Sieben Erfolgsfaktoren für wissensbasierte Stadtentwicklung
Wie Wissen und Innovation unsere Städte und Regionen verändern können
Erinnern Sie sich? Als Kind waren Sie an heißen Sommertagen immer im nahe gelegenen Freibad und sind abends mit roter Haut und fettigen Pommes im Bauch heimgekehrt. Heute gibt es das Freibad nicht mehr, weil sich die Kommune das Defizitgeschäft einfach nicht mehr leisten kann. Statt auf Spaß- setzt man jetzt auf Innovationskultur. Dafür gibt es auch viel mehr Geld vom Bund und von der EU. Mit Hilfe solcher Fördermittel konnte die Stadt vor 20 Jahren ein schickes Technologie- und Gründerzentrum bauen und hoffte auf den Boom, der durch diese Innovationsschmiede ausgelöst wird. Schade nur, dass die High-Tech-Unternehmen ausbleiben und immer mehr Menschen abwandern. Weshalb klappt es bloß nicht mit der Stadtentwicklung durch Wissen und Innovation?
Davor haben Oberbürgermeister Angst: Ein Monster, das in den vergangenen Jahrzehnten viele Städte in finanzielle Bedrängnis gebracht oder gar in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit gerissen hat — Strukturwandel kann wehtun. Andere Orte, wie z.B. Darmstadt oder Regensburg, konnten davon profitieren, weil sie es beherrschten, den neuen Rohstoff Wissen zu produzieren und zu vermarkten — Innovationskultur statt Arbeitermilieu. Länder, Bund und Europäische Union fördern solche wissensbasierten Entwicklungen. Horizont 2020 — das aktuelle Rahmenprogramm der EU — ist dafür weithin bekannt, doch in Deutschland nahm wissensbasierte Stadtentwicklung bereits in den 1980er Jahren zunehmend Fahrt auf. Viele Städte und Regionen suchen jedoch noch immer nach Erfolgsfaktoren und „Kochrezepten“ für wissensbasierte Stadtentwicklung.
Nicht allen gelingt dabei der Weg aus ihren eingeübten Handlungsmustern und Strukturen. Grund genug für den Stifterverband, im Juni 2018 eine Fachkonferenz zum Thema Wissenschaft in der Stadt zu veranstalten. Anlass für mich, um aus empirischen Studien und praktischer Arbeit mit Städten und Regionen die wichtigsten Grundregeln für wissensbasierte Stadtentwicklung zu formulieren:
1. Den eigenen Weg finden
Ganz wichtig: Jede Stadt ist anders — es gibt es keinen allgemeingültigen Lösungsweg. Jeder Ort muss eine individuell zugeschnittene Strategie und daraus abgeleitete Maßnahmen entwickeln. Insofern führt nur eine place-based-policy zum Erfolg.
2. Raus aus den Routinen!
Jede Stadt hat ihre eigene Handlungslogik. Ist diese durch lähmende Routinen, eine rigide Spezialisierung und durch sehr starre Netzwerkbeziehungen der regionalen Akteure gekennzeichnet, wirkt dies schnell entwicklungshemmend. Die Stadt steckt im sogenannten lock-in fest. Solche lock-ins ließen sich durch eine ausgeprägte Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit auf Krisen und Strukturbrüche vermeiden — dann wären Städte resilient. Damit dies gelingt, braucht es vor allem eine von den Entscheidern der Stadt gelebte strategische Intelligenz: regionale Entwicklungsstrategien werden auf der Basis wissenschaftlich-empirischer Foresight-Studien ausgearbeitet, Entwicklungsprozesse regelmäßig evaluiert.
“Zentral ist, sich mit Akteuren außerhalb der eigenen Region zu vernetzen, um nicht von relevanten Wissenskanälen abgeschnitten zu werden”
3. Interregional vernetzen
Zentral ist zudem, sich mit Akteuren außerhalb der eigenen Region zu vernetzen, um nicht von relevanten Wissenskanälen abgeschnitten zu werden. Denn die Entwicklung der eigenen Region wird auch maßgeblich durch exogene Faktoren, etwa übergeordnete Marktentwicklungen und durch die Forschungsergebnisse anderer beeinflusst. Leider scheuen viele Akteure der Kommunalpolitik gerade diese interregionalen Aktivitäten.
4. Das System erkennen und hinterfragen
Die Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft sollten sich zudem als ein interdependentes System begreifen, das gemeinsam lernen kann. Dieses Innovationssystem muss sich immer wieder selbst reflektieren und prüfen, welche Strukturen und Prozesse es auszeichnen. Erst anschließend kann eine standortangepasste Entwicklungsstrategie formuliert und entsprechende Handlungsmaßnahmen ergriffen werden. Entscheidende Komponenten sind etwa die Forschungsorientierung oder das Wirtschaftsprofil mit seinen Kompetenzstärken und Schwächen. Günstig wirkt dabei eine Branchenstruktur, die sich durch technologische und produktartige Verflechtungen oder Ähnlichkeiten auszeichnet, die aber zugleich differenzierte Wachstumspfade ermöglicht — Related Variety nennen dies die Regionalwissenschaftler.
5. Robuste Treiber suchen
Das System braucht auch Treiber und Promotoren. Menschen mit hohem Eigenengagement, mit Integrationsfähigkeit und Mobilisierungsstärke. In der Regel wird in einer Stadt wenig bewegt, wenn der Oberbürgermeister nicht treibt und nicht von wissensbasierter Entwicklung überzeugt ist. Zudem brauchen die regionalen Akteure Vertrauen ineinander und in die Selbstwirksamkeit der lokalen Strukturen und Prozesse.
“In der Regel wird in einer Stadt wenig bewegt, wenn der Oberbürgermeister nicht treibt und nicht von wissensbasierter Entwicklung überzeugt ist”
6. Lernen, das vorhandene Wissen wirklich zu nutzen
Doch all das genügt noch immer nicht. Eine Stadt braucht auch Unternehmen, die Wissen von anderen aufnehmen, verstehen und zu ihrem eigenen Nutzen verarbeiten können. Eine solche Absorptionskapazität kann gegeben sein oder sie muss gezielt gefördert werden. Somit genügt es nicht, öffentliche Forschungseinrichtungen, wie Universitäten, zur Kooperation mit der regionalen Wirtschaft zu animieren, wenn die Unternehmen nicht zugleich in der Lage sind, diese Zusammenarbeit für sich zu nutzen. Hier braucht es ein breites Innovationsverständnis bei dem Wissensdiffusion und Adaption unterstützt werden und nicht einseitig auf technologische Exzellenz zielende Maßnahmen.
7. Die Stärken von Hochschulen nutzen
Und schließlich: Auch Hochschulen sind zentrale Akteure in regionalen Wissensnetzwerken. Dies ist empirisch immer wieder belegt worden. Die Studien zeigen aber auch, dass auf Grundlagenforschung ausgerichtete Einrichtungen eher positiv auf Städte oder Regionen mit einer diversifizierten Wirtschaftsstruktur wirken. Anwendungsnahe Forschungseinrichtungen sind dagegen eher in spezialisierten und strukturschwachen Regionen hilfreich.
Erst wenn diese Voraussetzungen weitgehend erfüllt sind, kann die eigentliche Arbeit der wissensbasierten Regionalentwicklung starten. Dafür braucht es Ausdauer und Zuversicht, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Die Stadt Bochum macht es aktuell vor: Trotz heftiger Spuren des Strukturwandels sagt deren Oberbürgermeister selbstbewusst: „Wir können Strukturwandel“. Unter dem Motto Wissen — Wandel — Wir-Gefühl setzt die Stadt in ihrer Bochum-Strategie 2030 ganz auf wissensbasierte Entwicklung. Gut so!