InsurTech Venture Funnel Europa

Die fünf Insurtech-Schlachten

Mehrdad Piroozram
InsurTech.vc
Published in
5 min readDec 19, 2017

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geschrieben für den Versicherungsmonitor, erschienen am 16.11.2017

Wer die Trends bei Insurtechs im deutschen Raum verstehen will, muss einen Blick in die Welt wagen. Denn Innovationen passieren meist auf internationaler Ebene. Heimische Versicherer denken dagegen oft noch zu national. Die Insurtechs, die im europäischen Raum unterwegs sind, lassen sich in fünf Gruppen einteilen: Über 80 Prozent der Insurtechs werden wieder rasch verschwinden. Die wenigen, die durchkommen, werden die Zukunft der Versicherung prägen.

In Interviews werde ich oft gefragt, welche Trends im Insurtech-Bereich in Deutschland erkennbar sind. Ich antworte darauf wie folgt: Innovation passiert auf internationaler Ebene. Deshalb muss man das Insurtech-Feld aus der internationalen beziehungsweise kontinentaleuropäischen Betrachtungsweise analysieren. Nur dies führt zu einer objektiven Trendeinschätzung.

Heimische Versicherer denken oft noch zu national. Das ist aus unserer Sicht ein Fehler, der jedoch nachvollziehbar ist. So sind die Regulierung und der Zielmarkt oft national orientiert. Analog zu anderen Branchen zeigt sich aber auch hier, dass die Innovationstreiber in digitalen Ökosystemen agieren, die keine Landesgrenzen kennen. WhatsApp ist ein gutes Beispiel. Das Start-up konnte besser und schneller als die etablierten Anbieter die Neuerung des App-Stores nutzen, um an den Telekommunikationsunternehmen vorbei das SMS-Geschäft in ein neues Zeitalter zu transferieren. Landesgrenzen spielen hier keine Rolle mehr. WhatsApp hat lediglich 6,8 Jahre gebraucht um 1 Milliarde Menschen mit Messenger-Diensten zu bedienen.

Um die Innovationen der Start-ups in Gänze verstehen zu können, ist es unabdingbar, eine aggregierte internationale Sicht des sogenannten Venture-Funnels zu besitzen. Dabei hilft es vielleicht, die Start-up-Landschaft als eine eigene Branche zu betrachten, in der globale, hoch professionelle Wagniskapitalgeber (Venture Capitalists) darauf spezialisiert sind, in kürzester Zeit mit Start-ups andere Branchen durch Einsatz von neuen Technologien zu kannibalisieren. Die Vergütung hierfür erfolgt in Firmenwerten beziehungsweise Firmenveräußerungen (Exits). Die Venture-Branche schaut auf die Insurtechs in Gänze und leitet aus der Summe der Start-ups, die es sichtet, strategische Entscheidungen ab.

Das Ganze ist wie ein Trichter (englisch „Funnel“) aufgebaut, der sich nach unten durch Ausfälle ausdünnt. Die aufeinander folgenden Investmentphasen richten sich nach dem Reifegrad des Start-ups und spiegeln gleichzeitig die brutale Auslese des Venture-Prozesses wider. Einen spezifischen globalen „Venture-Funnel“ für Insurtechs haben bisher die Munich Re und die AXA Strategic Ventures aufgebaut. Allianz SE und die chinesische PingAn arbeiten derzeit massiv daran. Durch das frühe Stadium des Insurtech-Innovationzyklus ist der Funnel daher für die meisten Versicherer schwer zugänglich. Um die extreme Auslese zu verdeutlichen, verweisen wir exemplarisch auf einen Funnel von Hardware-Start-ups in der folgenden Grafik:

So sieht ein Venture-Funnel aus. © CB Insights

Start-ups können Investoren hohe Renditen bescheren. Hier eine Übersicht über die lukrativsten Investments aller Zeiten © Wall Street Journal.

Einige wenige Start-ups liefern jedoch die enormen Renditen, nach denen die Venture-Branche strebt. Das chinesische Internetunternehmen @alibaba Alibaba ist ein sehr prägnantes Beispiel. Der Investor Softbank konnte seinen Kapitaleinsatz von 300 Mio. Dollar (257 Mio. Euro) ver260fachen. Softbank ist im Übrigen auch ein Investor des chinesischen Insurtechs Zhong An.

Erzielte Renditen der globalen Venture Capitalists

Genau diese wenigen Gewinner aus dem Venture-Funnel werden, wie in allen anderen Branchen auch, die Versicherungswirtschaft nachhaltig verändern. Hier sind Amazon und der Handel ein gutes Beispiel, um eine Referenz aus anderen Branchen zu nennen.

Wir als Insurtech.vc haben seit 2014 rund 75 Prozent der europäischen Insurtech-Venture-Transaktionen in unseren Venture-Funnel aufgenommen und gesichtet. Die Aktivitäten der Start-ups lassen sich im Wesentlichen in fünf Felder aufteilen. Zunächst ist deutlich zu erkennen, dass das traditionelle Spartendenken von den Insurtechs aufgebrochen wird. Dies hat eine neue Fokussierung im Hinblick auf die Wertschöpfungskette zur Folge.

Die fünf relevanten Felder sind:

  1. „Customer Touchpoints“ (Schlagworte sind hier: Soziale Medien, mobile Endgeräte und die Sharing Economy). Kunden adaptieren Trends und Technologien progressiv. Das führt zu einer Lücke, die von Insurtechs adressiert wird. Der Kundenzugang wandelt sich und erfolgt über neue Kanäle und Methoden. Beispiele wären hier die Online-Makler Knip und Clark.
  2. “Daten” (Schlagworte: Künstliche Intelligenz, Predictive Analytics, Internet der Dinge). Die künstliche Intelligenz ist wohl eines der Felder mit den größten Auswirkungen auf das Versicherungsgewerbe. Hier hebeln Start-ups Innovation durch zusätzliche Datenpunkte (zum Beispiel Internet der Dinge) und Algorithmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Ihre Kunden sind meist die Versicherungsunternehmen, denen sie Wettbewerbsvorteile verschaffen wollen. Beispiele sind das Start-up PredictiveBid, das künstliche Intelligenz für die Online-Userakquise nutzt, und Cytora, das künstliche Intelligenz für die Risikoanalyse in Echtzeit einsetzt.
  3. “Prozesse” (Schlagworte: Software as a Service, Blockchain, mobile Endgeräte). Die Insurtechs brechen einen kleinen Teil der Wertschöpfungskette heraus und bieten ihn, angereichert mit neuester Technologie und Methodik, den Versicherern als Service oder Lizenz an. Beispiele sind das Insurtech RightIndem, das auf mobile Schadenmeldungen setzt, und Digital Fineprint, das sich mit automatisierter Antragsvervollständigung beschäftigt.
  4. “Produkte” (Schlagworte: Internet der Dinge, neue Produkte wie Drohnen, Usage-based insurance). Der Technologieeinsatz erzeugt neue Risiken oder Produktkombinationen. Populär sind derzeit Drohnen- oder Cyberprodukte. Beispiele hier das Start-up Verifly, das nutzungsbasierte Drohnenversicherungen über eine App an bietet, oder Relayr.io, das Unternehmen bei der Nutzung des Internets der Dinge unterstützt.
  5. “Big Bang” Hier geht es um die Schaffung eines kompletten digitalen Versicherers, wie es Sherpa in Großbritannien, Oscar Health in den USA und Wefox/One in Deutschland vorgemacht haben. Dabei wird die gesamte Wertschöpfungskette neu gedacht beziehungsweise aufgesetzt. In diese Kategorie fallen sowohl die Digital-Versicherer der etablierten Anbieter (zum Beispiel Nexible) als auch neue Spieler, die neben der Akquise auch die Tarif- und Prozesskomplexität zu stemmen versuchen.

Häufig gibt es aber auch Überlappungen.

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Mehrdad Piroozram
InsurTech.vc

Serial Entrepreneur, #InsurTech Angel Investor @insurtechvc