Woran scheitert neues Unternehmertum? — Interview mit folkdays Gründerin und Aktivistin Lisa Jaspers

Franziska Winterling
Leadership und Organisation
5 min readMar 24, 2021
Abbildung 1: Lisa Jaspers im Interview (Quelle: Eigene Darstellung)

Bevor Modelle wie eine Wellbeing Economy skaliert und in den Mainstream gebracht werden können, braucht es radikalere Impulsgeber*innen, die Grenzen testen und neu definieren. Wenn es um neues, inklusives, nachhaltiges und faires Arbeiten geht, ist Lisa Jaspers eine dieser Impulsgeberinnen. Sie ist Gründerin des Fair Fashion Labels folkdays, Aktivistin und Co-Autorin von “Starting a Revolution: Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können”. Wir haben mit ihr über das Arbeiten als Systempreneur gesprochen, neue Unternehmensmodelle und woran ihrer Meinung nach so viele neue, “radikale” Unternehmensmodelle scheitern.

Stell dich doch einmal kurz vor — wer bist du und was machst du?

Ich bin Lisa Jaspers und habe vor sieben Jahren folkdays gegründet, ein Fair Fashion Design Label in Berlin. Wir arbeiten mit Kunsthandwerker*innen im globalen Süden zusammen und produzieren mit ihnen wunderschöne Produkte, die wir vor allem online, aber auch in einem kleinen Laden in Berlin verkaufen.

Außerdem bin ich Aktivistin. Ich habe vor drei Jahren eine Petition unter dem #fairbylaw, mit der ich die Bundesregierung dazu auffordere ein Lieferkettengesetz zu verabschieden, dass Unternehmen dafür verantwortlich macht, was in den eigenen Lieferketten im globalen Süden passiert. Fast 200.000 Menschen haben die Petition unterschrieben und wir haben diese auch abgegeben. In diesem Rahmen versuche ich öffentlichkeitswirksam auch den politischen Prozess zu pushen. Ein Lieferkettengesetz wird jetzt auch kommen, wofür wir natürlich nicht alleine verantwortlich sind, aber in Bezug darauf, eine Öffentlichkeit zu kreieren, waren wir auf jeden Fall wichtige Player.

Zusätzlich habe ich vor anderthalb Jahren ein Buch mit meiner Freundin Naomi Ryland herausgebracht, “Starting a Revolution. What we can learn from female entrepreneurs about the future of business.” Unser Ziel war damit ein hands-on Business Buch zu schreiben, das Unternehmer*innen dabei helfen kann, wenn sie vorhaben Dinge anders zu machen und die Art wie Privatwirtschaft funktioniert ganz anders zu denken und menschenzentrierte Unternehmen aufzubauen, in denen nicht nur wir, sondern auch alle Menschen, die mit uns arbeiten, sich entfalten können.

Du sprichst davon, dass die Idee des Entrepreneurships eigentlich ausgedient hat und Unternehmer*innen sich vielmehr als Systempreneure betrachten sollten. Was genau meinst du damit?

Ich hatte lange das Problem, dass die Art wie ich arbeite, besonders bei Männern in meinem Umfeld immer Irritationen hervorgerufen hat. Ich bin immer schon jemand gewesen, der sich sehr stark mit Leuten auseinandersetzt, deren Themen ich spannend finde, auch wenn sie erstmal strategisch nichts mit mir und meiner Arbeit zu tun haben. Darüber entstehen natürlich immer wieder neue Ideen und da hatte ich oft das Gefühl: “Was stimmt mit mir nicht, dass ich mich nicht einfach nur auf eine Sache konzentrieren kann?” Irgendwann habe ich aber erkannt, was für eine Stärke darin liegt, Themen und auch Unternehmen viel mehr in Netzwerken zu denken.

Als ich dann zum ersten Mal von Systempreneurship gelesen habe, hat mir das total die Augen geöffnet. Das war genau das, wie ich Unternehmertum machen möchte und sehe. Die Grundidee ist dabei, nicht nur vom Purpose des eigenen Unternehmens auszugehen, sondern von einem Cause, den man mit voranbringen will und in welchem System und mit welchen Akteuren das möglich ist. Mein Aktivismus ist da ein Beispiel, wie ich selbst versuche zum Thema nachhaltigen Konsum Unternehmen, Politik und NGOs stärker zu vernetzen, sodass alle voneinander lernen und sich gegenseitig befruchten können.

Wie wichtig denkst du ist es, solche neuen Formen von Unternehmertum auch politisch und rechtlich abbilden zu können?

Idealerweise sollte es das natürlich schon so ein. Ich arbeite gerade mit einer Gruppe von Frauen an der Frage, wie man in Netzwerken gründen kann, da spielt dieses Thema natürlich auch eine wichtige Rolle. Es gibt ein paar wenige Optionen, die man hat. Für uns war das beispielsweise, lange eine GbR zu bleiben, da wir in dieser Form große Flexibilität hatten und viel selbst machen konnten. Genossenschaften sehe ich aber auch als spannendes Konzept, gerade im Netzwerkgedanke. Das anzumelden und umzusetzen ist allerdings auch ziemlich kompliziert und bürokratisch.

Wie siehst du Systempreneure in Leadership Rolle? Braucht es in diesem System typische Führungspersönlichkeiten?

Ich glaube nicht. Ich denke, was gut ist — aber nicht notwendig, denn das kann man sich auch reinholen — sind gute Social Skills. Ich selbst sehe mich zum Beispiel eher als Gastgeberin bei folkdays, die die richtigen Menschen zusammenbringt. Ich kann auch eine klassische Leadership Rolle einnehmen, aber ich glaube nicht, dass das nötig ist und auch nicht, dass das Unternehmen nur dann Erfolg haben kann, wenn ich mich in einer exponierten Rolle befinde. Ein gutes Gespür für Menschen zu haben, macht aber sicher viel Sinn, denn darauf kommt es ja auch an, wenn wir in Netzwerken arbeiten. Viel wichtiger ist denke ich, sich als Gründer*in bewusst zu machen, welche Rolle man einnehmen will und wie man sich wohlfühlt, ohne sich verbiegen zu müssen.

Wo siehst du hier schon Beispiele, die funktionieren? Gibt es Vorbilder?

Ich glaube es gibt bisher super wenige, die Unternehmertum wirklich anders denken und als Netzwerk arbeiten. Um das machen zu können, braucht man einen extrem hohen Grad an Vertrauen und innerer Stabilität. Wenn man das bei sich selbst nicht hat, kann man auch nicht in einem so fluiden Modell arbeiten.

Wenn ich von Unternehmen höre, die radikale Ansätze fahren, stelle ich beim genaueren Blick oft fest, dass die Kultur gar nicht so anders ist. Das liegt meist daran, dass die Gründer*innen oder die Personen, die das etablieren, nicht an sich arbeiten, in Bezug auf ihre eigene Reise und Entwicklung. Am Ende sind das dann trotzdem Menschen, die micro-managen oder nur ihre eigenen Ideen umsetzen wollen.

Sie vertrauen also nicht wirklich in andere Menschen und geben Verantwortung ab. Das ist auch der Grund warum so viele dieser Modelle nicht funktionieren: du kannst das nicht halb machen. Du musst es erst schaffen, dich als Mensch weiterzuentwickeln, dann eine Umgebung schaffen, in der du das zusammen mit deinen Mitarbeitenden machen kannst. Und dann kannst du alles loslassen. Dann ist es egal, was du für eine Struktur hast. Das ist aber die nötige Vorarbeit und gerade bei männlichen Gründern sehe ich, dass sie dafür nicht das Bewusstsein haben und so keine andere Arbeitskultur entsteht.

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