Mac-Nostalgie: Tim Cook auf der Bühne von Apples Oktober-Keynote in der Brooklyn Academy of Music

Warum das iPad eigentlich ein Etikettenschwindel ist

Der Mac ist Nostalgie — lang lebe das iPad (und ein bisschen auch Tim)!

Eine Reflexion über eine vielleicht denkwürdige Apple-Keynote.

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Apples Oktober-Keynote hatte einen merkwürdig nostalgischen Moment, der zum altehrwürdigen Umfeld der Brooklyn Academy of Music passte, die man sich als Austragungsort für die herbstliche Präsentation neuer Geräte erwählt hatte: Tim Cook pries den Mac in gewohnt hohen Tönen und ehrte seine Nutzer mit einem Video, dessen Bilder eine wohlige Wärme ausstrahlten — aber gleichzeitig auch eine auffällig süße Melancholie in sich trugen. In Schwarzweiß getaucht, waren Künstler, Intellektuelle, Berühmtheiten, Normalsterbliche, Grafiker, alte und junge Menschen in Büros, Coffeeshops, Musikstudios, Agenturen und Bibliotheken zu sehen — vertieft in den Mac, verliebt in den Mac, begeistert vom Mac.

»In Schwarzweiß getaucht, zeigte Apple Künstler, Intellektuelle, Berühmtheiten, Normalsterbliche, Grafiker, alte und junge Menschen in Büros, Coffeeshops, Musikstudios, Agenturen und Bibliotheken zu sehen — vertieft in den Mac, verliebt in den Mac, begeistert vom Mac. Es war der süße Nachklang einer Ära.«

Doch es war der süße Nachklang einer Ära: unsagbar schön, sich aber trotzdem unweigerlich ihrem Ende zuneigend — ein wohliges Erinnern, als wolle Apple seine Zuseher mit einem sanft säuselnden „Weißt du noch?“ trösten. Die Seele durfte baumeln; für knapp eine Minute stand das ewige Rad der Apple-Neuheiten still.

Gut gemeinte Modellpflege für Fans

Natürlich gab es auch „Neues“ vom Mac zu berichten. Doch dieses Neue, in der Dramaturgie des vielleicht denkwürdigen Morgens in New York City an erste Stelle gesetzt, fernab der futuristisch-glänzenden Gegenwart des immer etwas seelenlos wirkenden gläsernen Hauptzentrums in Kalifornien, war eigentlich nichts weiter als ein weiterer Abgesang eines Zeitalters, das man aus reinem Goodwill gegenüber der eben besungenen und in die Jahre gekommenen Nutzerschaft noch einmal langmütig verlängerte.

Ja, das MacBook Air hat man als das eigentliche Lieblingsmitglied von Apples Computerfamilie und Höhepunkt der Laptop-Baukunst noch einmal neu aufgelegt und entlang seines immer noch wegweisenden Konzepts optimiert. Und ja, den Mac mini, dessen andauernde Beliebtheit man in Cupertino wohl bis heute nicht so richtig begreifen kann, hat man in die heutige Zeit katapultiert — so wie BMW den „Mini“ und Volkswagen den „Beetle“ für seine Liebhaber aktualisierte.

Das den mini vorstellende Video strotzte dementsprechend vor Selbstironie, die man dem selbstverliebten iPhone-Konzern so gar nicht zutraute: Wie ein altes, etwas sperriges Schlachtschiff schwebte der späte Nachhall eines Mac-PCs durch den Raum, um wie ein in die Jahre gekommener „Millennium Falcon“ stotternd doch noch einmal den Sprung in den Hyperraum zu schaffen.

»Wie ein altes, etwas sperriges Schlachtschiff schwebte der späte Nachhall eines Mac-PCs durch den Raum, um wie ein in die Jahre gekommener „Millennium Falcon“ stotternd doch noch einmal den Sprung in den Hyperraum zu schaffen.«

Aber das war’s auch zum Thema Mac. Denn der eigentliche Star sollte erst noch folgen: das iPad — und das entpuppt sich immer mehr als die eigentliche Evolution der Vision des Personal-Computers, die nicht zuletzt dem Apple-Übervater Steve Jobs vorschwebte. Die Wertigkeit, Länge und Sprache der Präsentation des iPad Pro machte deutlich: Das iPad ist die Inkarnation der „Idee Mac“ des 21. Jahrhunderts.

Der Mac ist jetzt das iPad

Und das ergibt nur Sinn: Denn das Bestreben von Apple-Mitbegründer Steve Jobs war es nicht nur, den Computer leichter bedienbar zu machen, sondern auch, ihm die Hardware und damit das technische Abschreckungspotenzial zu nehmen — oder dieses zumindest durch die fortschreitenden Möglichkeiten der Miniaturisierung immer weiter in den Hintergrund treten zu lassen. Deshalb versteckte er beim ersten Macintosh-Rechner den Computer in den Monitor — und wiederholte beim iMac dieses Kunststück. Die Frage von Menschen, die den Mac(intosh) zum ersten Mal sahen, sollte lauten: „Und wo ist der Computer?“. Genau deshalb hasste Jobs die beigen Einheitsschachteln seiner zeitweisen Nachfolger in den 1990ern, erschaffen von Pragmatikern, die seine Idee nicht verstanden. Und deshalb konnte er den Flachbildschirm gar nicht erwarten, um seinen iMac endlich von der schieren Masse der Röhre zu erlösen.

Und eben deshalb tut sich Apple bis heute schwer, die Wünsche einer kleinen Kaste professioneller Nutzer ernst zu nehmen, die einen Klotz unter dem Schreibtisch finden möchten, an dem sie nach Gutdünken herumschrauben und den sie selbst um archaisch wirkende Steckkarten nachrüsten können — auch wenn so ein „Pro“-Mac noch so edel gestaltet sein mag.

»Die Frage von Menschen, die den Mac(intosh) zum ersten Mal sahen, sollte lauten: „Und wo ist der Computer?“.«

Dieser ferne Nachklang der verhassten, verschenkten und bis zur Bankrottgrenze erfolglosen Neunzigerjahre ist auch der heutigen Apple-Führungsetage im Grunde tief suspekt (und deshalb sollte man diesen Missgriff, der eigentlich nicht viel von einem Apple-Produkt hat, auch endlich ehrlich und ohne Umschweife für tot erklären).

Zeigte sich gelöst wie selten: Apple-CEO Tim Cook während des Oktober-Events in New York.

Der Computer bis zur Nicht-Wahrnehmbarkeit versteckt

Das iPad Pro Jahrgang 2018 treibt die ursprüngliche Idee Jobs’ auf die Spitze und ist in Wahrheit der eigentliche Mac der Neuzeit: Es verbannt den Computer bis zur Nicht-Wahrnehmbarkeit hinter ein fast randloses Display und macht sogar die bereits beim ersten Macintosh demütig hinter der Maus zurücktretende Tastatur nahezu obsolet — beziehungsweise zu einer hochpreisigen Erweiterung. Der heutige Apple-Computer braucht sie schlicht nicht zwingend. Steve Jobs würde seinen Nachfolgern in milder Zustimmung zunicken: „Habt ihr es also endlich kapiert, ihr Idioten!“

Das iPad war niemals als Tablet gemeint. Das iPad ist der Mac.

Tatsächlich: Das iPad Pro strotzt nur so vor Leistung. Da passt es, dass Tim Cook es ungewohnt übermütig zu einem der leistungsfähigsten portablen Computer überhaupt erklärte — da dürfte es interessant sein zu prüfen, welchen MacBook-Modellen es davonläuft. Sein Display übertrifft das der meisten Laptops und Convertibles sowieso. Und zur Verbindung mit der Außenwelt reicht ihm ein USB-C-Port — der Kopfhöreranschluss wurde, wie schon beim iPhone, konsequent eliminiert. Theoretisch kann man das Gerät sogar an einen externen 5K-Monitor anschließen — wenn man es denn will.

»Apple präsentierte das iPad Pro als kreatives Kraftwerk für Photoshop — ausgerechnet das Programm, das den Mac lange Zeit wie kein zweites identifizierte.«

Und noch etwas ist signifikant: Apple präsentierte das iPad Pro nicht etwa als besseren Netflix-Player oder gar als Lesegerät für E-Books, sondern als kreatives Kraftwerk für Photoshop — ausgerechnet das Programm, das den Mac lange Zeit wie kein zweites identifizierte. Ein Schelm, der darin eine kleine Spitze gegen Adobe vermutete, die sich lange gegen eine iPad-Portierung ihres Profi-Werkzeugs gesträubt hatten.

Apple-Computer neu gezählt

Nun kann man vorzüglich darüber philosophieren, ob die Schwachstelle des iPad sein vermeintlich sperriges Betriebssystem ist. Stimmt, das iOS ist nicht annähernd so flexibel wie das macOS — obwohl auch dieses in die Jahre gekommen ist und mittlerweile jegliche Leichtfüßigkeit vermissen lässt. In der Verwaltung von Dateien und Daten kann das iPhone-OS seinem Mac-Äquivalent trotzdem nicht das Wasser reichen. Zudem: Beim Split View von Multitasking zu sprechen, ist blanker Hohn. Und es kann durchaus sein, dass Apples ideologisch-verbrämte Entscheidung, ein eigentliches Smartphone-Betriebssystem nicht mit macOS zu verschmelzen, dem Konzern eines Tages beim iPad schmerzlich auf die Füße fallen wird.

Doch es ist eben gerade die Einfachheit der Bedienung, mit denen das iPad viele Menschen erst zu Computernutzern machte, die vorher nie einen Laptop und damit auch kein MacBook oder gar einen Desktop-Rechner auch nur in Erwägung gezogen hätten: Das Drücken eines Knopfs, in diesem Fall eines Piktogramms, mit dem Finger führt zu einem unmittelbaren Ergebnis. Und der weitgehende Verzicht auf wirkliches Multitasking resultiert in ein ausgesprochen fokussiertes Arbeiten — das gerade heute mehr Probleme löst als schafft.

»Das Drücken eines Knopfs, in diesem Fall eines Piktogramms, mit dem Finger führt zu einem direkten Ergebnis.«

Und auch deshalb präsentiert sich die wahre Zählweise seit dem 30. Oktober für Apple-Computer eigentlich so:

  • der Apple I als legendärer Urvater des Personal-Computings
  • der Apple II ist eigentlich der Ur-Macintosh mit allen seinen Classic-OS-Nachfolgern
  • der Apple III sind der iMac und das MacBook und alle Macs mit OS X beziehungsweise macOS
  • der Apple IV ist das iPad Pro

Klar, Apple wird den Mac nicht morgen einstellen — vielleicht auch nicht übermorgen. Aber es wird den Übergang weiter fließend vorantreiben. Bis es eben neben iPhone und Apple Watch nur noch einen Apple-Computer des 21. Jahrhunderts geben wird. Und das ist das iPad.

Tim Happens to Like New York

Es gab noch einen Gewinner dieses New Yorker Morgens: Tim Cook, der dem Konzern mehr und mehr seinen Stempel aufprägt und gleichzeitig beweist, dass er die Vision des Vordenkers und -gängers vollends verinnerlicht hat und ob der ihm zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten sogar besser ausspielt.

Selten sah man den Apple-CEO so gelöst und gut gelaunt wie auf der Bühne in Brooklyn — die Verbissenheit und Verkrampftheit vergangener Keynotes scheint endgültig abgelegt. Als er das iPad gar zum erfolgreichsten Computer aller Zeiten erhob, hatte man kurz den Eindruck, als wolle er ob seiner tolldreisten Zahlenkapriolen jeden Moment vergnügt in das Gelächter seiner Zuhörer einstimmen.

»Selten sah man den Apple-CEO so gelöst und gut gelaunt wie auf der Bühne in Brooklyn.«

Die fast durchgehend bewusst von unten gewählte Kameraperspektive der Übertragung unterstrich: Hier steht Tim Cook, Herr des Apple-Universums, „Master of Ceremony“ der kommenden Jahre.

Brooklyn tat Cook gut — außerhalb des sterilen Apple-Hauptzentrums, in letzter Gigantomanie erdacht von seinem Vorgänger, scheint er freier atmen zu können. „I Happen to like New York“ sang Bobby Short im Cole-Porter-Klassiker zum Apple-Video zur Eröffnung der Oktober-Keynote. Tim Cook offensichtlich auch.

Man kann sich vorstellen, wie der Apple-CEO nach der wohl gelungensten Keynote der vergangenen Jahre lässig durch die Straßen Brooklyns schlendert. Endlich raus aus dem Schatten des Übervaters. Mit einem neuen „Mac“ und der „New York Times“ unter dem Arm. Die Kreativität brodelt um ihn herum.

Step aside, Steve, here’s Tim!

„I Happen to Like New York“ — der Titelsong von Apples Oktober-Keynote.

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Thomas Raukamp
Mac Life

„I am writing. I hate writing. I love writing. I am writing.“ — Amy Brenneman