Verantwortungseigentum — wem gehört das Unternehmen?
Auf unserer Lernreise haben wir uns mit möglichen Rechtsformen für die Unternehmen der Wellbeing-Economy beschäftigt. Dabei gilt unser besonderes Augenmerk dem Verantwortungseigentum.
Was haben Unternehmer*innen, die neue Wege gehen wollen und der Meinung sind, dass es bei Weitem nicht genügt, wenn Firmen Gewinne maximieren und ihren Eigentümer*innen dienen, für Möglichkeiten? Sie wollen einen tieferen Sinn und Zweck verfolgen — einen „Purpose“ — langfristig auch über ihre Zeit in dem Unternehmen hinaus. Dann ist Verantwortungseigentum eine Alternative zu herkömmlichen Eigentümerstrukturen (Tönnesman, 2019).
Was bedeutet Verantwortungseigentum [engl.: Purpose-Ownership]?
Ein Unternehmen in Verantwortungseigentum gehört ausschließlich sich selbst. Diese “Purpose-Unternehmen” können nicht zum Spekulationsobjekten werden. Ein Verkauf des Unternehmens an Externe ist dauerhaft ausgeschlossen. Auch verpflichten sich Purpose-Unternehmen, den größten Teil ihrer Gewinne zu reinvestieren. Somit ist sichergestellt, dass der Fokus auf dem „Purpose” des Unternehmens liegt (Neue Narrative, 2020). Das Vermögen ist an das Unternehmen gebunden (Purpose-Economy, 2021).
Unternehmen in Verantwortungseigentum verpflichten sich zu zwei Prinzipien:
(1) Selbstbestimmung — das Steuerrad des Unternehmens, die Stimmrechte, liegt bei aktiven Unternehmer*innen;
(2) Vermögensbindung — die Gewinne sind Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck.
(Purpose-Economy, 2021)
„Mir gehört nichts von Bosch. Die Firma gehört in weiten Teilen einer gemeinnützigen Stiftung. Dennoch fühle ich mich in der vollen Verantwortung für das Unternehmen.“ Franz Fehrenbach, Aufsichtsratsvorsitzender von Bosch
(Brors, 2019)
Kritiker sind der Ansicht, dass das Prinzip Verantwortungseigentum nicht funktionieren wird und nur eine romantische Idee ist. Es fehlen Anreize und Motivation für Unternehmer*innen. Die Eigentümer haben bspw. nicht das Recht, sich die Gewinne auszuschütten und können das Unternehmen nicht verkaufen. Vergleiche zum Sozialismus werden gezogen. Das Beispiel Bosch allerdings zeigt, dass Erfolg langfristig möglich ist (Sierck & Steuernagel, 2020).
Insgesamt sind die Rahmenbedingungen noch schwierig und ein Umstellungsprozess langwierig und teuer. Alle Details müssen mit den jeweils zuständigen Behörden einzeln verhandelt werden, es gibt erst “individuelle Muster“. Unternehmen können sich von der Purpose Stiftung Unterstützung holen. Sie hilft Unternehmen, sich selbst zu gehören, ohne eine eigene Stiftung gründen zu müssen (Purpose-Economy, 2021). Durch den Anteil von maximal einem Prozent, den die Purpose Stiftung treuhänderisch hält, kann die Stiftung ein Veto einlegen, wenn Versuche unternommen werden, das Unternehmen zu einem Spekulationsobjekt zu machen (Der Waschbär, 2017).
“Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass es eine Chancengleichheit von Verantwortungseigentum und anderen Modellen gibt. Aktuell ist es finanziell, zeitlich und bürokratisch noch ein Nachteil. Erst eine Rechtsform kann hier zu fairem Wettbewerb führen.” Maike Kauffmann, Research & Think Tank, Stiftung Verantwortungseigentum
Im deutschen Gesellschaftsrecht gibt es aktuell keine Rechtsform, die es Unternehmen erlaubt, Verantwortungseigentum unkompliziert umzusetzen (Stiftung Verantwortungseigentum, 2020). Zwar gibt es bereits gemeinnützige Rechtsformen, die von zahlreichen Unternehmen auch in Anspruch genommen werden, etwa die gGmbH, Stiftungskonstruktionen oder Genossenschaftsmodelle. Doch sind diese entweder bürokratisch und kostspielig oder nicht kompatibel zu den neuen Organisationsstrukturen der Firmen.
Die Rechtsform der GmbH wurde 1892 eingeführt, die aktuellen Rechtsformen in Deutschland kommen alle noch aus der Kaiserzeit (AG, Kommanditgesellschaft und GmbH). Deutschland hat sich im Vergleich zu anderen EU Mitgliedstaaten wie Frankreich oder Italien lange zurückgehalten, neue Rechtsformen für Unternehmen zu schaffen (Böhm, Steuernagel, Wagner, 2021). Während in anderen Ländern innovative und sozialgebundene Eigentumsformen entstanden sind, beschränkt sich die Neuerung in Deutschland auf die Unternehmer Gesellschaft (UG).
Eine Initiative rund um die Stiftung Verantwortungseigentum fordert eine neue Rechtsform, die GmbH für Purpose Unternehmen in Verantwortungseigentum — „VE-GmbH“ (Meyer, 2020). Im Oktober 2020 übergaben knapp 600 Unterzeichner*innen Vorschläge für Gesetzesänderungen an Vertreter*innen der Politik. Das zuständige BMJV fragt sich, ob eine Anpassung der geltenden Gesetze überhaupt notwendig sei. „Das bestehende Gesellschaftsrecht enthält vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten“, erklärt eine Sprecherin. Diese hätte Gründer*innen mit entsprechenden Ideen bislang nicht daran gehindert, diese Rechtsformen zu wählen.
“Die Rechtsform ist so wichtig, weil es einen riesigen Bedarf gibt. Eine große Menge an Mittelständlern und Familienunternehmen haben Schwierigkeiten bei der Nachfolgefrage und suchen Alternativen. Genauso sehen wir einen Bedarf bei werteorientierten Start-Ups. Zudem kann Verantwortungseigentum eine dezentral organisierte, soziale Marktwirtschaft stärken, da es dafür sorgt, dass Unternehmen selbstbestimmt bleiben.” Dr. Christoph Bietz, Leiter Kommunikation & PR, Stiftung Verantwortungseigentum
Die Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, soziale Innovationen zum Wohle des gesellschaftlichen Miteinanders zu fördern. Dazu gehörte auch die Schaffung von Rahmenbedingungen für die neben einer finanziellen Rendite auch direkte ökologische und soziale Wirkungen mitgedacht werden sollen (Die Bundesregierung, 2016). Das ist auch ein Beitrag, um den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN näher zu kommen. Bei der Skepsis des BMJV ist es allerdings fraglich, ob die aktuelle Bundesregierung noch neue Rahmenbedingungen schaffen wird (Meyer, 2020).
Quellen:
Böhm, B., Steuernagel, A., Wagner, T., (2021) Unternehmenseigentum im 21. Jahrhundert — Warum es eine neue Rechtsform für Unternehmen braucht Arbeitsgemeinschaft Unternehmen in Verantwortungseigentum. Policy Brief. https://docplayer.org/114381982-Unternehmenseigentum-im-21-jahrhundert-warum-es-eine-neue-rechtsform-fuer-unternehmen-braucht.html [abgerufen am 19.03.2021]
Brors, P., (2019) Purpose-Stiftung — Diese vier Unternehmer wollen das Verantwortungseigentum fördern Handelsblatt-Online. Handelsblatt GmbH. Düsseldorf https://amp2.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/purpose-stiftung-diese-vier-unternehmer-wollen-das-verantwortungseigentum-foerdern/25253058.html [abgerufen am 19.03.2021]
Der Waschbär, (2017) Purpose Unternehmen — was ist das? Waschbär-Magazin. Waschbär GmbH. Freiburg https://www.waschbaer.de/magazin/purpose-unternehmen-was-ist-das/ [abgerufen am 19.03.2021]
Die Bundesregierung, (2016) Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie Berlin (S. 41) https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975292/730844/3d30c6c2875a9a08d364620ab7916af6/deutsche-nachhaltigkeitsstrategie-neuauflage-2016-download-bpa-data.pdf
Meyer, L., (2020) Diese Unternehmens-Idee soll die soziale Marktwirtschaft retten Welt-Online. Axel Springer SE. Berlin https://www.welt.de/wirtschaft/article217303626/Verantwortungseigentum-Initiative-will-neue-Rechtsform-fuer-Firmen.html [abgerufen am 19.03.2021]
Neue Narrative, (2020) Für eine egofreie Wirtschaft Neue Narrative. 08#. NN Publishing GmbH. Berlin (S. 123)
Purpose-Economy, (2021) Verantwortungseigentum Purpose Ventures e.G. Hamburg https://purpose-economy.org/de/who-we-are/ [abgerufen am 19.03.2021]
Sierck, J., Hetzer, M., (2020) Purpose Unternehmen: Eine Zukunftsfähige Art zu Wirtschaften mit Michael Hetzer Podcast: Gespräche von Morgen #030. München https://gespraechevonmorgen.podigee.io/30-030-purpose-unternehmen-eine-zukunftsfahige-form-zu-wirtschaften-mit-michael-hetzer [abgerufen am 19.03.2021]
Sierck, J., Steuernagel, A., (2020) Die Purpose-Bewegung: Eine gesunde Wirtschaft durch Verantwortungseigentum mit Armin Steuernagel Podcast: Gespräche von Morgen #035. München https://gespraechevonmorgen.podigee.io/30-030-purpose-unternehmen-eine-zukunftsfahige-form-zu-wirtschaften-mit-michael-hetzer [abgerufen am 19.03.2021]
Stiftung Verantwortungseigentum (2020) Verantwortungseigentum, Stiftung Verantwortungseigentum e.V. Berlin https://stiftung-verantwortungseigentum.de/verantwortungseigentum [abgerufen am 19.03.2021]
Tönnesman, J., (2019) Unternehmenseigentum — Biete Firma, suche Sinn Zeit-Online GmbH. Hamburg https://www.zeit.de/zeit-fuer-unternehmer/2019/04/unternehmenseigentum-eigentumsfrage-mitarbeiter-beteiligung [abgerufen am 19.03.2021]
