Ein Hoch auf das Flugzeug

Die Klimabewegung sollte sich gut überlegen, ob sie den Flugverkehr zum Hauptfeind erklären möchte

Leon Holly
Krater Magazine
3 min readJun 30, 2021

--

Hoch hinaus. Source: Wikimedia Commons, CC BY 2.0.

Es ist nicht lange her, dass der Wortschatz der Menschheit um den Begriff „Flugscham“ ergänzt wurde. Ich möchte nicht sagen „bereichert“, denn das Wort und seine Bedeutung sollten Klimaschützer schnellstmöglich wieder aus ihrem Bewusstsein verbannen. Der rasante Aufstieg des Flugverkehrs und die weltweite Demokratisierung der Fortbewegung sind Errungenschaften, die nicht dekadent und sorglos abgekanzelt, sondern vielmehr gefeiert und weiter ausgebaut werden sollten.

Jenen, die beim Klimaschutz mit Recht auf die wissenschaftliche Datenlage verweisen, und trotzdem die Flugzeuge vom Himmel holen möchten, kann schnell geholfen werden. Weltweit macht der Flugverkehr glücklicherweise nämlich nur einen Anteil von 2,5 Prozent der CO2-Emissionen aus. Das sind Kinkerlitzchen verglichen mit den hundert Unternehmen, die zusammen für satte 70 Prozent (!) der weltweiten Luftverpestung verantwortlich zeichnen.

Dass die negative Presse des Flugzeugs in keinem Verhältnis zu seiner wirklichen Schädlichkeit steht, deutet auf etwas anderes hin. Mit ernsthaften klima- und verkehrspolitischen Bedenken haben wir es hier nicht zu tun. Stattdessen verschreibt sich das protestantische grüne Bürgertum lieber einer persönlichen Askese, die vielleicht den Gefühlshaushalt der Büßerin, nicht aber das globale Klima beruhigt. Im Angesicht der Größe der Herausforderung und der eigenen Machtlosigkeit kann man sich im strengen Verzicht immerhin besser fühlen als die Unterschicht, die sich unbedarft in die Ryanair-Maschine zwängt. Und natürlich sind es am Ende nicht die Reichen, die sich die verteuerten Ticketpreise nicht mehr leisten können.

Ferner sollten sich insbesondere alle, die sich für internationalistisch halten, genau überlegen, welche verkehrspolitischen Wünsche sie äußern. Es steht doch außer Frage, dass die Demokratisierung und Verbilligung des Flugverkehrs den Austausch zwischen Menschen und Kulturen ungeheuer vereinfacht haben. Was für viele vor einigen Jahrzehnten noch ein unerreichbarer Horizont war, ist mittlerweile in einer Tomatensaftlänge überflogen. Wer mit dem Finger zuerst auf das Flugzeug zeigt, offenbart also — bewusst oder unbewusst — auch den eigenen Provinzialismus, was kosmopolitischen Linken eigentlich reflexartig aufstoßen sollte.

Die revolutionären Errungenschaften der Globalisierung zu würdigen, heißt keineswegs, den Status Quo für perfekt zu erklären. Weltweit bleibt zu bedenken, dass man immer noch einer reichen Minderheit angehören muss, um billig fliegen zu können. Die meisten Erdlinge haben in ihrem Leben noch kein Flugzeug von innen gesehen. Wenn der Zugang zum Flugverkehr also — wie ich meine — sogar noch ausgeweitet werden sollte, ist es wichtig, energisch in die Forschung und Entwicklung umweltfreundlicherer Treibstoffe zu investieren.

Und auch alternative Verkehrsmittel sollten nicht abgeschrieben werden. So muss das europäische Schienennetz weiter ausgebaut werden, um den Straßenverkehr auf regionaler Ebene und den Flugverkehr zwischen den Großstädten zu entlasten. Wer mit dem TGV günstig innerhalb von drei Stunden von Paris nach Marseille kommt, wird nicht geneigt sein, sich stattdessen der Tortur der Flughafenabfertigung zu unterwerfen. Wenn die Bahnstrecke Paris-Berlin allerdings einen Tagesausflug bedeutet, mag man es vorziehen, den Rhein in luftigen Höhen zu überqueren. Und das mit gutem Recht und Gewissen.

--

--