Kollaboration & Ko — (Don’t) Believe the Hype

Björn Müller
Kollaboration & Ko
Published in
5 min readFeb 18, 2021
Foto von "My Life Through A Lens" auf Unsplash

Die Medium Reihe “Kollaboration & Ko” versammelt Essays und Anleitungen forschender Praktiker*innen zu neuen Zusammenarbeitsformen. Dies ist der erste Text einer dreiteiligen Serie, bei der die Eigenheiten und Voraussetzungen unterschiedlicher Formen der Zusammenarbeit — von Kooperation über Kollaboration bis Ko-Kreation — beleuchtet werden.

Der Hype um neue Formen der Zusammenarbeit propagiert Kollaboration als Allheilmittel. Aus Organisationssicht sollen kollaborative Zusammenarbeitsformen Agilität, Engagement, Kreativität & Innovation fördern. Aus der Perspektive der Mitarbeitenden geht es meist um eine als sinnhaft erlebte Form der Zusammenarbeit, geprägt durch mehr Mitbestimmung, Einbindung und Austausch. Wie bei so vielen angesagten Konzepten droht Kollaboration dabei völlig zu verwässern — was ist es eigentlich für eine spezifische Form der Zusammenarbeit? — oder zum Yeti zu werden: Viele reden darüber (in den schillerndsten Farben), wenige haben es bisher (auf diese Weise wirklich) gesehen oder erlebt.

Um mitreden und handeln zu können lohnen sich einige Grundfragen: Was bedeutet Kollaboration eigentlich genau? Und, wieso ist Kollaboration wann, und für wen, (k)eine gute Sache? Für eine kritisch-produktive Auseinandersetzung mit dem Thema dient das untenstehende Ordnungsschema, welches vier verschiedene Formen der Zusammenarbeit unterscheidet. Kollaboration lässt sich dabei am besten im Vergleich zu Kooperation verstehen.

Zusammenarbeitsformen

Im deutschsprachigen Kontext werden die Begriffe Kooperation und Kollaboration meist synonym verwendet. Die Organisations- und Arbeitsgruppenforschung postuliert demgegenüber klare Unterschiede; hieraus ergibt sich ein aufschlussreiches Ordnungsschema:

Ordnungsschema verschiedener Formen der Zusammenarbeit (inspiriert von Camarihna-Matos & Afsarmanesh, 2008)

Networking, Koordination, Kooperation und schlussendlich Kollaboration unterscheiden sich in Bezug auf die Integration von Aktivitäten, Ziele und Ressourcen sowie die Responsivität (Verbindlichkeit, Bezogenheit & Commitment) der Beziehungen. Das eine ist Baustein des anderen: Koordination erweitert Networking; Kooperation erweitert Koordination; Kollaboration schlussendlich erweitert Kooperation, und subsumiert so alle anderen Formen der Zusammenarbeit, allerdings in einem qualitativ anderen Rahmen.

Der Unterschied zwischen Kooperation und Kollaboration wird deutlich anhand von prototypischen Aufgaben, die wir beispielsweise Teilnehmende unserer Kurse direkt hintereinander machen lassen: Stellen sie sich vor, dass sie erst in der Gruppe gemeinsam Puzzlen (Kooperation), und dann die Aufgabe erhalten, anhand von intuitiv gewählten Bilderkarten eine gemeinsame Bildergeschichte zu einem vorgegebenen Thema zu kreieren (Kollaboration). Die beiden Formen der Zusammenarbeit unterscheiden sich qualitativ in Bezug auf die Ziele, die Arbeitsteilung, das zu erwartende Resultat und die Art der Beziehung.

Kooperation

Kooperation am Beispiel des Puzzlens (Foto des Autors)

Als Kooperation bezeichnen wir die effiziente, koordiniert-arbeitsteilige Ausführung einer Arbeit oder Lösung eines Problems von zwei oder mehreren Akteuren. Denken sie neben dem Puzzlen an eine traditionelle Lieferkette: Die Kompatibilität der Ziele der einzelnen Akteure sorgt in einer auf Effizienz ausgelegten Funktions- und Arbeitsteilung für ein additives Zusammenführen der einzelnen Aktivitäten. Die tayloristische, vertikale Arbeitsteilung verspricht, dass das Ganze am Ende der Summe der Teile entspricht. Die Art der Beziehung ist transaktionaler Art — ein Geben und Nehmen bei dem wir persönlich oft aussen vor bleiben. Im Planungsprozess eines neuen Projektes beispielsweise treffen, in einem bestenfalls kooperativen Prozess, R&D auf Operations und Marketing.

Kollaboration

Kollaboration kann als synchronisierter Prozess der kreativen Problemlösung oder effektiven Wissensgenerierung von zwei oder mehreren Akteuren verstanden werden. Hier könnte neben der gemeinsamen Bildergeschichte das Beispiel einer abteilungs- oder organisationsübergreifenden Projektgruppe dienen. Die Formen der kollaborativen Zusammenarbeit und Gestaltungsaufgaben ergeben sich aus der «Komplexität von Zielen» und Motivationslagen. In kollaborativen Kontexten gehen Produktion und Konsumtion der eigenen Struktur und Inhalte oft Hand in Hand: Die Beteiligten sind sowohl am Outcome (das „Was“) als auch an einem ihnen entsprechenden Prozess (das „Wie“) interessiert.

Aufgrund der tieferen Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven und Ideen ist Kollaboration transformativ: Nach einer erfolgreichen Kollaboration hat man etwas gelernt und sich (ein wenig) verändert. Kollaboration meint schlussendlich eine dynamische, horizontale Arbeitsteilung: Die Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Ebenen beinhaltet die gemeinsame Gestaltung eben dieser Arbeitsbeziehung. Qualitativ verändert sich gegenüber der Kooperation hier die Art der Kommunikation und des Austausches. In jeder Form der Zusammenarbeit sind Zuhören und Responsivität Grundvoraussetzung.

Kollaboration setzt allerdings voraus dass wir auf einer tieferen Ebene zuhören, auch das Ungesagte zulassen und dem Unerwarteten Raum geben. Am Ende steht ein Versprechen: Kollaboration ermöglicht emergente Effektivität. Das Ganze ist im besten Fall mehr als die Summe der Teile.

Kollaboration am Beispiel des gemeinsamen Erstellens einer Bildergeschichte (Foto des Autors)

Zusammenfassung

Kollaboration ist nicht per se besser als Kooperation. Kollaboration ist eine andere Art der Zusammenarbeit mit anderen Voraussetzungen und Versprechen.

Don’t believe the hype: Nicht alle Aufgaben benötigen Kollaboration! Believe the hype: Kollaboration verspricht «mehr» und ist unersetzlich im effektiven Lösen von komplexen Herausforderungen und wenn es um Motivation und Teilhabe der Beteiligten geht.

Allerdings braucht Kollaboration Zeit, Erfahrung und Kompetenz in der Selbstorganisation von gemeinschaftlichen Prozessen. Dabei stellt Kollaboration grundlegende Gewohnheiten (im geschäftlichen Kontext) in Frage: Aus Sicht der Kollaboration ist es weniger wichtig von wem beispielsweise ein Impuls oder eine Idee kommt; oft lassen sich die einzelnen Schritte (der Wissensgenerierung) dabei sowieso nur schwer individuell zu schreiben, sind sie doch ein untrennbarer ko-kreativer Prozess. Wichtiger ist es gemeinsame Sache zu machen, um etwas zu erreichen, was für einen Einzelnen nicht möglich wäre.

Grosse gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen, wie beispielsweise der Klimawandel und damit einhergehende, neue Ansätze wie die “Circular Economy” sind ohne Kollaboration undenkbar: hier sind Unternehmen gefordert sich auch untereinander und mit anderen Akteuren, wie beispielsweise zivilgesellschaftlichen Organisationen oder der Öffentlichen Hand auf kollaborative Prozesse einzulassen. Das benötigt Mut, denn das Ergebnis ist tatsächlich offen, und die gemeinsame Vision und der Weg werden eben erst kollaborativ geschaffen.

Kollaboration braucht eine eigene Kultur, neue Kompetenzen, Tools & Frameworks und ein kollaboratives Verständnis von Führung. Alles Themen im zweiten Artikel dieser Serie zu Kollaboration & Ko.

Referenzen

Camarihna-Matos, L. M., & Afsarmanesh, H. (2008). Concept of Collaboration. In G. Putnik & M. M. Cruz-Cunha (Hrsg.), Encyclopedia of networked and virtual organizations. Information Science Reference. https://www.academia.edu/248756/Concept_of_Collaboration

Müller, B. (2018). Ko-Kreation. In T. Beyes & J. Metelmann (Hrsg.), Der Kreativitätskomplex — Ein Vademecum der Gegenwartsgesellschaft (S. 135–142). transcript Verlag. https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4510-1/der-kreativitaetskomplex/

--

--

Björn Müller
Kollaboration & Ko

Transformationspsychologe / PhD / https://www.meso.partners/ https://stride-learning.ch / Kollaboration / Systemische Innovation / Transformatives Lernen