Die Interessen der Frauen

In Aristophanes’ Lysistrata verweigern Frauen den Männern den Sex, um sie vom Krieg abzubringen. Welche Lehren hält das Stück heute noch bereit?

Sophie Vandrey
Krater Magazine
7 min readFeb 25, 2022

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Giuseppe Fagnani — “Polyhymnia” (1869), © Wikimedia Commons

Neben allen negativen Aspekten, die ein gesellschaftlicher Wandel mit sich bringt, verbirgt sich darin auch immer die Chance einer Neugestaltung. So kann auch Hoffnung bestehen, dass der demographische Wandel zu einer Umstrukturierung des Arbeitsmarktes führen kann, die zu einer gleichberechtigten Verteilung von Männern und Frauen in hohen Positionen führt. Denn wenn die alten Männer in Rente gehen und ihre hohen Posten verlassen, müssen andere Personen nachrücken. Es gäbe dann Platz für qualifizierte Frauen, wodurch sich die Gesellschaft weiter in Richtung einer Gleichberechtigung von Mann und Frau bewegen könnte.

Ich bin skeptisch, ob es dazu kommt, wenn nicht grundsätzliche Muster hinterfragt werden und der Frage nachgegangen wird, warum es einzelnen Frauen in Unternehmen meines Erachtens unmöglich gemacht wird, in höhere Positionen zu gelangen und das unabhängig von ihrem Können. Denn ich glaube darum geht es nicht. Es geht vielmehr um Taktiken, die von Männern jahrelang geübt werden konnten und um Interessengruppen, die nicht durchbrochen werden.

Das Theaterstück Lysistrata von Aristophanes kann in abstrakter Weise vielleicht als Vorbild auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung genommen werden, denn es umreißt gleichzeitig das derzeitige Problem. Es ist eine Utopie, keine Frage und die Realität ist anders und kann dem nicht gerecht werden. Jedoch lohnt sich ein Blick darauf.

Im Jahr 411 v. Chr. wurde den Frauen in dem Stück Lysistrata klar, dass es kein gutes Ende nehmen würde, wenn nur Männer arbeiteten. Damals bedeutete arbeiten vor allem in den Krieg ziehen. Der Peloponnesische Krieg befand sich in seinem 20. Jahr und Männer waren Soldaten, die mal nach Hause kamen und mal nicht. In dem Stück lässt Aristophanes den Frauen die Macht, die für sich ein wichtiges Potential der Weiblichkeit erkennen: sie können sich zusammenschließen und den Männern den Sex verweigern, um sie dazu zu bringen, mit dem Töten aufzuhören.

Feminist*innen könnten an dieser Stelle aufschreien, denn Weiblichkeit hätte als Waffe ja weit mehr zu bieten als die Verweigerung von Sex. Dazu sei gesagt, dass ganz im Gegensatz zu heutigen Diskursen, Sexarbeiterinnen, sogenannte Hetären, im alten Griechenland nicht nur als Synonym für die Befriedigung von Lust gesehen wurden, sondern auch oft geistreiche, gebildete und ehrgeizige Persönlichkeiten waren. Sie erfüllten für einige Männer die Rolle als Freundin oder Genossin, mit der es man sich gut unterhalten konnte. Dennoch waren Frauen ausgeschlossen von politischen Diskursen und außerhäuslicher Arbeit. Ich will an dieser Stelle nicht danach fragen, wie fortschrittlich das alte Griechenland war oder diskutieren, ob es sich um ein wirklich feministisches Stück handelt. Die Frauen wurden schließlich von Männern gespielt und wie feministisch kann eine Gesellschaft schon sein, die Frauen den Zugang zu so vielem verwehrt?

Dennoch verwundert das Stück von Aristophanes, da er sich darin gerade über die Männer und ihre ungeheure Lust am Krieg amüsiert. Sie werden in dem Stück von dem Chor der Frauen belächelt. „Ihr braucht nicht Stangen, ihr braucht Verstand“, heißt es, was sicherlich als anatomische Anspielung gemeint ist, die ja bekannter Weise häufig eher auf Kosten von Frauen geht. In diesem Stück spricht die Frau zwar durch einen männlichen Schriftsteller, aber immerhin spricht sie.

Das Stück ist vielleicht als Ausdruck der Hoffnungslosigkeit von Aristophanes zu verstehen, der sich ein Ende des Krieges herbeiwünschte und so eine Utopie auf die Bühne brachte. Hoffnungslosigkeit kann zu wirren Gedanke führen, sodass sogar ein alter griechischer Schriftsteller zu glauben begann, dass in patriarchalen Verhältnissen die Frau gerade noch so viel Macht hätte, einen Krieg zu stoppen und die streitlustigen Männer zu bändigen. Eine ausgedachte Geschichte eben, die vielleicht ein bisschen zu schön ist, um wahr zu sein. Doch es gelingt den Frauen, denn der Krieg hört auf, da die Männer, ohne den immer dagewesenen Rückhalt, geschwächt sind.

Ganz im Zeichen von „make love, not war“ wird beschrieben, wie hilflos verloren die Gesellschaft ist, wenn ein bedeutend großer Teil sich verweigert. Zwar gleicht der heutige Arbeitsmarkt keinem Krieg, aber immerhin einem Machtkampf um die besten Positionen. Und der verläuft, wenn er sich zwischen Mann und Frau ereignet, zu Gunsten des Mannes. Solange wir zwischen weiblichen und männlichen Kompetenzen unterscheiden müssen, weil einzugestehen ist, dass sie dank Sozialisierung erworben sind, wissen wir nun auch, dass wir gut daran täten, die besten Positionen möglichst gleich zu verteilen. Heterogenität ist schließlich auch das Stichwort der Stunde. Wo ist sie dann?

Nun kommt hinzu, dass westliche Gesellschaften immer bevölkerungsärmer und immer älter werden. Durch den demographischen Wandel könnten junge Frauen in höhere Positionen rücken, nachdem die alten Sessel entstaubt sind, einfach weil es sie gibt und sie nicht wenige sind. Doch je höher wir in der Arbeitsmarktpyramide schauen, desto weniger Frauen gibt es. Auch wenn sie, der Verteilung von akademischen Abschlüssen zufolge, längst Teil der Spitze sein müssten.

Was passiert hier? Ich möchte nicht sagen, dass sich nichts verändert hat, denn wir stecken sicherlich nicht in Verhältnissen, die vergleichbar wären mit der Situation der Frauen bei Lysistrata. Doch die höheren Positionen sind männlich. Es heißt, die Besten sollen auf die besten Positionen. Doch ganz entgegen dem guten alten deutschen Leistungsprinzip, befinden sich nicht die Besten auf den besten Positionen, sondern die, die Kontakte haben, eigene Talente hervorheben und Schwächen gewusst überspielen. Sie haben ferner Fähigkeiten, die unter dem Stichwort “mikropolitische Kompetenzen” gefasst werden können. Die Spitze eines Unternehmens ist mehr als ein konzentrierter Knoten an Qualifikation, er ist ein Schauplatz der mikropolitischen Könner*innen.

Diese mikropolitischen Kompetenzen könnten eine Chance für die Geschlechtergerechtigkeit sein, denn schließlich können sie von allen Geschlechtern erworben werden, auch wenn sie sich bisher als Vorteil der Männer entpuppten. Mit Hinblick auf die Interessengruppen in einem Unternehmen wird klar, warum das so ist. Wir haben dort die Politiker*innen, die extern einwirken, die zwar kluge Gesetze in Kraft bringen können, aber deren Handlungsspielraum bisher nur gering ausfällt. Richtungsweisende Gesetze, wie eine bezahlte Elternzeit, die sich auf 14 Monate ausweitet, wenn beide Eltern eine Auszeit nehmen, können als Anreiz wirken. Die Entscheidung bleibt aber den Eltern bzw. den Arbeitgeber*innen überlassen. Extern kann so Diskriminierung entgegengewirkt werden, doch der Machtkampf innerhalb eines sozialen Systems, entzieht sich dem.

Als zweite Interessengruppe gibt es die Arbeitgeber*innen, deren Aufgabe es ist, das Unternehmen so zu führen, dass die Organisationsziele erreicht werden. Hinter den Organisationszielen versteckt sich der Wachstumsgedanke. Es sei denn wir haben es mit einem ganz kleinen, alternativen Unternehmen zu tun, doch die sind dann eben auch nicht ausschlaggebend für gesellschaftlichen Wandel. Wir kommen zu der dritten Interessengruppe, den Arbeitnehmer*innen, von denen nun einiges abverlangt wird, da das Unternehmen aufsteigen will.

Wer kann das leisten? Es sind Menschen, denen der Rücken im Privaten freigehalten wird und die oft keine Kinder haben. Es handelt sich um Menschen, die in Vollzeit arbeiten können, die für eine 40+ Stunden Woche bereit sind.

Nur wenn Arbeitnehmer*innen auch vor Ort im Unternehmen anwesend sind, kann sich mikropolitisches Potenzial entwickeln, da Kontakte geknüpft werden, Feierabendbiere getrunken und Informationen untereinander ausgetauscht werden. Und wenn man sein Leben mit Arbeiten verbringt, dann ist man immer auf Arbeit. Es sind also mehr Männer, die aktiv Zeit in einem Unternehmen verbringen und auch mehr Möglichkeit haben, sich zu vernetzen und eine Interessengruppe zu bilden.

Genau diese Bildung von Interessengruppen ist das, was so unglaublich machtvoll ist. Und diese Interessengruppe ist das, was sich bei den Frauen in höheren Positionen einfach nicht bilden will, denn sie sind in Unternehmen in so geringer Zahl anzufinden, dass sich gar keine Gruppe bilden kann. Die Frau, bleibt infolgedessen in gewisser Hinsicht doch ziemlich allein.

Solange die konkurrierenden Interessengruppen, wie Arbeitgeber*innen, aber auch Politiker*innen ihren Fokus nicht wirklich auf eine gleichberechtigte Verteilung setzen, bleibt das Verhältnis bestehen und dann macht es auch wenig Unterschied, ob alte Männer in Rente gehen, denn die Interessengruppen erhalten sich selbst.

Veränderung muss bedeuten, dass neben dem wirtschaftlichen Wachstum ein weiterer Faktor mit in die Rechnung eingehen muss: Nämlich die Frage, wie mit Arbeitnehmer*innen gleichberechtigt umgegangen werden kann? Wie fühlen sich Menschen wohl? Wie können Frauen unterstützt und entlastet werden? Denn nur so bleibt ein Unternehmen, wie auch jedes andere soziale System, auch wirklich stabil. Und das ist es ja, was wirklicher Erfolg bedeutet, oder nicht?

Lysistrata greift einige schöne Bilder auf, in der der Weiblichkeit ein einzigartiger Wert zugesprochen wird und doch wird es unserer modernen Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit natürlich nicht gerecht. Eines jedoch ist aus dem Stück hervorzuheben: Der Zusammenhalt der Frauen, auch über teils gegensätzliche Interessen hinweg, schnürt sich wie ein festes Band um alle herum. Denn sie wollen vor allem eines, das Ende des Krieges. Die Interessengruppen heute sind viel ausdifferenzierter. Und vor allem mangelt es in höheren Positionen vor allem erstmal überhaupt an einer Gruppe von Frauen, sie können vielleicht gerade mal ein Duo bilden.

Außerdem stehen sich nicht nur Frauen und Männer gegenüber, wie bei Lysistrata, sondern auch junge Mütter anderen Frauen, die keine Kinder haben. Genauso wie Frauen, die sich mikropolitische Strategien aneignen wollen und damit männliche Kompetenzen annehmen und Frauen, die sich dem verweigern, da dies mit ihren Werten kollidiert. Alles gerechtfertigt, aber alles ziemlich ausdifferenziert und ohne gemeinsame Interessengrundlage und somit leider oft ohne Durchsetzungskraft. Ein Scheitern dessen, bedeutet aber auch, dass das was bisher ist, so bleibt wie es ist. Egal, ob mehr Menschen in Rente gehen oder nicht. Doch schuld daran sind sicherlich nicht allein die Frauen selbst.

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