Ambitioniertes Ziel für mehr Forschung

Die Bundesregierung hat das Ziel ausgerufen, 3,5% des Bruttoinlandsprodukts in Forschung zu investieren. 2025 soll es erreicht werden. Carsten Wehmeyer vom BDI hält das in seinem Gastbeitrag für sehr ehrgeizig. Unternehmen bräuchten klare Anreize, an diesem Ziel mitzuarbeiten.

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4 min readMay 20, 2019

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Politische Ziele sind ja immer eine Sache für sich: Oft setzen sie eine Wegmarke oder definieren einen erstrebenswerten Zustand. Damit fordert sich die Politik selbst, meist aber auch andere auf, künftig in eine bestimmte Richtung zu marschieren. Auch — oder gerade — in der Forschungs- und Innovationspolitik funktioniert das so, denn da gestalten wir ja unsere Zukunft. Und die liegt immer vor uns — und geht uns alle an. Ein gutes Beispiel sind die „Prozent”-Ziele. Um eine starke Signalwirkung zu entfachen, müssen sie ambitioniert sein. Also bitte nicht zu kurz springen!

In der Welt von Forschung und Entwicklung ist das Verhältnis von Aufwendungen für Forschung und Entwicklung zum Bruttoinlandsprodukt der politisch signalgebende Quotient. 2002 kamen die Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat von Barcelona überein, die Investitionen für Forschung und Entwicklung in der EU von 1,9 Prozent des BIP im Jahr 2000 auf 3 Prozent im Jahr 2010 zu erhöhen. Natürlich sollte jeder Mitgliedsstaat dieses Ziel bis 2010 selbst erreicht haben. Und just, wir reiben uns die Augen, verkündet die Wissenschaftsstatistik im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, dass Deutschland dieses Ziel 2017 mit 3,03 Prozent erreicht hat. Die Innovationslokomotive Europas verfehlt das europäische Ziel um volle 7 Jahre! Dabei hat es allein 15 Jahre gebraucht, unseren Anteil seit dem Vertrag von Barcelona von 2,42 Prozent um rund 0,6 Prozent auf jetzt 3,03 Prozent zu steigern.

Das Signal ist wichtiger als die Zahl

Ziel zu spät erreicht — unwichtig. Ziel zu ambitioniert? Ebenso. Wichtig ist, was das Ziel bei den Akteuren auslöst und wie das Ergebnis aussieht. Das sollte auch die Leitlinie für das 3,5-Prozent-Ziel sein. Das politische Signal — auch und besonders in und aus Europa! — Bildung, Forschung und Innovation als entscheidende Triebkräfte für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand identifiziert zu haben, hat gerade auch in Deutschland zu einem nie da gewesenen Anstieg der staatlichen und privaten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung gesorgt. Die absoluten Zahlen sind beeindruckend: Allein die Unternehmen investierten 2017 knapp 70 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Das Ergebnis über die Jahre: Mal sind wir in Rankings Innovationsweltmeister (Weltwirtschaftsforum) oder mischen irgendwo in der Spitzengruppe der innovativsten Länder der Welt mit (u.a. Innovationsindikator). Doch gerade, weil sich in den vergangenen Jahren andere Länder dynamischer entwickelt haben als Deutschland, müssen wir beim 3,5%-Ziel die Augen offen halten.

Caution! Bumps ahead!

Das 3,5%-Ziel bedeutet, von 2017 (3,03%) ausgerechnet 0,5 Prozent bis 2025 zulegen zu müssen. Das ist enorm ambitioniert, sollte sich das Wirtschaftswachstum weiter so positiv wie bislang entwickeln. Je nach Prognose lägen die zusätzlich pro Jahr zu investierenden FuE-Aufwendungen bis 2025 im niedrigen bis mittleren zweistelligen Milliardenbereich — mit zwei Dritteln Anteil für die Wirtschaft. Keine Frage, beim Strukturwandel der Wirtschaft, der Entwicklung neuer Technologien, den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, der Entwicklung der Bioökonomie oder dem Klimaschutz (um nur einige wenige Bereiche zu nennen), gibt es weiterhin hohen Forschungsbedarf. Deshalb muss das politische 3,5%-Ziel ein starkes Anreizsignal setzen, dass es lohnt, diese Forschung auch in Deutschland durchzuführen!

“Je nach Prognose lägen die zusätzlich pro Jahr zu investierenden FuE-Aufwendungen bis 2025 im niedrigen bis mittleren zweistelligen Milliardenbereich — mit zwei Dritteln Anteil für die Wirtschaft.”

Der Aus- und Aufbau bestehender und künftiger Wertschöpfungsnetzwerke braucht den Klebstoff Forschung am Standort Deutschland. Da ist es das falsche Signal — wie jüngst geschehen — den Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums zu beschneiden oder die Erprobung und Entwicklung neuer Technologien in Deutschland mit Ideologie- und Angstdebatten zu überziehen. Die neue Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen kann einen Kulturwandel hin zu mehr mutigen Innovationen und offeneren Türen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft bewirken, wenn wir Freiräume schaffen und Versäulungen verlassen. Kleine und mittelgroße Unternehmen brauchen mehr Unterstützung in der Übersetzung von Forschungsergebnissen in ihre Innovationsleistungen. Warum nicht die anwendungsorientierte Forschung und den Transfer nachhaltig stärken? Oder forschungsintensive technologieorientierte Unternehmensgründer so mit Wagniskapital ausstatten, dass sie zu starken Technologieführern heranwagen können — nicht „drüben“, sondern hier von Bielefeld bis Berlin. Für all das muss aber auch sichtbar und transparent werden, was die Politik wann und in welchen Bereichen selbst für das 3,5%-Ziel investieren wird und wie sie die Rahmenbedingungen so attraktiv machen will, das alle mitmachen. Dann läuft’s.

Dr. Carsten Wehmeyer ist Referent für Digitalisierung und Innovation beim Bundesverband der Deutschen Industrie.

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