In Zukunft nur noch digital? — Ein Interview mit Dirk Kemmerer, Bertelsmann

Katja Bieber
Leadership und Organisation
4 min readMar 24, 2021

Angenehm unkompliziert konnten wir Dirk Kemmerer, CEO der Bertelsmann Printing Group (BPG), einer von acht Unternehmensbereichen (Divisionen) der Bertelsmann SE & Co. KGaA mit Headquarter in Gütersloh, für ein Gespräch gewinnen.

Vorab einige Details zu seinem Aufgabenbereich, besser, zu seinen Aufgabenbereichen. Seit 2002 im Unternehmen, wurde er 2019 CEO der BPG, die mit 8.000 Mitarbeitern und ca. 1,4 Milliarden Euro Jahresumsatz rund 30 Einzelunternehmen, von Veitshöchheim bis Hong Kong, unter einem Dach vereint. Zum Beispiel die Mohn Media Mohndruck GmbH und die DeutschlandCard GmbH, deren Geschäftsführer er u.a. auch ist.

Seinen Arbeitsalltag dominieren Kundentermine, operative Besprechungen mit den jeweiligen Führungsteams und der Geschäftsführung. Vor Corona hat er alle wichtigen (Kunden-) Termine per Flug oder Bahn wahrgenommen. Aber mehr dazu gleich … und los geht´s.

1. Seit wann ist (digitale) Transformation bei Bertelsmann ein Thema, gibt es gute Beispiele dafür im Unternehmen und welchen Stellenwert gestehst du ihr zu?

In der DNA unserer Konzernmutter und ihrer Divisionen ist stetige Transformation ein fester Bestandteil. Veränderung gehört sozusagen zu unserem Profil. Natürlich auch, weil unsere Geschäftsmodelle genau das verlangen … Print vor allen anderen, aber natürlich auch unsere anderen Dienstleistungsbereiche.

Business Development ist ein fester Bestandteil unserer Arbeit und gepaart mit unseren Essentials — Kreativität und Unternehmertum — führt dies zyklisch zu neuen oder weiterentwickelten Geschäftsmodellen.

Ein Beispiel aus meinem eigenen Verantwortungsbereich sind datenbasierte Geschäftsmodelle, wie die Gründung der DeutschlandCard in 2009, die aus bestehenden Loyalty Dienstleistungsansätzen entstanden ist und sich — das ist natürlich der Idealfall — zu einem sehr erfolgreichen Geschäft entwickelt hat. Kurz: Transformation ist traditionell ein großes Thema bei uns.

2. Gibt es den digitalen oder eher den analogen Leader bei Bertelsmann oder two in one? Wo bist du häufiger zu finden?

Ich bin kein Freund davon, Neues nur aufgrund der Andersartigkeit zu überhöhen. Lieber Alternativen auch etwas Luft lassen. Wenn etwas Neues aber das Potential hat, seine Kraft zu behalten, auch ohne das „neu“, dann hat es wahrscheinlich schon einen Platz in der diversen Unternehmenskultur,
in der wir uns bewegen dürfen.

Ich denke, die Mischung macht´s. Der digitale Weg ist enorm ökonomisch. Aber bei Aspekten mit einer eher sozialen Prägung, hat der analoge sicherlich seine Vorteile. Das gilt in unserem Dienstleistungsgeschäft insbesondere
für Neukundenansätze.

Bei Kunden, die ich bereits seit Jahren betreuen kann … mit diversen analogen Gesprächen, sei es zu Vertragsverhandlungen, der Digitalisierung gemeinsamer Geschäfte oder auch zu Internationalisierungsansätzen, ist der abrupte Switch auf Videokonferenzen vergleichbar einfach leistbar. Man hat eine Art gemeinsamen Erfahrungsschatz, eine analoge Verlässlichkeit, die sich dann gut in die digitale Welt transformieren läßt. In einem, von Performance und Verlässlichkeit geprägten, wirtschschaftlichen Umfeld gilt das für Erstkontakte vergleichsweise nicht.

Seit dem ersten Lockdown im März 2020 sind bestimmt drei Viertel meiner Termine online. Vorher war das Gegenteil der Fall, und ich gehe davon aus, dass es einen gewissen Rebound-Effekt geben wird … sicher nicht ganz auf dem Niveau wie vor Corona … wir werden sehen.

3. Veränderst du dich im Digitalen (z.B. im Video Call), und muss man Ziele anders „einspeisen“, um das selbe Ergebnis zu erhalten? Gibt es neue Regeln für die neue Meeting-Kultur?

Auf keinen Fall. Ich möchte mich, wenn, nur selbstbestimmt verändern; und verstellen kann man sich langfristig nicht — das fällt auf und wäre, nicht nur deshalb, aus meiner Sicht der falsche Weg.

Aber es haben sich online einige Justierungen ergeben, die allen ganz sinnvoll erscheinen. Wenn auch im WorkingFromHome-Umfeld, es bleibt ein Arbeitstreffen oder Geschäftstermin und ich zeige, kleide und verhalte mich entsprechend. Am Besprechungstisch kann mich mein Gegenüber jederzeit sehen und auch der Interaktion im Stream hilft das sehr. Also: Kamera an, nicht aus!

4. Ließe sich in deinem Bereich mit 8.000 Beschäftigten eine Zahl ausmachen, wie viele Führungskräfte wie viele „selbstständige“ Teams führen oder betreuen?

Wir haben aufgrund unserer globalen und integrierten Struktur grundsätzlich vier Führungsebenen — von der Geschäftsführung, über die Bereichs- und Abteilungsleitung, bis hin zur Teamleitung. Je nach Geschäftsprofil, variiert das sehr stark.

Bei Mohn Media, unserem größten Profitcenter, liegt der Anteil an FK unter 10 % bei etwa 1.700 Beschäftigten. In Summe sind es in allen Unternehmen der BPG aber sicherlich um die eintausend Personen, die Führungsverant-wortung tragen. Das geht dann vom Leiter der Schlosserei bis hin zum Geschäftsführer mehrerer Standorte in den USA.

5. Was hältst du von 100 % digital?

Wenn Digitalisierung das Leben erleichtert (das ist in sehr vielen Bereichen meines Alltags der Fall) oder die User Experience oder das Geschäftsmodell verbessert, switche ich gerne auf digital.

Aber in einigen Bereichen, beruflich wie privat, macht analog für mich persönlich mehr Sinn. Ich lese lieber ein Buch, als ein Device zu nutzen. Meinen Eltern würde ich wahrscheinlich keinen Brief mehr schreiben, dafür vereinfachen und beschleunigen Apps zu exponentiell. Und als Pfälzer muss ich hinzufügen. Riesling macht analog deutlich mehr Freude.

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