Eva Rieken
Leadership und Organisation
7 min readMar 14, 2021
Credit: Alexas Fotos, https://www.pexels.com/de-de/foto/zeit-fur-wechselzeichen-mit-led-licht-2277784/

Arten und Anlässe für Change-Prozesse

Diese Woche wollen wir uns ansehen, welche Anlässe es für Change-Prozesse gibt. Dabei legen wir die Definition zugrunde, dass es beim Change-Management um die „laufende Anpassung von Unternehmensstrategien und -strukturen an veränderte Rahmenbedingungen“¹ geht. Eng damit verbunden ist die Organisationsentwicklung, die sich mit geplanten und systemischen Veränderungen in Organisationen beschäftigt².

Es zeichnet sich also bereits ab, dass Ereignisse im Umfeld einer Organisation Veränderungen im Innern nach sich ziehen können und Organisationsentwicklung und Change-Management nicht immer ganz trennscharf verwendet werden, weil sie eng miteinander verwandt sind.

Es gibt verschiedene Anlässe oder Auslöser für Change-Prozesse, die sich grob in zwei Kategorien einteilen lassen:

1. Krisen

Krisen kommen unerwartet und beeinflussen sämtliche Bereiche des Lebens. Das Beispiel, das wir gerade alle vor Augen haben, ist die Corona-Pandemie. Obwohl die Veränderungen, die durch Krisen beginnen, oft nachhaltig wirken, gehen wir im Rahmen unserer Lernreise nicht näher auf diese Thematik ein, die wir als Krisenkommunikation von der Kommunikation in Change Prozessen unterscheiden. Hier ist die Informationspolitik der Führungspersonen zwar entscheidend, aber es handelt sich hierbei nicht um gezielte, freiwillig initiierte Veränderungen . Es ist allerdings wahrscheinlich, dass Krisen eine langfristige strategische Neuausrichtung nach sich ziehen — diese werden dann gezielt und aktiv gestaltet im Rahmen der Organisationsentwicklung. Kotter³ weist auf diese Tatsache hin mit seiner Äußerung: „Never waste a good crisis“. Krisen beinhalten die Chance, aktiv zu gestalten, weil die alten Strukturen aufgebrochen werden. Krisen können Change-Prozesse auch verstärken und beschleunigen.

2. „Wachstumsschmerzen“ / Evolution

Unternehmen beginnen oft klein und familiär. Wenn die Firma wächst und einen höheren Reifegrad erreicht, gilt es neue Anforderungen zu bewältigen: Diese Abfolge an Krisen ist Teil der Evolution eines Unternehmens — es lässt sich nicht planen, wann sie stattfinden. Es geht darum, die Arbeitsweise neu zu verhandeln, damit die Firma den neuen Herausforderungen gewachsen ist. Werden diese Krisen nicht bewältigt, können sie das Wachstum des Unternehmens hemmen oder verhindern.

Quelle: Niemeyer, J.C. (2021, Februar). Organisationsentwicklung & Change Management

Change-Prozesse lassen sich auch nach den Zielen klassifizieren⁴, die sie verfolgen. Hier sind die bekanntesten Arten:

  • Restrukturierung
  • Kulturveränderung
  • Strategische Neuausrichtung
  • Fusionen & Übernahmen
  • Digitale Transformation

Auch hier fällt auf, dass Mischformen möglich sind. So kann z.B. eine Fusion zu einer Restrukturierung oder Kulturveränderung führen; daher beschreibt diese Klassifizierung das primäre Anliegen.

Diese unterschiedlichen Prozesse sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst:

Quelle: Deekeling, E., & Arndt, S. (2019, S. 14)

Wie die Darstellung zeigt, tauchen oft die gleichen Themen auf, die einen Change-Prozess zu einer Herausforderung machen. Die fehlende Wahrnehmung von Dringlichkeit („sense of urgency“) ist besonders bei Change-Prozessen, die nicht durch externe Krisen initiiert werden, ein Problem. Bei tiefgreifenden Krisen, wie z.B. der Corona-Pandemie, sind alle Lebensbereiche der Beteiligten betroffen und die Wichtigkeit und Dringlichkeit der notwendigen Veränderung ist daher klarer und nachvollziehbarer, weil sie alle im Alltagsleben betrifft.

Bei Change-Prozessen, die unternehmensintern initiiert und durchgeführt werden, ist die Notwendigkeit weniger ersichtlich. Das bedeutet, dass die Führungskräfte gut, klar und deutlich kommunizieren müssen, worum es geht und warum es ein wichtiges Anliegen ist. Allerdings sehen wir es kritisch, hier von mangelndem „sense of urgency“ zu sprechen. Leader müssen zwar das Warum begreiflich machen und was passieren wird, aber den Fokus auf „urgency“ zu legen, kann kontraproduktiv sein. Wenn ein Leader sich zu sehr auf „urgency“ konzentriert, kann es sein, dass die Mitarbeiter in eine „Angststarre“ verfallen oder gegenüber dem wahrgenommenen Alarmismus und der Katastrophenrhetorik abstumpfen. Im Hinblick auf unseren emotionalen Elefanten vertreten wir die Ansicht, dass es effektiver und angenehmer ist, Mitarbeiter durch die Kommunikation einer Vision zu aktivieren, anstatt sie mit möglichen Worst-Case-Szenarien zum Handeln bewegen zu wollen.

Weitere Herausforderungen, die die Führung kommunikativ lösen muss, sind das Erzeugen eines „Wir-Gefühls“ nach Fusionen, aber auch die generelle Stärkung des Vertrauens in die Führung, die die Change-Prozesse steuert. Dabei geht es auch darum, Zweifel auszuräumen, mit Unsicherheiten und Ängsten der Mitarbeiter umzugehen — am besten, indem eine Vision kommuniziert wird, die so überzeugend ist, dass sie vom Großteil der Mitarbeiter mitgetragen wird. Diese Vision wird typischerweise in einer Change-Story kommuniziert, auf die wir später noch genauer eingehen werden.

Wichtig ist zunächst die Weitergabe von Information, denn Information ist eine zentrale Aufgabe der Führung.

Quelle: https://www.aphorismen.de/suche?f_thema=Information

Laut Urs Alter⁵ ist Information aus verschiedenen Gründen wichtig.

Erstens befriedigt Information die Neugier, die Menschen als soziale Wesen eigen ist. Außerdem wird durch Information die „Gerüchteküche“ unter Kontrolle gehalten.

Zweitens sichert Information die Existenz — seit alters her ist das weitergegebene Wissen darüber, wo es Nahrung gibt oder auch heutzutage die Kommunikation in Gefahrensituationen entscheidend für das Überleben des Einzelnen und der Gruppe.

Drittens gibt Information Orientierung, indem alle „W-Fragen“ behandelt werden. Warum machen wir das? Wann geht es los? Wo soll es hingehen? Was passiert als nächstes? Es ist Aufgabe einer guten Change-Story, solch eine Vision zu vermitteln und aufzuzeigen, wie sie Wirklichkeit werden kann. Zudem geben z.B. Status-Updates das Gefühl, gut informiert zu sein und vermitteln somit Sicherheit.

Viertens ist der Austausch von Informationen ein Kontaktanlass, der Menschen zusammenbringt. Dabei kann es auch implizit darum gehen, Informationen über andere zu erfahren, was sie für Menschen sind und was sie von uns erwarten. Im Kontext von Change-Prozessen bedeutet dies, dass Gesprächsteilnehmer besser einschätzen können, um welche Veränderungen es geht bzw. welche Veränderungen gewünscht sind, aber auch darum zu sehen, ob die Führungskraft / Change-Manager diese Veränderungen auch tatsächlich verinnerlicht hat und verkörpert.

Alter beschreibt nicht nur die Gründe für die Wichtigkeit von Information, sondern auch die Arten von Information, die Führungskräfte weitergeben. Dabei wird unterschieden zwischen Ergebnisinformationen, die handlungsrelevant sind und sich auf verbindliche Ergebnisse beziehen. Diese Informationen betrachtet Alter als essenziell.

Die zweite Art von Information ist Prozessinformation, die sich damit befasst, was als nächstes geplant ist. Somit bezieht sich Ergebnisinformation auf die Gegenwart und Prozessinformation auf die Zukunft bzw. die nächsten Schritte.

Information als Storytelling

Dieses kommunikative Oszillieren zwischen dem, „was ist“, und der Vision, was sein könnte ist ein entscheidendes Element beim Planungsprozess, den David Allen⁶ unter dem Titel „Getting things done“ vorstellt. Wenn der „Purpose“, also das Warum, kommuniziert wird, schließt sich dem typischerweise die Vision an. Zwischen diesen beiden Elementen bildet sich eine Spannung: Der Ist-Zustand weicht von der Vision ab, und wenn wir den Sinn verstehen, beginnen wir direkt mit dem Generieren von Ideen.

Nancy Duarte und Patti Sanchez⁷ haben inspirierende Reden analysiert, die mittlerweile legendär sind, z.B. Steve Jobs Präsentation des ersten iPhones und die “I have a dream”-Rede von Martin Luther King. Sie wollten herausfinden, wie Storytelling Zuhörer überzeugt und damit Bewegungen starten kann. Dabei ist den beiden ein Rhythmus aufgefallen, der ein wiederkehrendes Muster ergibt. Generisch dargestellt sieht es so aus:

Das gefundene Muster inspirierender Reden. Quelle: Illuminate. Nancy Duarte & Patti Sanchez. Talks at Google.

Bei diesem Muster steht die horizontale Linie für den derzeitigen Zustand. Die Redner stellten Einigkeit darüber her, wie die Dinge gerade sind. Mit der horizontalen Linie beginnt die Vision, die vom Status Quo deutlich abweicht und kommuniziert, wie die Dinge sein könnten:

Abbildung Spannung Ist-Zustand und Vision. Quelle: ibid.

Im folgenden Teil ihrer Ansprachen bewegten sich die Redner zwischen dem Ist-Zustand und dem möglichen zukünftigen Zustand hin- und her. Das hat den Effekt, dass der mögliche Zustand attraktiver erscheint und der Ist-Zustand weniger attraktiv wirkt. Der Unterschied zwischen der momentanen Situation und der möglichen Zukunft erzeugt Spannung, die durch das Storytelling erzeugt wird. Die Zuhörer fragen sich, wie sie zum besseren Zustand gelangen können und was sie dafür tun müssen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Zuhörer überzeugt, dass der neue Zustand besser ist als der alte und möchten diesen Zustand erreichen.

Abbildung: thematischer Verlauf der Reden Quelle: ibid.

Zum Ende der Reden wird diese Spannung dann aufgelöst, indem der “Call to Action”, also eine Aufforderung, kommt. Der Call to Action wird durch die letzte vertikale Linie präsentiert und leitet die Phase ein, wo der “new Bliss” bzw. die neue Norm präsentiert wird.

Wie bereits vorher erwähnt, führt die Spannung zwischen dem gegenwärtigen Zustand und der möglichen Zukunft dazu, dass das Gehirn der Zuhörer bereits anfängt, Ideen zu entwickeln, wie die neue, bessere Situation eintreten kann. Im nächsten Schritt können die generierten Ideen dann strukturiert bzw. priorisiert werden, um einen Fahrplan für den Change-Prozess zu entwickeln.

Quellenangaben

  1. Gabler Wirschaftslexikon, Definition Change Management https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/change-management-28354 (letzter Zugriff 6.3.2021)
  2. Niemeyer, J.C. (2021, Februar). Organisationsentwicklung & Change Management. Präsentation im Rahmen des Leadership & Organisation Moduls an der UdK Berlin, Wintersemester 2002 / 21, via zoom.
  3. Kotter, J. P. (1995). Leading Change — Why Transformation Efforts Fail. Harvard Business Review.
  4. Alter, U. (2015). Informieren als zentrale Führungsaufgabe (pp. 11–20). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09273-3_3
  5. Deekeling, E., & Arndt, S. (2019). Handbuch Mitarbeiterkommunikation. In S. Einwiller et al. (Hrsg.) (Ed.), Handbuch Mitarbeiterkommunikation (pp. 1–19). Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.
  6. Allen, D. (2014) Getting in control and creating space. YouTube, TEDxAmsterdam 2014, 28 Nov. 2014, www.youtube.com/watch?v=kOSFxKaqOm4 (letzter Zugriff 6.3.2021)
  7. Duarte, N.; Sanchez, P. (2016) Illuminate. Talks at Google. YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=iUoiKidIbxU&t=668s (letzter Zugriff am 12.2.2021)