Führungsfunktionen von K.I.: Vom Datenassistent zum Management-System

Leadership und AI
6 min readMar 7, 2021

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Unternehmen tun sich noch schwer mit der künstlichen Intelligenz. Eine K.I.-Studie des Digitalverbands Bitkom zum K.I.-Einsatz in Organisationen vom Juni 2020 zeigt, wie schwer sich deutsche Firmen noch mit dem Thema tun — drei Viertel der befragten Geschäftsführer/innen sind zwar der Meinung, künstliche Intelligenz sei eine Schlüsseltechnologie der, wie der World Economic Forum es nennt, vierten industriellen Revolution (Schwab, 2016), gerade sechs Prozent setzen aber diese auch tatsächlich ein. Laut den Befragungen zum Thema Führung durch K.I. aus dem Jahr 2019, würde ein Drittel der befragten Arbeitnehmer/innen den Tausch des Vorgesetzten gegen eine Anwendung in Betracht ziehen.

Im privaten Gebrauch sieht es ganz anders aus. Laut der Studie des Digitalverbands vom September 2020 erwartet jede/r Zweite, dass K.I.-Technologien unsere Gesellschaft spürbar verändern. Faszinierend, denn vor ein paar Jahren sah es noch ganz anders aus. Die Befragten begründen die zunehmende Akzeptanz mit der alltäglichen Nutzung diverser K.I.-Anwendungen, wie z.B. Spotify’s oder Netflix’s Vorschlag-Algorithmen, welche die perfekten Titel auf Basis der Nutzerinteressen und vorheriger Sucheingaben empfehlen. Somit ist klar — K.I.-Anwendungen finden ihren Platz in unserem privaten Alltag und ändern unsere Produkterlebnisse. Dies trägt im wesentlichen dazu bei die allgemeine Toleranz gegenüber der von K.I. erzeugten Handlungsvorschlägen zu entwickeln.

Ist es möglich, dass Leader in naher Zukunft konkrete Handlungsvorschläge von einem System, ähnlich wie Netflix, basierend auf Wirtschaftsfaktoren erhalten? Wenn unsere private Akzeptanz dem Thema gegenüber steigt, ist es für uns eine Frage der Zeit, bis sich die Auswirkungen der K.I. auf Unternehmensentscheidungen im wirtschaftlichen Sinne bemerkbar machen. In der Einführung haben wir das Thema umrissen, beschäftigten uns intensiv mit dem Begriff “künstliche Intelligenz” und mit der Fragestellung, warum diese Technologie die Führung kaum unverändert lässt. In diesem Teil unserer Reise setzen wir uns weiter mit dem Thema auseinander und wollen herausfinden, wie K.I.-Technologien die Unternehmen jetzt schon verändern und wieso es zu einer Führungsfrage wird.

Warum sich das Spielfeld ändert

Die Interaktion zwischen den Mitarbeitern und den Führungskräften entwickelt sich immer weiter und gerät ins Wandeln. Insbesondere durch technische Möglichkeiten wie K.I. werden Führungsaufgaben stark transformiert werden. Drei Faktoren sehen wir als wesentliche Auslöser dieses Shifts:

  1. Die Vielzahl der Daten, welche im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden müssen. Unternehmen gelangen, verursacht durch die zunehmende Digitalisierung, an ein unvorstellbares Datenaufkommen, dass nicht mehr manuell verarbeitet werden kann. Unverarbeitet sind diese Daten nutzlos, analysiert und ausgewertet bilden gesammelte Informationen ein enormes Potential. Die Fähigkeit mit dem Datenvolumen umzugehen formt die Unternehmensführung um.
  2. Der technologische Fortschritt, insbesondere im analytischen Bereich. Die kontinuierliche Weiterentwicklung diverser K.I.-Teilbereiche, insbesondere den des maschinellen Lernens, bei welchem das System nicht nur die relevanten Daten analysiert, findet Muster und berechnet die Wahrscheinlichkeiten bestimmter Ereignisse, sondern sich auf dieser Basis autonom weiterbildet. Die Anwendung passt sich eigenständig auf Basis des gelernten, erkanntem an und optimiert sich anschließend ausgehend aus den Erkenntnissen. In Kombination mit den Unmengen an Daten, die heutzutage maschinell bearbeitet werden, werden mehr faktenbasierte und objektive Vorhersagen durch K.I. möglich gemacht. Dies kann die Unternehmensführung nicht unbeeinflusst lassen. Der Grund für diesen technologischen Fortschritt ist die verbesserte Infrastruktur und schnellere Chips. Anspruchsvolle Rechenaufgaben können problemlos in die Cloud ausgelagert, um dort ausgeführt zu werden.
  3. Der wachsende Drang neuer Mitarbeitergenerationen, Arbeit und Individuum in Einklang zu bringen. Neue und flexible Erwartungen von dem Arbeitsplatz, der Umgebung und insbesondere der Führungsqualität der Mitarbeiter fordert neue Aufgabendefinition für Leader. Die Anforderungen brechen alte Paradigmen der Hierarchien und zwingen diese flacher zu werden. Eines der bekanntesten Konzepte in diesem Bereich dafür “New Work” (Bergmann, 1990). Unternehmensführung wird auf diese Anforderungen reagieren und sich diesen anpassen oder entgegenwirken müssen.

Die Führungsaufgaben werden einerseits durch den technologischen Fortschritt stark transformiert werden, die Auswirkungen der neuen Arbeits- und Mitarbeiteranforderungen werden diese Umwandlung andererseits weitgehend beeinflussen und ergänzen. In der Zukunft ist sogar die Teilung der Tätigkeiten auf der Führungsebene zwischen menschlichen Entscheidungsträgern und der K.I. möglich. Diese Annahme prüfen wir in unseren Beiträgen.

K.I. als Datenassistent

Doch wie sieht die Situation jetzt aus? In der Einführung in unsere Reise haben wir bereits von Unternehmenslösungen, die der schwachen K.I. zugeordnet werden, geschrieben. Es ist kein Geheimnis, dass eine automatisierte Anpassung der Fließbandgeschwindigkeit oder Ampelregelung, abhängig von der Verkehrssituation, jetzt schon im Einsatz sind. Sehr häufig kommen unterschiedliche Formen der K.I.-Datenassistenten vor, wie Analyse der Kundenanfragen oder Targeting-Untersuchung in personalisierter Werbung. Auch im HR-Bereich gibt es K.I. gesteuerte Programme, die bei der Kandidatensuche unterstützen und die perfekten Bewerber/innen anhand weniger Tags zu finden versprechen.

Diese “einfachen” Aufgaben basieren auf dem Prinzip des Data Crunching’s — automatisierte Verarbeitung großer Datenmengen (Big Data). Der Vorteil dieser Anwendungen ist die Geschwindigkeit, mit der diese verarbeitet werden können. Die Daten werden anschließend im Rahmen eines vordefinierten Regelwerks in eine Lösung eingespeist, wie z.B. ein Produktvorschlag für den Kunden oder eine bestimmte Ampelfarbe.

Digitale Assistenten dieser Art ermöglichen die Automatisierung von Routinetätigkeiten. Doch eine Führung durch K.I. solcher Art ist kaum vorstellbar. Die “Handlungen” dieser Anwendungen basieren auf einem definierten Anwendungsfall. Die Programme sind nicht in der Lage neuen Anwendungsfälle zu definieren.

K.I. als Management-System

Einen Schritt weiter in Richtung automatisierter Führung geht die mittlerweile jedem von uns bekannte Anwendung “Uber”. Bei der beliebten Vermittlungs-App für Autofahrten geht es um den Service per Klick, welches Fahrgäste binnen kürzester Zeit mit lokalen Chauffeuren verbindet. Für die Fahrer/innen macht der Service eine schnelle Auftragssuche möglich. Für beide Seiten werden Prozesse automatisch vermittelt, organisiert und gesteuert.

Was dahinter steckt ist ein algorithmisches System, welches den Fahrgästen eine dynamische Preisbildung durch die Auswertung solcher Daten wie Uhrzeit, Verkehrssituation, Anzahl freier Fahrer in der Gegend, Wetterbedingungen und situative Rabatte anbietet. Abhängig von den Umständen kann eine Fahrt mehr oder weniger kosten. Zwar warnt der Betreiber die Fahrgäste davor, dass es sich im Bestellprozess um eine Schätzung handelt, selten unterscheidet sich der Preis der Fahrt viel von der angezeigten Prognose im Bestellvorgang. Automatische Preisbildung anhand unterschiedlicher Faktoren, das sogenannte Surge Pricing, definiert finanzielle Entscheidungen für die Fahrer/innen und ihre Fahrgäste.

Um die hohe Übereinstimmung des geschätzten Preises und den echten Fahrtkosten zu gewährleisten plant das System die Route automatisch, die Abweichungen während einer Fahrt werden automatisiert kontrolliert und abgemahnt (Rosenblatt, 2018).

Anders als in Deutschland lässt die Anwendung in vielen Ländern unprofessionelle Chauffeure den Service benutzen und bietet somit eine schnelle und attraktive Eintrittsmöglichkeit in das Fahrgeschäft an. Für die Fahrer/innen gibt es durch den Algorithmus keinen physischen “Chef” und Hierarchie. Man muss auf keinen Vertrag warten und kann binnen Minuten anfangen Geld zu verdienen. Statt Handbücher und organisationaler Onboarding-Prozesse gibt es Benachrichtigungen und Newsletter — das ergibt “Uber’s” globalen Erfolg und klingt für einen Schnelleinstieg sehr verlockend.

Allerdings gibt es dabei auch Probleme, wie eines der jüngsten Entscheidungen des höchsten Gerichts in Großbritannien zeigt. Auch viele ethischen Aspekte, wie z.B. die Abhängigkeit der Fahrer von subjektiven Kundenbewertungen in algorithmischer Beurteilung, bleiben noch zu klären.

Next Step?

Wie das Beispiel “Uber” zeigt, erleben wir schon ganze K.I.-Management-Systeme, die erfolgreich im Einsatz sind. Der Algorithmus steuert die operativen Prozesse, berechnet strategisch den Einsatz und betreibt die Ressourcenplanung. Der algorithmische Manager beeinflusst das gesamte Unternehmen. Das Beispiel macht die wesentliche Transformation der Unternehmensstrukturen durch K.I. als organisationales System klar.

Doch was passiert, wenn künstliche Intelligenz nicht nur als Managementsystem angewendet wird und die Kontrolle über die Unternehmensentscheidungen weitestgehend automatisiert? Insbesondere wenn Systeme mehr algorithmischen Eigensinn durch die Selbstbildung (Machine Learning) erlangen? Wie wird die Unternehmensführung und Leadership ergänzt, beeinflusst und transformiert? Und welche Rolle dabei die Ethik für uns spielt? Diesen Themen widmen wir uns in den nächsten Beiträgen.

Quellen:

Zeit Online (2021). “Uber-Fahrer haben Recht auf Anstellung”. zeit.de (zuletzt besucht am 06.03.2021).

Bitkom (2020). “Unternehmen tun sich noch schwer mit Künstlicher Intelligenz”. bitkom.org (zuletzt besucht am 06.03.2021)

Bitkom (2020). “Die Menschen wollen KI — und haben auch Angst vor ihr”. bitkom.org (zuletzt besucht am 06.03.2021)

Bitkom (2020). “KI wird in Unternehmen viel seltener genutzt als gedacht”. bitkom.org (zuletzt besucht am 06.03.2021)

Bitkom (2019). “Künstliche Intelligenz soll dem Chef helfen — oder ihn ersetzen”. bitkom.org (zuletzt besucht am 06.03.2021)

Rosenblat, A. (2018). “Uberland”. University of California Press

Schwab, K. (2016). “The Fourth Industrial Revolution: what it means, how to respond”. weforum.rog (zuletzt besucht am 06.03.2021)

Bergmann, F. (1990). ”Neue Arbeit (New Work) Das Konzept und seine Umsetzung in der Praxis”. Jahrbuch Arbeit und Technik, 71–80

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Leadership und AI

Wir sind Philipp Chaikevitch, Oliver Kristen und Lena Nieper aus dem Studiengang "Leadership in digitaler Innovation" an der UDK.