prozess mit Stadtplanern, Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammentun und gemeinsam überlegen, wie sie die Ziele der Firma mit einer gelungenen Stadtentwicklung in Einlang bringen können. Dafür müssten sie Profitmaximierung als höchstes Unternehmensziel für eine ganzheitlichere Zielsetzung aufgeben. Sie könnten Profite generieren UND zu gesunden, dynamischen Gemeinwesen beitragen. Für mich verdienen nur solche Innovationen, diesen Namen, die systemisch und ganzheitlich agieren. Anderenfalls treiben sie die Polarisierung und Fragmentierung unserer Welt so voran, dass wir uns alle früher oder später in einer Dystopie wiederfinden, die die wenigsten von uns jemals bewusst gewollt hätten und unter denen alle leiden. Denn auch wenn ich es mir leisten kann, mich im Bunker auf Tasmanien vor verarmten marodierenden Mitbürgern zu schützen, leidet meine Lebensqualität.

Innere Kompetenzen für ko-kreative Kollaboration

Um Produkte zu entwerfen, die für breite Zielgruppen und den Planeten sinnvoll sind, müssen wir fähig sein, verschiedene Perspektiven einzunehmen und die riesige gesellschaftliche Komplexität halbwegs adäquat wahrzunehmen. Wir müssen lernen, systemisch zu denken und agieren. Darüber hinaus benötigen wir aber noch eine ganze Reihe anderer innerer Kompetenzen. Unabhängig davon, ob Teams in einem Unternehmen gut miteinander zusammenarbeiten, oder Unternehmen untereinander Allianzen eingehen, brauchen wir bestimmte, sehr konkrete Wahrnehmungs- und Reflexionskompetenzen.

Jede Einzelne muss sich selbst ausreichend kennen, um zu wissen, was ihr Beitrag ist, was sie gut kann und welche Rahmenbedingungen sie für wirksame Arbeit benötigt. Mitarbeiter müssen sich selbst klar ausdrücken können und zugleich gut zuhören. Sie müssen in der Lage sein Perspektivwechsel zu vollziehen und den Prozess der Zusammenarbeit aus der Metaebene, der Prozessebene, zu beobachten. Alles dies setzt klare und reflektierte Menschen voraus, die auch über die innere Sicherheit verfügen mit Nicht-Wissen, Konflikten und Spannungen umzugehen.

Nur auf dieser Basis können Kollaborationen gelingen und gesellschaftlich relevante und erfolgreiche Innovationen entwickelt werden.

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joana breidenbach
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