Mustafa

Andrea Visotschnig
Liebes Kreta
Published in
5 min readSep 2, 2016

Ein wundersames Überleben

Es ist eines dieser Geschäfte, über deren Überleben wir uns freuen, aber zugleich auch wundern. Hat dieser kleine Computerspiele- und DVD-Shop wirklich eine Chance sich gegen Saturn, Media Markt usw. zu behaupten? In direkter Konkurrenz steht er als Second-Hand-Laden eh nicht, meint der Besitzer. Eh, aber trotzdem… In jeder Ecke des Geschäftes sieht man die DVDs und Computerspiele auf zusammengewürfelten oder auch zusammengeschusterten Möbeln. Dieser wilde Mix an Regalen war schon drin, als der Laden übernommen wurde. Der Shop sah damals eigentlich genau so aus — nur ohne Spiele und DVDs. Früher war hier ein Bücherladen drin. Heute ist es also ein Konzeptladen ohne Designkonzept. Vor der Tür stehen ein paar Drahtkörbe zum Anpreisen der Ware. Die DVDs dort draußen sind ein bisschen nass, aber auch sehr billig. Sind ja gebrauchte — von Menschen, die dem Besitzer ihre alten DVDs und Spiele verkaufen. Die Ankauf-Preise hat er aus dem Internet bzw. kennt er sie schon auswendig nach mittlerweile 5 Jahren — ist ja klar.

Von unpassenden Gelegenheiten

Das erste Mal schauen wir rein, sehen den Besitzer — einen jungen Mann, heute mit nacktem Oberkörper — aus dem Hinterzimmer hervorschauen. Er scheint etwas zu reparieren und erwähnt irgendetwas mit “Wasserschaden”. Wir würden gerne ein bisschen mit ihm reden. Ja klar, das passt für ihn, aber heute sei kein guter Tag. Wir vereinbaren, ein anderes Mal wieder zu kommen.

Dann ist der Shop mal zu. Der Besitzer ist auf Urlaub. In der Türkei. Bei der Familie? Nein, Familie hat er eigentlich da und nicht in der Türkei. Aber Bekannte hat er besucht. Das erzählt er uns ein paar Wochen später, als wir wieder bei ihm vorbeischauen. Da wir wissen, dass uns am nächsten Tag ein kleines Fernsehteam beim Geschichten Sammeln begleiten wird, fragen wir ihn — heute stellen wir uns vor, er heißt Mustafa -, ob er bereit wäre vor der Kamera mit uns zu reden. “Kein Problem, aber ich hab nix zu erzählen. Es gibt keine Geschichte. Was wollt ihr hören?” Wie vereinbart kommen wir am nächsten Tag um 11 Uhr zu ihm. Nein, jetzt geht es wirklich gar nicht. Vielleicht in 2 Stunden? Da das Fernsehteam dann aber schon wieder weg sein wird, versuchen wir ihn zu überreden, sehen aber selbst, dass er Kundschaft hat — ein älterer Herr mit einem Laptop. Das könnte etwas länger dauern. Mustafa nennt uns einen Freund in der Nähe des Quellenplatzes, der ein ähnliches Geschäft hat. Gestern hat er ihm von uns erzählt und sein Freund meinte sofort, dass er gerne mit uns reden würde. Mustafa schlägt vor, dass wir einfach hinfahren. Aber da wir sichergehen wollen, dass wir uns mit Kamera-Equipment und Team nicht umsonst auf den Weg machen, rufen wir seinen Freund an. „Nein, dazu habe ich nie zugesagt,“ meinte dieser. Das wird heute dann wohl nix mehr.

“Ich bin ja kein Freak”

Am nächsten Tag in der Früh ist es soweit: Mustafa sitzt neben seinem Kachelofen und ist in den Bildschirm eines kleinen Laptops vertieft. Sobald wir eintreten, dreht der die Boxen ab. Wir suchen uns Sitzgelegenheiten und fragen ihn nach seinem Laden. Seit fünf Jahren hat er ihn. Davor hat er seine Maurer-Lehre abgebrochen. War nichts für ihn. Zu anstrengende Arbeit. Kann man ja auch nicht machen, bis man alt ist. Und warum dann dieses Geschäft? Er hat halt immer schon Computer gespielt. Ganz früher “Mario” auf Nintendo. Ist noch immer sein Lieblingsspiel, aber jetzt spielt er eigentlich nur “Tekken”. Mit seinen Freunden spielt er das. Tekken kann man auch online spielen. Aber Freunde aus dem Internet hat er nicht. “Ich bin ja kein Freak. Das ist zu eingebildet.” Manchmal macht er auch Fifa-Turniere bei seinen Eltern oder bei Freunden, zu zehnt. “Pokemon Go” mag er nicht, weil er auch schon “Pokemon” nicht mochte. Da muss man so viel lesen, bis man versteht, wie es geht. Und Lesen mag man als Kind nicht.

Die Kleinunternehmer

Aufgebaut hat er das Geschäft mit seinem Vater. Damals — mit 17 Jahren — hätte er ja noch gar nicht selbst einen Laden aufmachen dürfen. Mittlerweile führt er das Geschäft aber alleine. Nur die Buchhaltung macht eine externe Firma. Ob er all seine Ware auf einer Liste erfasst? “Nein, da hätte ich ja voll viel zu schreiben.” Das ähnliche Geschäft seines Freundes am Quellenplatz ist erst entstanden, nachdem er eröffnet hat.

Einer von einigen

Mustafa ist mit 23 Jahren das Jüngste von 7 Kindern. Was machen seine Geschwister so? Zwei Brüder sind Elektriker, einer Schlosser. Den 4. erwähnt er nicht. Auch zu den Schwestern sagt er nichts. Wir haken nach. Die eine arbeitet bei Billa. Die andere arbeitet nicht. Gibt es schon Nichten und Neffen? Ja, klar, der älteste Neffe ist 16 Jahre alt.

Mustafa fährt jeden Tag von Ebergassing, wo er bei seinen Eltern wohnt, in seinen Shop im 10. Besonderen Bezug hat er zum Stadtteil nicht. Na klar, Mittagessen holt er beim Schnitzelplatz um’s Eck oder beim Kebap-Stand. Oder er schickt einen Freund, der ihn besuchen kommt, um Mittagessen in der Umgebung zu holen. Ob seine KundInnen aus dem Stadtteil kommen? Das weiß er nicht. Ist ja wie im Semmelgeschäft — dort weiß man ja auch nicht, woher die Kunden kommen.

Und abgesehen von der Arbeit?

Was er sonst so macht? “Früher habe ich Fußball gespielt. Im Verein. Heute spiele ich nur noch mit Freunden. Der Verein geht sich neben dem Job nicht mehr aus, weil die fast jeden Tag trainieren und am Samstag Match haben.” Da er samstags auch geöffnet hat, bleibt dafür keine Zeit. Jetzt macht er mehr Fitnesstraining. Das sehen wir. Und wie steht es um die Liebe? Ja, klar, schon wichtig. Ist ja normal. Ob er momentan eine Freundin hat? Er zögert etwas, verneint dann aber. Es wäre eigentlich gut hier nachzubohren — nachzufragen, ob er schon einmal eine Freundin hatte, wie er sie kennengelernt hat usw. Aber irgendwie ist uns das Thema auch unangenehm. Warum aber genau? Wäre es anders, wenn eine von uns alleine hier mit Mustafa sitzen würde?

Die Flaschen-Frage

Unsere Frage nach dem Wunschobjekt in einer Flasche: Mustafa weiß nicht, was er drin haben will. Neuer Versuch: Was wünscht du dir für deine Zukunft? “Weiß nicht, gar nix. BMW oder so. 3er oder so. Ist ja klar.” Jetzt hat er einen 4er Golf. Eh gut. Aber das Pickerl macht jährlich Probleme. “Wie bei alten Menschen — die haben ja auch immer mehr Probleme, wenn sie älter werden.” Sein Vater hat auch einen Bezug zu Autos: Er arbeitet als Maschinist bei Inter Eybl. Die Firma heißt vielleicht jetzt auch schon anders. Hat aber eine große Bedeutung in Ebergassing in Niederösterreich — 700 Arbeitsplätze gibt oder gab es bei Inter Eybl.

Foto (un)erwünscht.

Zum Schluss geht es noch um ein Foto, das wir gerne von ihm machen würden. “Warum? Ist doch unnötig.” Ein Foto vom Laden schlagen wir stattdessen vor. Aber Mustafa zögert auch hier. Wir vereinbaren, nochmals nachzufragen, wenn wir vorbeikommen um die Geschichte mit ihm durchzugehen. Vielleicht will er ja dann ein Foto machen. Will er noch immer nicht.

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