Guerilla, Mafia und Drogensumpf

Bistum Würzburg
La vida latinoamericana
4 min readJul 30, 2014

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Wie die Kitzinger Ordensfrau Vianney Link seit 40 Jahren trotz widriger Umstände den Armen hilft — „Ein unverwüstlicher Glaube, eine gute Gemeinschaft und eine Riesendosis Humor“

Kolumbien

46 Millionen Einwohner

Mehr als drei Mal so groß wie Deutschland

Hauptstadt: Bogotá

Jährliches Durchschnittseinkommen: 6.110 Dollar

90 Prozent Katholiken

Bogotá/Kitzingen (POW) „Geld, also Mafia, und Droge haben geheiratet, haben sich zusammengetan, die Guerilla bewacht die Coca-Felder der Mafia, und die Mafia bezahlt ihnen die Waffen.“ Schwester Vianney Link aus Kitzingen lebt seit 40 Jahren in Kolumbien und bringt die Situation auf den Punkt. Viel besser kann man die Verhältnisse in ihrer südamerikanischen Wahlheimat wohl nicht beschreiben. „Wir waren zu dritt und kamen 1973 mit dem Köfferchen in der Hand und haben gesagt: Da sind wir, wo braucht man uns?“, erzählt sie.

Die Schwestern kamen damals aus Rhodesien, dem heutigen Simbabwe in Afrika. Missionsdominikanerinnen von Strahlfeld, ausgebildet für den Einsatz auf dem schwarzen Kontinent, fit in englischer Sprache und bewandert im Kampf gegen die Apartheid. Schwester Vianney war bereits 14 Jahre Lehrerin in Rhodesien gewesen, Lateinamerika und Spanisch hatte sie nie auf dem Schirm. Ihr Orden hatte aber auf einen Appell Papst Paul VI. reagiert, der 1968 zum Eucharistischen Weltkongress in Bogotá gekommen war und den eigentlich katholischen Kontinent zum Missionsgebiet erklärt hatte.

„Er sah die totale Wende im gesellschaftlichen Leben hier voraus“, erklärt Schwester Vianney. „Denn es war hier zwar ein getauftes Land, aber ob es christlich ist, ist etwas anderes.“ Das ist bis heute eine interessante Frage und ein weites Feld. Jedenfalls krempelten die Schwestern 1973 die Ärmel ihrer Ordenstracht hoch und legten los. In einer Powerpoint-Präsentation zeigt die heute 77-Jährige die Anfänge. Da war eigentlich nichts außer Elend und Not in der Ciudad Bolívar, den südlichen Gebieten Bogotás, die bis heute nichts von ihrem schlechten Ruf verloren haben. Der Kampf zwischen Drogenmafia, Regierung, Guerillaorganisationen und paramilitärischen Einheiten vertreibt nach wie vor Menschen, Familien und ganze Dörfer vom Land und spült sie in die Großstädte. Die Zahl der sogenannten Binnenflüchtlinge in Kolumbien wird auf Millionen geschätzt. In Bogotá kriechen die Elendsviertel unaufhaltsam die Berghänge der Kordilleren empor, eine unübersehbare Wüste aus Bretter- und Wellblechhütten. Aber wenn man dann ganz oben auf einer Anhöhe steht, sieht man mitten in dieser Trostlosigkeit eben auch die Pfarrei „Nuestra Señora del Lucero“ — die bessere Welt von Schwester Vianney, ihrer deutschen Mitschwestern Regina, Maria und Agneta und der beiden kolumbianischen Schwestern Esperanza und Yolanda.

40 Jahre haben sie dort geschuftet. Die deutschen Schwestern sind längst alle weit jenseits der 70. Alles steht heute auf der Grundlage eines Trägervereins: FISDECO, die Abkürzung für „Fundación Integración Sozial y Desarrollo Comunitario“ (Stiftung für gesellschaftliche Integration und Gemeindeentwicklung). Weit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten das Ganze heute am Laufen.

Alles fängt mit den Kindern an. Sie sind die Schwächsten einer zerrissenen Gesellschaft voller Gewalt und Elend. In zwei Kindertagesstätten werden 500 bis 600 Kinder im Alter von drei Monaten bis viereinhalb Jahren betreut, verköstigt, gesundheitlich überwacht und pädagogisch gefördert. In einer Klasse der sechsstufigen Grundschule mit etwa 350 Schülerinnen und Schülern hält ein uniformierter Beamter der staatlichen Polizei Unterricht: Es geht um das kolumbianische Dauerthema Drogen. Die Schwestern hier in Lucero wissen bestens Bescheid, was in den Straßen und Gassen der unmittelbaren Umgebung so abläuft: Jugendliche, die Basuco rauchen, ein Abfallprodukt der Kokaingewinnung, eine Mischung aus Ziegelstaub, Benzin, Amphetaminen und Blei.

Von Anfang an haben sich die Schwestern auch der Mädchen und Frauen angenommen. Der Machismo in Südamerika ist kein Klischee, und unzählige Frauen jeden Alters leiden darunter. „Frauen sind unser großes Problem“, sagt Schwester Vianney. „Viele kommen ganz jung ohne jede Schulbildung von den Andenhöhen nach Bogotá, oft schwanger oder mit einem kleinen Kind, ohne Mann. Sie lassen sich mit einem neuen Freund ein, werden wieder schwanger, und werden wieder sitzengelassen.“ Etwa 200 dieser Frauen werden zur Zeit von FISDECO betreut, sie erhalten in ganz praktischen Ausbildungsprogrammen Hilfen in Erziehungs-, Gesundheits- und Ernährungsfragen nach dem Motto: „Wer eine Frau ausbildet, errichtet eine kleine Schule.“

Ein Gesundheitszentrum und ein Altenheim gehören ebenfalls zu jener besseren Welt, die von den Missionsdominikanerinnen geschaffen wurde. Die Dienstleistungen sind übrigens in der Regel nicht kostenlos, man will keine Almosenempfänger begünstigen. „Denn was nichts kostet, ist nichts wert“, sagt Schwester Vianney in ihrer schnörkellosen Art. Neben diesen Einnahmen finanziert sich der Verein über all die Jahre hinweg aus Spenden: Die Heimatgemeinden der Schwestern sind mit im Boot, verschiedene Initiativen in Kitzingen beispielsweise unterstützen nach wie vor die Schwester, die dort einst vor ihrem Eintritt in den Orden als Christl Link gelebt hat. Und aus Kirchensteuermitteln überweist das Bistum Würzburg jährlich einen Betrag nach Bogotá. Und wie haben diese Ordensfrauen das alles geschafft? Schwester Vianney hat wie immer eine bündige Antwort darauf: „Drei Dinge: ein unverwüstlicher Glaube, eine gute Gemeinschaft und eine Riesendosis Humor.“

Lothar Reichel (POW)

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