Kommunikation in Change-Prozessen

Sandra Toepsch
Leadership und Organisation
5 min readMar 4, 2021

Kommunikation ist ein nicht zu unterschätzendes und wichtiges Puzzle-Teil eines erfolgreichen Change-Prozesses. Die Gründe und die Ziele der gewünschten Veränderung müssen kommuniziert werden. Narrative und sprachliche Bilder werden genutzt, um den Elefanten in uns wirkungsvoll anzusprechen und die kommenden und bleibenden Anstrengungen der Veränderung mit positiven Emotionen zu verankern. Hierfür braucht es ein tieferes Verständnis von komplementärer Kommunikation in Gruppenkontexten. Welche Fallstricke und Lösungspfade sind in Form von Theorien und Modellen beschrieben, die wir kennen sollten? In diesem Blogbeitrag soll es um die wissenschaftliche Fundierung des Kommunikationsbegriffes für Change-Prozesse gehen. Unser Ziel ist es, ein Basiswissen für die kommunikativen Aspekte in Change-Prozessen bereitzustellen. Los geht’s!

Quelle: pexels.com

Wie schaffen wir Veränderung durch Kommunikation?

Menschliche Kommunikation ist “ein sozialer Prozess, in dessen Verlauf sich die Beteiligten zur Konstruktion von Wirklichkeit anregen.”¹ Zunächst kann Kommunikation strukturell in dialogische und in Massenkommunikation unterschieden werden. Die dialogische Kommunikation ist direkt und gegenseitig symmetrisch.² Massenkommunikation ist indirekt, asymmetrisch bzw. komplementär und durch ein technisches Verbreitungsmedium vermittelt, da sie sich an eine (Teil-)Öffentlichkeit wendet. Zwischen beiden Formen können die Grenzen fließend sein. Als Beispiel einer Mischform sei hier das Internet genannt, das Beiträge aus klassischen Massenmedien kommentierbar macht. Menschliche Kommunikation ist vermittelt, mediiert. Sie kommt nicht ohne ein Medium aus. Die Sprache ist ein Mittel zur Formung und Konstruktion von Wirklichkeit, also ein Medium.³

In der Theorie des kommunikativen Handelns unterscheidet Habermas zwischen der verständigungsorientierten Kommunikation und der strategische Kommunikation.⁴ Die verständigungsorientierte Kommunikation geht von einer idealtypischen Kommunikationssituation aus und meint: Eine Person, die verstanden werden und selbst verstehen will, muss die folgenden universalen Ansprüche erfüllen: Verständlichkeit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Richtigkeit. Besonders wichtig für uns ist hier der Punkt der Wahrheit: Die Person muss beachten, dass sie über etwas spricht, das auch vom Gegenüber als existierend angesehen wird — wenn sie verstanden werden möchte. Dinge, über die ich nicht spreche, existieren nicht in meinem Bewusstsein und damit nicht in meiner Wirklichkeit.

Die strategische Kommunikation zielt darauf ab, Einfluss auf die Einstellungen des Gegenübers zu nehmen. Eine solche strategische Kommunikation kann offen (z.B. durch Druck oder Machtausübung) oder verdeckt geschehen. Verdeckte strategische Kommunikationen mit dem Ziel, andere (gegen deren Willen) zu beeinflussen, bedient sich meist verschiedener Formen von Täuschung. Hier liegt ganz sicher ein Moment der Verantwortung bei uns, wie wir unsere Machtposition mit Führungsverantwortung nutzen, um Veränderungen in Unternehmen zu bewirken.

Die Kommunikationspsychologie liefert Modelle, wie sich Menschen in unterschiedlichen sozialen Systemen wechselseitig zu Konstruktionen von Wirklichkeit anregen.

Blumer prägte die Theorie des “Symbolischen Interaktionismus”.⁵ Sie basiert auf dem Grundgedanken, dass die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen im symbolisch vermittelten Prozess der Interaktion bzw. Kommunikation hervorgebracht wird. Die kommunikativ ausgehandelten Bedeutungen werden von den Menschen angewandt und geändert, indem sie die Bedeutungen aktiv interpretieren. Da Bedeutungen und Ihre Interpretation auch vom individuellen Vorwissen und Erfahrungsschatz abhängen, sei hier auch auf das Eisbergmodell nach Freud verwiesen.⁶ Somit werden über die soziale Verkettung menschlicher Handlungen bzw. die laufenden Interaktionen “soziale Regeln, soziale Netzwerke, Institutionen und Organisationen geschaffen”⁷.

In Change-Prozessen müssen wir also den zu schaffenden neuen Bedeutungen, die mit den Veränderungszielen verknüpft sind, besondere Aufmerksamkeit schenken. Wir können einerseits nicht davon ausgehen, dass uns alle Mitarbeiter:innen direkt verstehen. Andererseits lehrt der Symbolische Interaktionismus, dass es durch gezielte soziale Interaktion möglich ist, die entstehende Bedeutung zu formen. Das passiert, indem wir den Mitarbeiter:innen gezielt Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit den Gründen und Zielen des Change-Prozesses und den neuen Bedeutungen geben. Dies kann auch als wichtiger Beitrag des Durchlaufens bzw. Durchlebens der Veränderungskurve gesehen werden.

Störungen im Kommunikationsprozess vermeiden

Es kommt zu einer Störung im Kommunikationsprozess, wenn ein geteiltes Verständnis von Bedeutungen fehlt. Hier helfen “Encoding/Decoding”-Modelle, die die relevanten Weichen für störungsfreie Kommunikation in den Fokus zu nehmen. Das Sender-Empfänger-Modell von Shannon und Weaver beschreibt, dass eine Nachricht von einem Sender kodiert, über einen Kanal übertragen und vom Empfänger dekodiert wird.⁸ Fehler in der Kette können sowohl in der Kodierung als auch in der Dekodierung auftreten. Das Entscheidende an diesem Modell ist, dass Sender und Empfänger über den gleichen Code verfügen müssen, um zu kommunizieren und sich zu verstehen. Kommunikation findet nach diesem Modell statt, wenn es einen Informationsfluss gibt, auch in Form der Rückkopplung. Denkbare Kommunikationsprobleme in der Praxis sind hier beispielsweise unterschiedliche kulturelle Einflüsse bei Sender und Empfänger und einer divergierenden Interpretation des Codes. Oder auch Störquellen durch Aspekte der sozialen Informationsverarbeitung. Um die Mitarbeiter:innen möglichst störungsfrei zu erreichen, sollten wir zielgruppenadäquat kommunizieren.

Sender-Empfänger-Modell von Shannon und Weaver (1949), eigene Abb.

In der von Lewin entwickelten “Kanal-Theorie” ist die zentrale Variable der so genannte “Gatekeeper”.⁹ Gatekeeper sind Personen mit wirksamen Einfluss auf Gruppen und entscheiden über die Öffnung des Kommunikationskanals zur Gruppe. Man könnte auch in unserem Kontext fragen: “Wer führt die Elefantenherde an?” Die Leitkuh! Sie stellt sich bei Gefahr als Erste schützend vor ihre Herde, dann ist der Kanal dicht.

Diese Gatekeeper-Person zu kennen ist essentiell, da sie den Zugangskanal beherrscht und Einstellungen und Meinungen einer Gruppe verändern kann. Der soziale Kontext, in dem sich die Mitarbeiter:innen befinden, sollte daher genauestens analysiert und einbezogen werden, wenn wir unsere Veränderungsbotschaften planen und formulieren. Im sozialen Vergleich mit diesen Bezugspersonen oder Bezugsgruppen entscheiden die Mitarbeiter:innen individuell, ob und welche gesendeten Informationen sie als glaubhaft akzeptieren oder nicht.

Wir haben gesehen, dass Veränderungsbotschaften nicht unbedingt direkt als starke Wirkung auf Mitarbeiter:innen treffen. Selbst, wenn es unsere Nachricht störungsfrei zu Ihnen schaffen könnte, auf der Grundlage eines gemeinsamen Codes und geteilter Bedeutungen, kann es einen Gatekeeper geben, der unsere Kommunikation mangels Akzeptanz der Inhalte durchkreuzt.

Die Modelle und Theorien der Kommunikationspsychologie sind hier besonders hilfreich, weil sie Formen, Prozesse und Einflussfaktoren komplementärer Kommunikation in Gruppenkontexten untersuchen. Wenn wir Veränderungen in Unternehmen bewirken wollen, kann uns dieses kommunikative Grundlagenwissen bei der Planung und der Durchführung von Change-Prozessen unterstützen.

Quellen:

⁵⁷Blumer, Herbert (1969): Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.) (1973), Bd. 1. Bielefeld.

¹³Frindte, Wolfgang (2001): Einführung in die Kommunikationspsychologie, Weinheim: Beltz Verlag, S.17–29.

⁴Habermas, Jürgen (1982): Theorie des kommunikativen Handelns: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Band 1. Berlin: Suhrkamp.

⁹Lewin, Kurt (1963): Feldtheorie in den Sozialwissenschaften, Bern: Hans Huber Verlag, S.206–222.

⁶Ruch, Floyd L., Zimbardo, Philip G. (1975): Lehrbuch der Psychologie, Berlin et al.: Springer-Verlag.

⁸Shannon, Claude E., & Weaver, Warren (1949): The mathematical Theory of Communication, Urbana: University of Illinois Press.

²Watzlawick, Paul, Beavin, John H., Jackson, Don D. (1969): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, Bern: Hans Huber Verlag.

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