Interview mit Mareike Hachemer zur Initiative “Global Goals machen Schule”

Lehrerkolleg
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6 min readMay 30, 2017

Mareike Hachemer, Finalistin des Weltlehrerpreis 2015 und UNESCO-Delegierte für die Rolle von Bildung für Frieden und nachhaltige Entwicklung startet mit lehrermarktplatz.de die InitiativeGlobal Goals machen Schule.

Warum bist du eigentlich Lehrerin geworden?

Die ideale Antwort: Weil ich Kindern helfen wollte. Die ehrliche: Ich kam aus einer Region, in der Berufe für Akademiker vollkommen unsichtbar waren und wir eigentlich nur Lehrer als Rollenvorbilder kannten, vor allem diejenigen von uns — und davon gab es viele — die als erste Generation das Abitur machten und auf die Uni gingen. Unsere Berufsberater sagten damals: “Sie möchten Journalistin werden? Studieren Sie erst mal Lehramt.” “Sie interessieren sich für Arbeit im Museum? Studieren Sie erstmal Lehramt.” Ich war damals auch selbst noch stark geprägt von der Vorstellung, Lehrer sei kein besonders kreativer oder erstrebenswerter Beruf. Man hörte damals Sprüche wie “Lehrer haben morgens recht und mittags frei!” und Schröders “Lehrer sind faule Säcke!” Obwohl ich auch gute Lehrer hatte, konnte ich den vollen Wert ihres Einsatzes für uns Schüler und für die Gesellschaft gar nicht erkennen. Ich wollte künstlerisch arbeiten, oder journalistisch, wollte einen Beruf, in dem man auch als Spezialist Anerkennung findet und bin dann trotzdem Lehrerin geworden. Ich habe mein Lehrerbild mittlerweile stark überholt und finde, dass wir das alle tun sollten. Es ist ein Beruf, der großen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklung hat. Der Mikrokosmos Schule ist ein Abbild der Gesellschaft und kann auch eine Grundlage für neue Gesellschaftsentwicklungen bilden.

Du warst 2015 Finalistin des Weltlehrerpreises. Wie ist es eigentlich dazu gekommen?

Ich habe mich immer schon — im Studium, im Referendariat, in den ersten Berufsjahren — gefragt, was denn so richtig gute Pädagogik ist. Und ich habe überall danach gesucht: In verschiedensten Schulformen und als Unidozentin, in Deutschland, England und Neuseeland, bei theaterpädagogischen Ferienspielen, in Resozialisierungsmaßnahmen für jugendliche Gewalttäter, in Seminaren und auf Konferenzen, beim Experimentieren mit eigenen Unterrichtsreihen… Ich war und bin ständig auf der Suche. Dann habe ich eine Unterrichtsreihe vorbereitet, in der es darum ging, nicht nur etwas zu lernen, sondern auch etwas zu bewegen, die eigene Welt ein Stück weit zu verändern und zu bemerken, dass das eigene Handeln wirksam ist. Das war für mich ein Aha-Erlebnis. Und beim Europarat in Straßburg wurde mir klar, welch großen Einfluss wir Lehrer haben: Wir arbeiten mit tausenden Schülern, prägen ihre wichtigsten Lebensjahre: 7000 Stunden sind Jugendliche in der Schule. Und unsere Schüler von heute prägen im Laufe ihres Lebens tausende weitere Menschen. Das ist enorm. Es ist wirklich absolut wichtig, dass wir sie darauf vorbereiten, aktiv zu handeln.

Irgendwann habe ich dann auch angefangen selbst über Pädagogik zu schreiben, Referendare und Lehramtsstudenten zu begleiten, mit Kollegen in den Austausch zu treten und ich hörte vom Weltlehrerpreis. Ich fand die Idee skurril, einen besten Lehrer zu küren. Und mir fielen sofort mehrere Lehrer ein, auf die die Kriterien passten. Also habe ich vier Lehrer nominiert, die mich enorm geprägt haben und wurde auch selbst nominiert. Als die Nachricht kam, ich sei unter den 50 Finalisten, dachte ich es sei vielleicht ein Betrugsversuch. Wer gibt schon einem Lehrer eine Millionen Dollar? Wo gibt es eine solch hohe Anerkennung für einen Beruf, den doch die meisten — übrigens auch die meisten Lehrer — für ganz selbstverständlich halten.

Du bist ja außerdem seit 2017 UNESCO-Botschafterin? Wie kam es dazu?

Auf meiner Suche nach der Pädagogik, die sich für Schüler und Lehrer richtig anfühlt, bin ich 2015 über The World’s Largest Lesson gestolpert, eine Initiative, die darauf abzielt, dass alle Schüler auf der Welt erfahren, was die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen sind. Im Englischen nennt man sie die Global Goals, das finde ich sehr griffig. Sie definieren Ziele für 2030: unter anderem Hunger und Armut bekämpfen, gute Bildung für alle ermöglichen, Chancengleichheit herstellen, den Klimawandeln in den Griff bekommen und Frieden herstellen. Alle 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen haben sich auf diese Ziele verständigt, alle haben unterschrieben. Trotzdem kennen noch nicht alle Menschen die Global Goals. Sie sind überwiegend in Politikerkreisen bekannt und sickern erst nach und nach auch zur Bevölkerung durch. Dabei sollte sie jeder kennen. Durch die Beispiele meiner Lehrerkollegen auf der ganzen Welt, kann ich sehen, wie wirkungsstark es ist, wenn Schüler und Lehrer gemeinsam an Problemen arbeiten. Eine Kollegin in Indien, erwirtschaftet mit ihren Schülern Schulgelder für Kinder, die sonst durch Kinderarbeit geschunden und von Bildung ferngehalten würden. Ein Kollege in den USA pflanzt Nahrungsmittel in der Süd-Bronx, einem der ärmsten und mangelernährtesten Gebiete des Landes. Eine Kollegin in Kanada arbeitet an der mentalen Gesundheit ihrer Schüler — viele sind von Depressionen betroffen — und rettet ihnen teilweise im wahrsten Sinne des Wortes das Leben, ein Kollege in Paraguay hat mit seinen Schülern die erste Kompostieranlage des Landes konzipiert und realisiert und verschönert damit nicht nur das Stadtbild sondern beschützt auch große Teile des Regenwalds vor Abrodung um an fruchtbare Böden zu kommen. Die Schüler sind voller Einsatz, bringen ihre Stärken ein, erleben sich als leistungsfähig, wollen mehr lernen, um noch mehr bewirken zu können! Das hat mich unheimlich berührt! Wenn wir alle so arbeiten würden, alle 60 Millionen Lehrer und 1.2 Milliarden Schüler — dann erreichen wir diese wunderbare, utopische, nachhaltige Welt ohne Hunger, Armut und Krieg! Es ist machbar. Wir müssen es nur machen! Und es wäre naiv, es nicht zu tun. Diesen Gedanken hab ich in einen TED talk gepackt und im letzten Jahr in Heidelberg präsentiert. Er hat mich nach und nach zu immer mehr Menschen gebracht, die diese Idee und diese Vision von Pädagogik unterstützen und so wurde ich auch UNESCO-Delegierte für die Rolle von Bildung für Frieden und Nachhaltige Entwicklung und arbeite seither mit verschiedenen Institutionen zusammen, die die 17 Ziele, die Global Goals, unterstützen.

Wie baust du deinen eigenen Unterricht um die Global Goals herum auf? Hast du ein konkretes Beispiel für uns?

Erster Schritt ist für mich immer die Schüler mit den Global Goals bekannt zu machen. Meistens frage ich, was die Schüler problematisch finden, in unserer Welt. Dann lasse ich sie aus ihren Antworten eigene Ziele für die Welt festlegen. Ich stelle ihnen die Global Goals vor, lasse vergleichen und diskutieren, ob sie denn vollständig sind. Je nach Fach (ich unterrichte ja Deutsch, Englisch und Theater) kann man sich auch sehr gut künstlerisch annähern: die Global Goals in kurze Gedichte umwandeln, passende Bilder aussuchen, eine kurze Szene spielen, die eines der Goals verdeutlicht. Aber dann geht es auch schnell darum, die Unterrichtsinhalte mit Taten zu verbinden. Im Englischunterricht haben wir kürzlich über Möglichkeiten für friedliche Proteste gesprochen. Wir haben recherchiert, Artikel verfasst und diese dann mit Schülern aus den USA zusammen überarbeitet. Gerade durch internationale Kontakte über Email oder Skype entstehen echte Verbindungen und ein echter Austausch. Die amerikanischen Schüler befanden sich tatsächlich gerade in einer Situation, in der sie nach Möglichkeiten für wirksamen, gewaltlosen Protest suchten und ich glaube, dass der Austausch mit unseren Schülern sie auf Ideen gebracht hat. In meiner besten aller vorstellbaren Welten hätte ich gerne mehr Zeit und Freiheit, auch mit Kollegen fächerübergreifend Projekte zu realisieren — und bessere technische Gegebenheiten an Schulen. Oft wünsche ich mir, wir hätten nicht immer die nächste Klausur im Nacken sitzen, sondern könnten leichter auch aufwändigere Projekte umsetzen. Heute habe ich zum Beispiel mit Schülern darüber gesprochen, dass insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent noch viele Menschen von Informationen aus dem Internet abgeschnitten sind, teils aufgrund von technischen Problemen, teils aufgrund von veralteten Rollenbildern, die insbesondere Frauen von der Computernutzung fern halten. Meine Schüler hatten tollen Ideen, wie man gegensteuern könnte und ich wünschte wir hätten jetzt die Zeit, diese Ideen auch mit südafrikanischen Schülern zu diskutieren und in die Tat umzusetzen.

Eine Schule, die sich noch nicht traut, die Global Goals flächendeckend in den Unterricht zu integrieren, hat aber auch noch viele andere Möglichkeiten: Man kann eine Projektwoche den Global Goals widmen oder ein Schulfest. Die 17 Ziele sind ein gemeinsamer Plan für unseren gemeinsamen Planeten. Das mindeste was wir tun können, ist dafür zu sorgen, dass jeder diesen Plan kennt!

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