Maria

Andrea Visotschnig
Liebes Kreta
Published in
8 min readSep 9, 2016

Maria ist 16 Jahre alt und geht ins Gymnasium in der Ettenreichgasse. Das hat aber keinen guten Ruf. “Keine Ahnung warum. Vielleicht weil so viele Ausländer dort zur Schule gehen?” Maria hat in ihrer Klasse nur eine einzige “Österreicherin”. Sie würde aber nicht die Schule wechseln, nur weil jemand sagt, das das eine schlechte Schule sei. Sie tut sich leicht in der Schule. “Vielleicht lerne ich ein bisschen mehr, als ich müsste, aber ich hab Glück mit meinem Gedächtnis.” Und sie versteht sich gut mit den LehrerInnen. Ihr Physiklehrer heißt Thor wie aus dem Film. Aber er sieht nicht so aus, sonst wäre Physik interessant.

Eile in der Kreta.

Seit 10 Jahren lebt Maria in der Kreta. An die Zeit vorher kann sie sich nicht erinnern. Ausgeblendet. Sie ist aber hier geboren. Ihre Eltern kamen aufgrund des Jugoslawienkriegs her. Es ist schön, dass sie hergekommen sind — nur die Umstände sind halt schrecklich. Krieg ist sowieso abscheulich. Was der Mensch so anrichtet. Der ist sowieso das widerlichste Tier, das es gibt. Andererseits ist es ein Luxus, in dem wir leben — dass wir freie Entscheidungen treffen können und uns zum Beispiel über so etwas, wie VegetarierIn zu sein, Gedanken machen können.

“Ich wusste gar nicht, dass ich in der Kreta lebe. Bin in der Kreta schlecht integriert.”

Erst letztens hat ihr Bruder die Sache mit der Kreta erklärt. Ihre Eltern wussten das aber schon. Könnte sie sich eine Sache für die Kreta wünschen, wäre es ein Extrabus. “Der 6er — oh mein Gott — der ist ja immer voll.” Und die SeniorInnen laufen nach dem Aussteigen dann immer bei rot über die Straße. Wohin haben es die denn so eilig? Wie Marias Oma, die um 10 vor 6 Uhr in der Früh ihren Tee von einer Tasse in die andere leert, so dass er schneller auskühlt. Warum muss es so schnell gehen?

(Journalistische) Erfahrungen.

Journalistin will Maria später werden. Der Verdienst ist da aber immer ein Problem. Daher würde sie daneben auch noch Musik unterrichten oder etwas Anderes machen, das Geld einbringt. Aber jedenfalls mal schreiben. Im Kinderkurier und im Biber gab es schon mal Artikel von ihr — zu Theaterstücken, Ausstellungen, Stylingthemen, usw. Über den Redewettbewerb “sag’s multi!” ist sie dazugekommen. Auf Serbisch und Deutsch sprach sie über Teamwork und wie man gemeinsam mehr bewegen kann. Sie kam dann eine Runde weiter und bekam einen Paten von Konnex — ein Programm für junge Menschen mit Migrationshintergrund — zugewiesen, einen lustigen Typ mit langen Haaren. Er arbeitete beim Kurier und unterstützte sie bei ihren journalistischen Bestrebungen im Kinderkurier. In den Biber kam sie, weil ihr Blogbeitrag zu den beliebtesten gehörte. Sie schrieb über Wien als tolle Stadt. Hier ist so viel möglich. Früher meinte Maria immer, dass sie nach der Schule nach London oder New York gehen wird. Aber dann hat sie bemerkt, dass Wien so viel bietet. Allein der 10. ist für sich voller spannender Sachen. Wettbewerbe, Musikschulen, Jugendzentren, kostenloser Musikunterricht in der Schule. Das nicht zu nutzen ist schade. Von klein auf haben Maria und ihr Bruder von ihren Eltern mitbekommen: mach in deiner Freizeit etwas. Man öffnet für sich selber Türen. Heute kennt Maria durch ihre Freizeitaktivitäten einige Menschen, an die sie sich wenden kann, wenn sie einen Tipp braucht.

Und die Freunde? “Ich habe schon Freunde, die sehr viele Hobbies haben. Die wenigsten sind aber wirklich offen für das, was die Stadt ihnen bietet. Kennen den 10. und trauen sich nicht wirklich raus. Bleiben im gewohnten Umfeld, in ihrer comfort zone. Es fällt vielen auch schwer, alleine wohin zu gehen.” Bei der Schülerredaktion war Maria zum Beispiel die einzige, die niemanden kannte. Nicht angenehm, aber irgendwann lernt man, wie man Leute anspricht usw. “Das kommt mit Erfahrung.”

Eine Stilfrage.

Damals beim Biber schrieb Maria über Style.

“Am Reumannplatz denke ich manchmal, ich sehe doppelt.”

Warum ist das so? ”Es geht um’s Dazugehören. Um’s dazugehören Müssen. Und es gibt dann auch einfach Leute, die wenig selber nachdenken.

Favoriten hat seine spezielle eigene Uniform”: Lange geglättete Haare, bauchfreie Tops (die 90er sind zurück — viele Stars tragen das jetzt so), hohe Jeans, Nike Air Max, Camouflage-Hosen. Und Jungs, die rasieren sich seitlich die Haare und tragen einen Arnautovic-Zopf. Gruppenzwang ist das irgendwie. In den Außenbezirken schauen die Leute anders aus. Aber auch alle gleich. Marias Freundinnen sind aber bunt gemischt. Da gibt’s eine, die in Richtung Punk geht. Eine andere ist immer aufgetakelt. Eine andere hat diesen Mädchen-Stil. Aber das hat alles gar nichts mit ihnen als Mensch zu tun — sie sind keine schlechten Menschen. Aber man sagt halt schon etwas aus über den Kleidungsstil. Eine gewisse Persönlichkeit wird mit einem bestimmten Kleidungsstil verbunden. Ein Typ im Anzug wirkt zum Beispiel seriös, aber ist es gar nicht immer. Sieht jemand typisch wie aus dem 10. aus, sind Leute schon oft voreingenommen.

Und Maria? “Versuche nicht absichtlich dazuzupassen, nicht unbedingt um jeden Preis. Manchmal fühle ich mich näher zum Bezirk und ziehe mich dann auch so an.” Was ist bei deinem Stil anders? “Ich trage nicht so viel Make-up und lockere Sachen.” Weil bauchfrei in ist, findet Maria manchmal gar keine langen Tops mehr. Gehst du oft einkaufen? Geht so. Braucht Maria etwas Bestimmtes, findet sie es meist auf der Favoritenstraße. Gebummelt wird aber auf der Mariahilfer Straße. Mit Freundinnen. Es wird viel probiert, aber nicht so viel gekauft.

Druckbilder und Statussymbole.

Autos sind für Jungs jedenfalls interessant, sie sind Statussymbole. Für Mädels sind es dann eher Taschen. Oder Make-up. Maria schaut Make-up-Tutorials. Aber sie kauft sich das Make-up nicht selbst, sie bekommt die Sachen eh geschenkt.

Um welche Bilder geht es hier? Müssen hier Bilder der Fraulichkeit über die Kleidung erfüllt werden? “Ich persönlich spüre keinen Druck: Ich muss weiblich aussehen. Ich muss Make-up tragen.” Komisch ist auch, dass Mädels, die viel Zeit in ihr Äußeres investieren, sich aufhübschen, dann andere gleichzeitig schnell kritisieren. “Will jemand weiblich aussehen, tut sie das doch in erster Linie für sich.” Maria hat heute ein rosa T-Shirt an. Denn heute will sie mädchenhafter aussehen. Morgen rennt sie dann wahrscheinlich wieder in einer Jogginghose herum. Es kann schon sein, dass die Medien Druck auf die Mädels ausüben. Vielleicht haben sie das Gefühl, früh erwachsen sein zu müssen. Maria lässt sich diesen Druck aber nicht machen.

Bis vor 2 Jahren war sie sehr sportlich bekleidet unterwegs. Jungs — “warum auch immer sie meinen ihre Meinung äußern zu müssen” — haben sie dann oft mit anderen Mädchen verglichen, die etwas Engeres an oder sich gestylt hatten. Maria wird dann automatisch eher wie ein Kumpel behandelt; nicht so, wie die anderen Mädchen. Macht aber nix. “Find ich lustig.” Man sollte das Herrichten auch nur für sich selbst machen, nicht für andere. Das ist ja Verschwendung von Zeit und Nerven.

Beim Sport ist es ähnlich. Den soll man für sich machen. Manchmal geht Maria laufen. Aber Sport fängt auch an in und eine Vorgabe zu sein. Jede 2. Freundin von ihr folgt einer fit-inspiration-Seite. Da wird man ja von dezenten Sixpacks bombardiert. “Sport ist eine gute Sache — aber fühlst du dich durch Schönheitsideale dazu gedrängt, dann lass es. Das ist ja nicht gesund.” Ein Mal war Maria im Fitnesscenter. Dort hat es aber gestunken und die Hälfte der Maschinen verstand sie nicht. Sie fühlte sich auch beobachtet.

M wie Mode. Nein. Wie Musik.

Maria spielt in einer Band. Mit “Silver rain” stand sie schon auf der Donauinsel. Auf der SJ-Bühne. Und im Augarten. Klavier lernt sie in der Musikschule im 11. In der Band singt sie auch. Sie spielen eine Mischung aus Rock und 80er-Rock aus dem ehemaligen Jugoslawien (eine echt unterbewertete Musikrichtung). Sie covern serbische Bands. Tipps bekommt sie oft von ihren Eltern. Das verbindet — zu den Eltern und zu den eigenen Wurzeln. Und dann machen sie auch neue Sachen. In der Band sind außer ihr nur Burschen. Ein Bosnier am Schlagzeug, ein Mazedonier an der Gitarre und ein Serbe am Bass. Pro Woche proben sie 2–3 Stunden.

Von Freundschaften und Fehlern.

Maria ist es gewohnt, von Burschen umgeben zu sein. Eigentlich macht sie keinen Unterschied zwischen Mädchen und Jungs. Ihre Freundinnen sind da etwas anders. Sie fühlen sich nicht immer wohl in der Gegenwart von Burschen. Sie sind so direkt. Marias Eltern kennen die meisten ihrer FreundInnen. Ihre Mama weiß auch schon beim ersten Blick, ob das eine gute Freundschaft werden kann. Das fühlen Mamas halt. Es kam aber schon vor, dass Maria an Freundschaften festgehalten hat, die es nicht wert waren. Aber daraus hat sie gelernt. Wie aus allen Fehlern. Das sagt sie auch immer ihren FreundInnen: Ok, das ist beschissen gelaufen. Du wirst es nicht nochmal machen. Und wenn du jemanden siehst, der denselben Fehler machen könnte, warne ihn. Maria ist solche Gespräche gewohnt. Sie ist nämlich Mediatorin in ihrer Schule. In einer 1jährigen Ausbildung hat sie gelernt in Einzel- oder Gruppengesprächen Streitereien zu lösen.

Nicht unbedingt Streitereien, aber verschiedene Verhaltensweisen fallen Maria manchmal auch auf. Bietet sie zum Beispiel ihren Ausländerfreunden — “Oh, Ausländerfreunde klingt unhöflich” — ein Stück von ihrem Döner an, lehnen sie immer höflich ab. Die ÖsterreicherInnen beißen aber ab. Will Maria ihre 3 letzten Pommes nun alleine essen, bietet sie sie einfach nicht mehr an. Ist das etwas Kulturelles? Kommen zu ihren Eltern Gäste, wird alles aufgetischt und angeschnitten, aber die Gäste essen dann nie etwas. Gut für Maria. Sie darf dann alles aufessen. Aber wie auch immer — sie hat es jedenfalls noch nie bereut, wenn sie mit jemandem ihr Essen geteilt hat.

Alltag in der Kreta.

Gehst du in der Kreta essen? “Der neue Backbörek-Shop in der Quellenstraße ist wirklich gut.” Da kam sie erst aus Kroatien zurück, zu Hause gab es nichts zu essen und sie ging zum Backbörek. Da war sie ein bisschen enttäuscht von sich. “Geh, Maria! Geh doch ein Schnitzel essen, wenn du schon wieder hier bist.” Aber im Schnitzelhaus am Eck war sie erst ein Mal. Beim Gasthaus Stefan bestellt sie immer wieder Pizza — die ist so gut — die geht aber dann meistens auf’s Haus. Maria kocht auch selbst. Aber der super Koch ist ihr Bruder. Er erfindet auch immer wieder selbst etwas. “Mama ist eher für das Traditionelle — wenn ich etwas Neues will, geh’ ich zu meinem Bruder.” Traditionelle Gerichte lassen sich aber sowieso nicht gut in kleiner Menge kochen. Die schmecken nur, wenn sie in einem riesigen Topf in großer Menge gekocht werden. 5 Liter- und dann isst du drei Tage lang dasselbe. Chinesisch essen war Maria das erste Mal mit ihrem Bruder. Schreibt sie eine gute Note in der Schule, führt er sie dorthin aus.

In den Ferien hat sie viel gelesen.

Ironischerweise hat man durch Schule weniger Zeit zum Lesen.

Derzeit liest sie einen Klassiker eines bosnischen Autors — es geht um eine Brücke. “Die Brücke über die Drina” von Ivo Andrić. Ansonsten war sie in den Ferien noch bei der Oma in Kroatien. Das ist eigentlich ihr wirkliches Zuhause. In schwierigen Momenten träumt sie sich dorthin. Bei der Oma ist es immer lustig. Und das Meer ist toll. Und Menschen von überall her sind im Sommer dort. Deshalb ist sie gerne dort. Aber auch, weil es ihr persönlich wichtig ist, dass sie einen Bezug zu Kroatien hat. Dass sie ihre entfernte Familie kennt. Das Meer ist dann nur ein netter Bonus. In der Pension könnte sie sich auch vorstellen, dort zu leben. Aber jetzt ist sie eh mit Wien zufrieden.

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