Hidden Champion Stückgutlogistik
Neben Paketversand und Containerschifffahrt fristet die Stückgutlogistik unberechtigterweise ein Schattendasein. Dabei ist die Stückgutlogistik mit ihrem reibungs- und geräuschlosen Leistungsapparat treibender Wirtschaftsmotor.
Fragt man mich, woran ich bei Logistik denke, dann erscheint vor meinem inneren Auge zuerst der Kleintransporter, der meine neuen Sneaker liefert. Schnell etwas online bestellt, schon wird das ersehnte Produkt direkt bis zur Türschwelle gebracht. Klar, der Paketversand mit knapp 4 Milliarden Sendungen allein innerhalb Deutschlands [1] ist allgegenwärtig. Liefertrucks in allen Farben prägen das Stadtbild, Lastenfahrräder für die letzte Meile die politische Debatte.
Mein zweiter Gedanke schweift dann zu den riesigen Containerschiffen, die, wenn sie nicht gerade im Stau vor dem Hafen vor Anker liegen, vor allem Ware von Asien nach Europa und in die USA transportieren. In 2022 werden wohl rund 160 Millionen Container verschifft worden sein [2].
Dazwischen? — In der öffentlichen Wahrnehmung leider nicht so viel. Dabei sind LKW-Transporte und Stückgutlogistik treibender Wirtschaftsmotor.
Vielfältiges Leistungsspektrum von 30 bis 2.500 kg
Als Stückgutlogistik wird der Transport von Waren zwischen 30 und 2.500 kg bezeichnet. Stückgut sind dabei Waren, die — sehr naheliegend — “am Stück” transportiert werden können. Also meistens Paletten, aber auch Kisten oder Fässer zählen dazu. In der Branche gibt es über 30 verschiedene Bezeichnungen zur Beschreibung von Stückgutarten — allein das zeigt die Vielfalt dieses Logistik-Bereichs. Als Abgrenzung dazu, Kies oder Sand gehören wiederum zur Kategorie des Schüttguts.
Nahezu alle Branchen und Industriezweige, von Metall und Bau über Chemie bis hin zu Lebensmittel, versenden Stückgut. Von den knapp 120 Millionen Stückgutsendungen pro Jahr in Deutschland wurden 83 % von einem Unternehmen zu einem anderen Unternehmen (B2B) und 17 % von einem Unternehmen an Endkunden (B2C) verschickt.
Über Hub und Depot deutschlandweit geliefert
Dabei sind die meisten Speditionen in Deutschland in Stückgutnetzwerken organisiert. Die 15 größten Stückgutnetzwerke decken einen Großteil der innerdeutschen Stückguttransporte ab. An 35 bis 150 Depots pro Netzwerk werden täglich im Schnitt 1.800 Sendungen abgewickelt.
Unterschieden wird in der Stückgutlogistik zwischen Direktfahrten und Systemen, die über Depots laufen. Bei einer Direktfahrt wird die Ware beim Absender in den LKW geladen und direkt, ohne Zwischenstopp oder Umladung, zum Empfänger transportiert. Direktfahrten werden oft auch als Teil- oder Komplettpartie bezeichnet. Um die Flächenabdeckung in Deutschland zu erhöhen und LKW-Ressourcen effizienter zu nutzen, setzen viele Stückgutnetzwerke jedoch auf Raster- oder Hub- and Spoke-Systeme. Beim Rastersystem werden mehrere Depots über direkte Verbindungen miteinander verbunden. Beim Hub- and Spoke-System hingegen wird jedes Depot über einen zentralen Hub, ein Hauptumschlagpunkt, angesteuert.
Vorteil des Rastersystems ist, dass die Hauptlaufstrecke in der Regel kurze 400 km beträgt (im Hub- and Spoke-System sind es durchschnittlich 600 km) und damit besonders schnell oder umweltschonend geliefert werden kann. Nachteil, im Gegensatz zum Hub- and Spoke-System, ist, die vielen Verbindungen zwischen mehreren Depots erhöhen die Komplexität deutlich und es sind hohe Sendungsmengen notwendig, um die Hauptläufe auszulasten.
Fast jede Spedition, die Stückgutlogistikdienstleistungen anbietet, ist Teil eines solchen Versandnetzwerks. Die Abwicklung von Palettenversand in Neben- sowie Hauptläufen ist effizient und über weite Teile standardisiert.
Stückgutlogistik: Katalysator für Mittelstand
Dieses ausgeklügelte Netzwerk zum Versand von einzelnen Paletten ermöglicht es mittleren Unternehmen, kleine Sendungen günstig und wirtschaftlich zu versenden. Durch Just-in-Time-Lieferungen wird der Abbau von Lagerhaltung und somit die Reduzierung von gebundenem Kapital möglich. Voranschreitende Digitalisierung kann dabei helfen, mehr Transparenz bei Laufzeiten und im Tracking zu schaffen.
Auch für die Umwelt ist die Bündelung von Transporten von Vorteil. LKW-Kapazitäten werden besser ausgenutzt, schließlich sind weniger Trucks auf der Straße. Intelligente Datenanalyse wird zukünftig Volatilität im Sendungsaufkommen weiter reduzieren und Kapazitätsplanung optimieren.
Auch interessant, der Anteil an Sendungen im Stückgutbereich an Endkunden (B2C) steigt jedes Jahr erheblich. Dank eCommerce werden immer mehr große Sendungen an Privathaushalte geliefert. Das Sofa, die Sportgeräte oder die Gartenbauartikel sind zu groß für Paket und Sackkarre. Wenn Stückgutnetzwerke innovativ auf die unterschiedlichen Kundenerwartungen und Lieferbedingungen reagieren, eröffnet sich gänzlich neues Marktpotenzial. Ich werde also berichten, ob der LKW mit meinem gerade online bestellten Kühlschrank eine Ladebühne vorhält!
Sofern nicht anders angegeben, basieren alle Daten und Fakten in diesem Artikel auf der Studie zur “Stückgutlogistik in Deutschland” des Bundesverbands für Spedition und Logistik aus dem Jahr 2021. Auf über 100 Seiten führen die Autoren eine ausführliche Bestandsaufnahme der deutschen Stückgutlogistikindustrie durch. Hier das PDF abrufen.