Ein Buch über die Kraft der Kunst

MU_Redaktion
Münster Urban
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7 min readJun 29, 2017

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Ausgabe #4 | 8. November 2016

Dr. Hermann Arnhold, Direktor des LWL-Museums für Kunst und Kultur und Eva Pieper-Rapp-Frick, stellvertretende Vorsitzende der Freunde des Museums für Kunst und Kultur e.V. vor dem Gemälde von Christian Rohlfs, Römische Bauleute, 1879, dessen Ankauf der Freundeskreis ermöglichte. Foto: Torsten Meyer-Bautor

Anfangs waren es 200 Mitglieder. Heute unterstützen 1.400 Freunde des Museums für Kunst und Kultur das gleichnamige LWL-Museum für Kunst und Kultur. Weil man fast exakt das gleiche Alter wie die Skulptur Projekte hat, publizieren die Freunde zum 40-jährigen Jubiläum keine simple Chronik. Man gewann Burkhard Spinnen, ein Buch über die Geschichte der Skulptur Projekte zu schreiben. Das Mitte Dezember erscheinende Werk zeichnet auch nach, wie tiefgreifend sich das Verhältnis der Münsteraner zur modernen Kunst gewandelt hat. Eva Pieper-Rapp-Frick, stellver­tretende Vorsitzende des Freundeskreises, und Dr. Hermann Arnhold, Direktor des LWL-Museums für Kunst und Kultur, erläutern das Projekt.

Münster Urban: Warum geben Sie zum Jubiläum ein Buch zur Geschichte der Skulptur Projekte heraus?

Eva Pieper-Rapp-Frick: 1977 gab es die ersten Skulptur Projekte, 1976 wurden die Freunde gegründet. Anfangs waren die Freunde ausschließlich auf Ankäufe für das Haus fixiert. Die neun Statements der Skulptur Ausstellung 1977, die im städtischen Außenraum stattfanden, lagen also außerhalb der Wahrnehmung des Vereins. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Und um Veränderung geht es in erster Linie auch in unserem Buch.

Münster Urban: Das Thema eignet sich also, die Entwicklung der Freunde zu beschreiben. Was bedeutet Nähe?

Eva Pieper-Rapp-Frick: Wir nennen es privile­gierte Nähe. Dazu zählen besondere Führungen, aber auch Blicke hinter die Kulissen. Wir finden hier ein Team vor, mit dem wir wunderbar zusammenarbeiten können. Da ist eine große Vertrautheit entstanden. Hier ist sicherlich auch die Parallele zum Buch zu finden: Der intensive Dialog über Kunst und Kultur kann die biografische Entwicklung beeinflussen.

Dr. Hermann Arnhold: Ich habe die Idee des Buches von Anfang an begrüßt. Es bietet die Chance, bewusst eine andere Tonart zu treffen als etwa die der Kuratoren. Das Buch hat nicht den Anspruch, neue Fragestellungen zu entdecken. Im Gegenteil: Das Buch erzählt Geschichten von Menschen, die über die mittlerweile 40 Jahre dabei waren. Dazu zählen Museumsleute, Künstler, Ausstellungs­macher, aber auch Mitglieder der Freunde. Interessant sind auch die Zeitenwenden. Wie war das 1977? Damals gab es noch Morddrohungen an die Kuratoren. Und heute? Ich hatte gestern noch eine große Sitzung zu organisatorischen Fragen der Skulptur Projekte im nächsten Jahr. Bei solchen Treffen merkt man, wie viel sich hier in Münster verändert hat. Da sitzen über 30 Leute, von der Feuerwehr, der Polizei, dem Ordnungsamt bis hin zum Grünflächenamt. Alle haben konstruktiv überlegt: Wie bekommen wir das hin? Diesen Mentalitätswechsel haben wir auch schon 2007 bemerkt.

„Das Buch zeigt: Wenn man auf den allgemeinen Kultur-­Kitsch verzichtet und stattdessen sehr profiliert etwas Neues zeigt, bringt es die Stadt nach vorn.“ (Eva Pieper-Rapp-Frick)

Eva Pieper-Rapp-Frick: Bei der Arbeit am Buch haben wir festgestellt, dass die Skulptur Projekte die Stadt wie nichts anderes verändert haben. Die Kugeln von Claes Oldenburg am Aasee sind als Wahrzeichen für Münster auf jedem Marketingflyer zu finden. Heutzutage ist vollkommen undenkbar, dass damals Studenten mal eben mit ein paar Baulatten die Kugeln in den Aasee rollen wollten — was sie auch fast geschafft hätten. Oder es gibt die Geschichte der Handwerker der Firma Borchert, die damals Beuys beim Aufbau geholfen haben und dabei so von seiner Kunst begeistert waren, dass ihr Chef später mit allen zur Documenta nach Kassel gefahren ist. Wir wollen zeigen: Wenn man auf den allgemeinen Kultur-Kitsch verzichtet und stattdessen sehr profiliert etwas Neues zeigt, bringt es die Stadt nach vorn. Ludwig Poullain sagte einmal dazu, dass Münster ohne die Skulptur Projekte immer noch die Stadt des ewigen Westfälischen Friedens wäre.

Münster Urban: Wie hat sich das Verhältnis des Freundeskreises zu den Skulptur Projekten entwickelt?

Eva Pieper-Rapp-Frick: 1987 war der Freundeskreis inhaltlich noch weit entfernt. 1997 gab es eine Annäherung. Wir haben die Restaurierung des Dan-Graham-Pavillons mitfinanziert. 2007 kam es dann zum Ankauf von Unsettling the Frag­ments von Martha Rosler, einer Arbeit, die man heute vor der Sparkasse an den Arkaden sehen kann. Das gab lange Diskussionen! Dürfen wir etwas finanzieren, das nur temporär ist und vielleicht gar nicht bleiben wird? Dürfen wir sogar eine Performance fördern, die vergänglich ist? Bei unserer nächsten Sitzung werden wir den Mitgliedern ein solches Projekt vorschlagen und die Künstlerin wird ebenfalls dabei sein.

Dr. Hermann Arnhold: Die Freunde stehen vor der Entscheidung, sich für etwas zu engagieren, was sie im Detail noch gar nicht kennen. Es ist also keine klassische Ankaufssitzung mehr, wo sie verschiedene Ölgemälde an der Wand haben und überlegen, welches sie jetzt genau nehmen. Oder ob sie doch lieber eine Porzellan-Tasse ankaufen möchten. Sondern es geht um eine performative Arbeit, die noch nicht existiert, von der man nur weiß, dass sie an einem historischen Ort in Münster stattfinden wird. Es geht also um die Frage: Ermöglicht der Freundeskreis die Realisierung der Arbeit? Da geht es um Produktionskosten und mehr. Nach den Skulptur Projekten muss man kritisch schauen, was wir erhalten wollen und was temporär ist. Mit dieser Frage geht man jetzt natürlich nochmal bewusster um als 1977. Wir reden ja heute von einer Möblierung des öffentlichen Raumes: Die öffentlichen Räume und Plätze sind schon heute größtenteils besetzt. Daher sollte der temporäre Charakter der Skulpturen gestärkt werden. Eine wirklich spannende Frage: Was soll auch in Zukunft das öffentliche Profil dieser Stadt ergänzen?

Münster Urban: Die Neue Osnabrücker Zeitung hat ja vor kurzem schon die Frage gestellt: Droht Münster der Skulpturen-Stau?

Eva Pieper-Rapp-Frick: Das Problem schildern uns auch die Kuratoren. Wenn sie mit den Künstlern in der Stadt unterwegs sind, hört man dann: „Toller Ort, aber da können wir nicht hin. Hier steht schon ein Herman de Vries.“ Die Künstler gehen nun also stärker in die Peripherie. Wobei auch gerade das sehr interessant ist. Münster ist sehr fokussiert auf die Innenstadt, und die Peripherie wird wenig wahrgenommen. So kommen die Künstler und auch später die Besucher an Plätze, die sie sonst gar nicht kennenlernen würden. Das heißt, es werden Dinge in die Wahrnehmung geholt, die dort vorher nicht waren.

Münster Urban: Glauben Sie, dass durch die Akzeptanz der Skulptur Projekte durch die Bürger Dis­kussionen über Kunst im öffentlichen Raum ad acta gelegt sind?

Eva Pieper-Rapp-Frick: Nein, das wäre ja ganz furchtbar! Wenn die Besucher alle sagen würden: „Das is ja alles ganz schön hier“ und dann weitergehen. Ich glaube, das wäre für die Kuratoren das Schlimmste. Die Menschen sollen ja berührt werden. Und genau darum geht es auch in dem Buch. Man muss erstmal aufgerüttelt werden, anders zu schauen und auch mal den eigenen Blickpunkt zu wechseln.

Dr. Hermann Arnhold: Wir hatten noch 2007 heftige Diskussionen. Nicht während der Dauer der Skulptur Projekte, sondern als es hinterher darum ging, was jetzt bleibt. Vor allem in der Politik gab es heftige Diskussionen, ob Kunst in Münster politisch sein darf. Zum Beispiel war Martha Rosler ein großes Thema. Wir dachten eigentlich, dass wir darüber hinweg sind. Die Diskurse hören nie auf und man kann sie nie vorherbestimmen. Man muss ja auch bedenken, dass die jungen Leute, die jetzt als Studenten in der Stadt sind, die letzte Edition noch gar nicht erlebt haben. Die waren da acht oder zehn Jahre alt. Diese Generation geht natürlich ganz anders mit der Rezeption von Kunst um — das merken wir auch im Museum. Selbst die Kirche ist gelassener geworden. Der Regens des Priesterseminars ist vor einigen Monaten auf mich zu gekommen und hat gesagt, dass die Kirche doch so viele interessante öffentliche Plätze hätte, und hat mich gebeten, einen Kontakt herzustellen. Das zeigt den großen Wandel allein innerhalb dieser zehn Jahre.

Münster Urban: Gerade im digitalen Bereich ­müssen die Skulptur Projekte erstmals mit So­cial-­Media-­Kanälen umgehen. Diese Flut an Bildern ist doch kaum noch beherrschbar?

Eva Pieper-Rapp-Frick: 2017 werden alle Menschen mit ihren Handys herumrennen und aus allen Richtungen fotografieren. Bei Facebook, Twitter, Insta­gram und Snapchat wird es eine Flut an Bildern geben. Auch diese Form der Wahrnehmung hat sich komplett verändert und diesen Aspekt der Rezeption erzählen wir ebenfalls mit dem Buch. Allein die Urheberrechte sind in diesen Zeiten absolute Dinosaurier, denn letztendlich kann heutzutage jeder öffentliche Kunst fotografieren und ins Netz stellen. Das kann man gar nicht mehr beherrschen. Gerade dieses Thema wird durch den Zehn-Jahres-Schnitt natürlich sehr viel deutlicher. Nur alle zehn Jahre dieses Projekt zu starten ist vielleicht eine westfälische Taktung. Aber dann hat man auch wirklich ein Statement der Veränderung. Mir war bei diesem Buchprojekt wichtig aufzuzeigen, dass so eine Veränderung wirklich funktioniert.

Münster Urban: Sie entscheiden in Ihren Mitgliederversammlungen quasi basisdemokratisch, welche Werke Sie ankaufen und welche Projekte Sie finanzieren. Ist das unter Freundeskreisen deutschlandweit ein Unikum?

Eva Pieper-Rapp-Frick: Soweit wir wissen, ist das einzigartig. Üblich ist immer noch, dass ein Freundeskreis Geld zur Verfügung stellt und dann hinterher vorgestellt bekommt, was davon gekauft worden ist. Bei uns treten die Kuratoren in der Ankaufssitzung auf und machen Vorschläge. Und die werden intensiv diskutiert. Das macht für viele auch den speziellen Charme aus und ist etwas, worauf die Freunde auf keinen Fall verzichten möchten. Wenn es eng wird mit den Mitteln, gibt es oft auch Einzelne, die spontan einspringen. Das ist Bürgertum im besten Sinne.

Münster Urban: Ein Blick in die Zukunft: Wie geht es mit der Arbeit der Freunde weiter?

Eva Pieper-Rapp-Frick: Zwei Prognosen kann man mit Sicherheit stellen. Zum einen: Wir wachsen! Wir sind jetzt aktuell bei 1.400 Mitgliedern. Museen sind die neuen sozialen Orte. Und wir müssen uns natürlich die Frage stellen, wie wir mit der sich verändernden Gesellschaft umgehen? Wie bekommen wir zum Beispiel mehr Menschen mit Migrationshintergrund ins Museum? Zum anderen wird die Bildungs- und Vermittlungsauf­gabe immer wichtiger. Am 5. Dezember findet hierzu auch eine Podiumsdiskussion unter dem Titel Farbe bekennen — Das Museum und seine Freunde statt. Es kommt neben anderen der Vorsitzende des Freundeskreises der Hamburger Kunsthalle, Ekkehard Nümann, zu uns, ein Vordenker in der Frage, was ein Freundeskreis für die Gesellschaft ist. Es bleibt auf jeden Fall spannend und wir werden uns auch diesen neuen Aufgaben und Veränderungen stellen.

GEPRÄGT — Skulptur Projekte Münster — ­Berichte, Bilder und Erinnerungen. Gesammelt und aufgeschrieben von Burkhard Spinnen und Eva Pieper-Rapp-Frick

Herausgegeben vom Verein der Freunde des Museums für Kunst und Kultur Münster e.V. Erschienen im Coppenrath Verlag | Preis: 28,– €

Informationen zu den Feunden: www.kunstlebt.org
Museumswebsite: www.lwl-museum-kunst-kultur.de

Text: Heike Hano

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