Wie tickt der Elefant? — Teil 1

Warum haben Menschen Angst vor Veränderung? Wie können wir so kommunizieren, dass diese Ängste abgebaut werden oder gar nicht erst entstehen?
Wie reagieren wir auf Unsicherheit? Wie befähige ich Mitarbeiter:Innen, in einer Zeit des “ständigen Wandels” immer wieder ihre Komfortzone zu verlassen?

Eva-Maria Weiss
Leadership und Organisation
3 min readFeb 25, 2021

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Um Antworten auf diese Fragen zu finden, möchte ich den “Elefanten” a.k.a. das emotionale Unterbewusste, das unsere Entscheidungen zum größten Teil beeinflusst, besser verstehen lernen.

Abbildung: Wie tickt der Elefant? (Quelle: Michael Davis / Unsplash)

Teil 1: “Feelings First”

Baba Shiv ist Professor für Marketing an der Stanford Graduate School of Business und Experte auf dem Gebiet der Neuroökonomie. Er erforscht unter anderem, welche Rolle die mit Emotionen und Motivation zusammenhängenden neuronalen Strukturen bei der Gestaltung von Entscheidungen und Erfahrungen spielen.

Aus Sicht der Neurowissenschaftlers ist die Sache klar: Grundlegende Voraussetzung für gelungene Kommunikation sieht Shiv in der Ansprache des “emotionalen Gehirns”:

“Something like 90 to 95% of our decisions and behaviors are constantly being shaped non-consciously by the emotional brain system.”¹

Das “emotionale Gehirn” (da ist er, unser “Elefant”) beeinflusst also beinahe alle unsere Entscheidungen und unser Verhalten, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Um zu wissen, wie wir das “emotionale Gehirn” erfolgreich ansprechen und Offenheit für Veränderung schaffen können, müssen wir herausfinden, was “es” will. Eine erfolgreiche Kommunikation setzt eine gute Kenntniss der Adressaten voraus.

Shiv unterscheidet zwischen zwei emotionalen mindsets, zu deutsch Denkweisen oder Einstellungen. Er verwendet die Bezeichnungen “type 1” und “type 2 “, die er aus der mathematischen Statistik entlehnt.
“Type 1” beschreibt eine risikoaverse Einstellung, bei der Fehler sehr negativ beurteilt und daher nach Möglichkeit vermieden werden. In der Denkweise des risikoaffinen “type 2” ist dagegen die Angst vorherreschend, eine Chance zu verpassen, daher werden Fehler als notwendiger Teil des Innovationsprozesses akzeptiert wenn nicht sogar begrüßt.

Um für neue Ideen und Veränderungen offen zu sein, sollten sich die Angesprochenen idealerweise im “type 2”-Mindset befinden. Shiv führt einige Beispiele an, welche Faktoren die Ansprache des “type 2”-Mindsets begünstigen:

Morgens sind wir offener für neue Ideen als nachmittags oder abends. Gut ausgeschlafen erwachen wir mit einem hohen Level an Serotonin. Dieses Hormon wirkt auf unser Zentrales Nervensystem und beeinflusst unsere Stimmung: Es dämpft Angst und Aggressionsgefühle, macht uns gelassener, ausgeglichener und damit auch aufgeschlossener. Dieser Zustand entspricht dem “type 2”-Denken.
Im Laufe des Tages sinkt das Serotonin-Level und wir befinden uns mit höherer Wahrscheinlichkeit in einem “type 1”-Mindset. Die Kommunikation sollte sich entsprechend verändern: Möchten wir nun jemanden von etwas überzeugen, sollten wir versuchen, ihm oder ihr ein Wohlgefühl zu vermitteln. Das erreichen wir, indem wir z.B. auf Vertrautem aufbauen, loben, Bestätigung geben und — ein wunderbares Mittel gegen Stress —unser Gegenüber zum Lachen bringen.

Das Gehirn hat’s gern bequem.
Stress ist tödlich für ein “type 2”-Mindset. Befinden wir uns in einer Stresssituation, sind wir wesentlich risikoscheuer und agieren aus einer Angst heraus. Je wohler wir uns fühlen, desto offener sind wir für Neues und desto eher akzeptieren wir Veränderungen. Folgende Dinge entspannen das Gehirn und bringen es in einen “type 2”-Zustand (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Schlaf
- Lachen (auch künstliches Lachen funktioniert)
- das Vertraute, Bekannte, Beständige
- Lob und Anerkennung
- tiefes Ein- und Ausatmen
- Meditation
- Joggen

Wer andere von etwas überzeugen möchte ist gut beraten, sich auch selbst in einen Zustand der Entspanntheit und des Wohlfühlens zu versetzen. Sind wir gestresst, beeinflusst das den “Frame”: die Brille, durch die wir die Situation und unser Publikum betrachten. Unsere Körpersprache und Ausstrahlung wird widerspiegeln, wenn wir uns unsicher sind und unsere Kommunikationsbemühungen negativ beeinflussen. Wenn wir Change-Prozesse kommunizieren, sollten wir uns also auch mit uns selbst auseinandersetzen: Glauben wir selbst an das, was wir sagen? Sind wir authentisch? Vermitteln wir ehrliche Begeisterung und Optimismus?

Die Reduzierung von Stress ist ein wesentlicher Faktor der Kommunikation von Change-Prozessen. Es lohnt sich der Blick ins Gehirn, um das Gegenüber in seiner gegenwärtigen Denkweise zu verstehen, abzuholen und anzusprechen.

Quellen:
¹Abrahams, Matt; Shiv, Baba (2020): Feelings First: How Emotion Shapes Our Communication, Decisions, and Experiences, in: Standford Graduate School of Business, URL: https://www.gsb.stanford.edu/insights/feelings-first-how-emotion-shapes-communication-decisions-experiences?pid=, erschienen am 20.11.2020, Abruf am 19.02.2021.

Wikipedia (2020): Fehler 1. und 2. Art, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Fehler_1._und_2._Art, zuletzt bearbeitet am 13.12.2020, Abruf am 19.02.2021.

Wikipedia (2020): Serotonin, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Serotonin#Zentralnervensystem zuletzt bearbeitet am 22.12.2020, Abruf am 19.02.2021.

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